Erstellt am: 12. 10. 2016 - 19:16 Uhr
Ghetto Witches und das Ende des Patriarchats
Princess Nokia, das ist das Alter Ego der New Yorker Rapperin Destiny Frasqueri, die, obwohl erst Mitte Zwanzig, bereits mehrere Evolutionsstufen durchlaufen hat. 2014 ist sie zum ersten Mal als Princess Nokia aufgetaucht, wobei sie betont, ihre Kunstfigur sei das Resultat eines kollaborativen Prozesses mit Freundinnen und befreundeten Musikerinnen, der in einem unpragmatischen und alltagsnahen Feminismus resultiert. Genau dafür schätze ich die technisch brillante Rapperin: Kein aufgeblasenes Ego, aber ein mehr als angebrachtes Selbstbewusstsein.
Princess Nokia
2014 erscheint ihr Album "Metallic Butterfly", das mit verschiedenen Genres kokettiert und dabei etwa Stopps bei elektronisch-eckigen Produktionen oder souliger 70ties-Disco eingelegt hat.
Vor kurzem ist dann das Mixtape "1992" erschienen, benannt nach einem Jahr voller exzellenter Hip Hop-Releases, einer Blütezeit, die auch das Geburtsjahr von Destiny selbst ist.
"1992" ist ein Text-fokussiertes Album, auf dem Princess Nokia mit verschiedenen Produzenten wie Lex Luger, M.O.B. oder Atrak zusammengearbeitet hat. Auf Fragen zu diesem "Stilwechsel", der sich in ihrem Fall nach einem Ankommen in ihrer persönlichen Königinnendisziplin anhört und anfühlt, antwortet sie in etwa:
"Ich habe gemerkt, dass ich bereit bin, eine Hip-Hop-Platte aufzunehmen. Vorher habe ich es nie gemocht, zu schreiben und habe mich unsicher dabei gefühlt. Eines Tages war ich nicht mehr unsicher. Also habe ich einfach angefangen. »With my little titties and my phat belly I could take your man if you finna let me« war die erste Zeile, in die ich mich verliebt habe."
Es ist eine Textzeile, die als eine Erinnerung und/oder als ein Wake-Up-Call funktioniert. Das eigene Befinden darf nicht davon abhängig sein, wie begehrenswert mensch für eine von männlicher Trieberfüllung gesteuerte Umwelt ist. So kommt mensch nicht an, weder bei sich selbst noch sonst wo.
Princess Nokia live
Zur Zeit ist Princess Nokia gemeinsam mit der schwedischen Rapperin Gnučči auf Tour, und die beiden werden am kommenden Freitag, den 14.10., beim Club BLISS im Opera Club in Wien spielen.
Nokia spricht darüber, dass Frauen immer noch im größeren Ausmaß unter den tradierten Vorstellungen leiden, was es genau bedeutet, diesem oder jenem Geschlecht anzugehören. Das Ausmaß der Diskriminierungen und der Einschränkungen verstümmelt Körper, die als weiblich definiert sind, immer noch stärker. Sie gibt aber auch zu bedenken, dass auch nicht-weiße Männer wie z.B Rapperkollegen an eine Etiquette, an Codes und Handlungen der Härte und Gewalttätigkeit gebunden werden, die unser aller Leben beeinträchtigt. Und dass auch sie Opfer einer von ihnen mitgetragenen Machokultur sind, die Handlungen und Repräsentationen als kulturellen Status quo, also als "in Ordnung" verkauft, die es aber einfach nicht sind.
Princess Nokia
Jungen und langjährigen Hip Hop-Freunden männlichen Geschlechts, die ich für meine Feldforschung herangezogen und ihnen "1992" vorgespielt habe, fiel unvorbereitet angesichts dieses epochalen feministischen Paradigmenwechsels in puncto Selbstbehauptung und -Beschreibung die Kinnlade herunter und ein gestammeltes "Wie real ist die denn bitte?" kam nur mit letzter Kraft über ihre Lippen. Manchmal war die Reaktion auch ein stummes Blicken auf den Bildschirm, kombiniert mit anerkennend rhythmischen Kopfnicken.
Princess Nokia wurde mit zahlreichen Angeboten bedacht, ihr Album "1992" bei diesem oder jenem Label zu veröffentlichen. Sie hat es aber lieber als Gratisdownload auf ihre Website und auf Soundcloud gestellt. Auf die Frage "Warum?" gibt sie die mir höchst sympathische Antwort: "Weil ich faul bin."
Und weil es - womit sie uneingeschränkt Recht hat - letzten Endes um sie selbst und die Kids geht, die das Album hören wollen. Princess Nokia kann von ihren Live-Gigs und Touren leben. Der zweite Teil der Antwort pusht die Sympathiewerte in noch astronomischere Höhen.
Princess Nokia scheint von jeder Unsicherheit befreit und über jeden fremdinduzierten Selbstzweifel erhaben. Ihre Texte sind klug und geladen mit berechtigtem Zorn. In "Brujas" entwirft sie ihre eigene, historisch-spirituelle Geschichtsschreibung, in der sie afrikanischen, puerto-ricanischen und jüdischen Tanten, Ahninnen und Orishas huldigt und dankt, dass man zu einer Ghetto Witch geworden ist, der niemand Scheiße erzählen kann. Patriarchal-autoritäre Institutionen wirken auf einmal nur noch wie ein düsterer, aber doch auch belächelbarer finsterer Schatten der Vergangenheit.