Erstellt am: 12. 10. 2016 - 17:36 Uhr
Leben und Lieben in L.A.
FM4 In Serie
"Insecure" vibriert vor Energie. Es ist eine kleine, funkelnde Show, in der nicht viel passiert. Das Leben von Menschen um die 30, der Job und das Suchen nach Spaß und so etwas wie vielleicht Erfüllung.
Die vergangenen Sonntag mit großem, nur berechtigtem Pomp angelaufene HBO-Comedy verhandelt bekannte Plotmuster unter frischem Blickwinkel und ist dabei nicht weniger als die breitenwirksame Geburtsstunde eines neuen Stars.
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Die aus Los Angeles stammende Erfinderin, Autorin und Hauptdarstellerin Issa Rae hat die Show gemeinsam mit Larry Wilmore (The Nightly Show, The Fresh Prince of Bel-Air, Black-ish u.v.m.) entwickelt, vage basierend auf ihrer No-Budget-Webshow "Awkward Black Girl". Ein richtiger Titel. "Awkward Black Girl" zeigte in nur wenigen Minuten langen, skizzenhaften Episoden das seltsame Stolpern und Hadern der von Issa Rae dargestellten Titelfigur.
Aus diesem Konzept haben Rae und Wilmore jetzt einen zusammenhängende Geschichte gestrickt, "Insecure" zu einer stylischen, liebevollen, tonal recht einzigartigen und, ja, coolen Show aufgerüscht.
Eine Show, die in den 8 rund 30-minütigen Folgen der ersten Staffel nicht zuletzt der Frage nachspürt, was denn heutzutage so etwas wie "afroamerikanische Identität" bedeuten könnte. Gewitzt und unaufgeregt, beiläufig, komplett albern, realitätsnah, steil überzogen.
Ohne eindeutige Antworten freilich. Das Aushebeln von Klischees und Erwartungshaltungen, bei gleichzeitiger unbedingter Aufrechterhaltung von Werten und eigener History. Liebe, Sex, Dating-Troubles, Party in Süd-Los-Angeles. Ein lustvoll zuckender HipHop-Soundtrack und der Versuch, dann doch irgendwie erwachsen zu werden.
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Issa Rae gibt die ebenfalls Issa genannte Hauptfigur voll quirligem Elan, selbstsicher, zerknirscht, voller Saft und Humor, selbst beim Abwägen ihrer Unsicherheiten scheint sie überzusprudeln, auch die Momente des stillen Reflektierens und Zauderns glühen.
Issa arbeitet in "Insecure" bei einer Non-Profit-Organisation, die sich um Projekte, Weiterbildung, Freizeitaktivitäten für sozial benachteiligte Kids an Problemschulen kümmert. Im Job muss sich Issa immer wieder mit weißen Kollegen herumschlagen, die betont weltoffen versuchen, lässig einen sogenannten "Black Lifstyle" zu adaptieren. Was denn "On Fleek" bedeute, fragen sie Issa, oder schlagen die großartig neue Idee vor, die Kids mit "HipHop Shakespeare" zu ködern: "Othello", eine interracial Romance - das wäre doch was.
Im Zentrum von "Inscecure" steht das Verhältnis von Issa zu ihrer besten Freundin Molly. Molly ist Anwältin, erfolgreich, gutaussehend, beliebt, stets von Männern umschwirrt, dabei doch immer am Jammern und rasant gekränkt, sollte sie einmal nicht Mittelpunkt des Geschehens sein. Issa ist eher der laidback Humortyp.
Auch hier: Eine völlig greifbare Dynamik, mit allen Wirrungen und Wendungen, Streitereien und Versöhnlichkeiten. Die Charaktere mögen zunächst als recht klar geschnitzte Stereotypen daherkommen, entwickeln aber im Laufe der vorab zur Verfügung gestellten ersten sechs Episoden schnell ein vielschichtiges Profil.
Und so ist "Insecure" insgesamt eben nicht bloß easygoing und locker-flockig. Und bemüht den mittlerweile bestens durchgekauten Humor der "Awkwardness" auch bei allem Überschwang gut dosiert.
Oft lebt die Show von einem melancholischen Ton, spiegelt das ständige Vorhandensein von Sexismus und Rassismus im Alltag schmucklos, dabei nicht resignierend. Gibt der Idee von Empowerment, als Frau, als Afroamerikanerin, konstant Feuer.
Oder erzählt von dem Gefühl, zu meinen, dass eine langjährige Partnerschaft wohl nirgends mehr hinführen dürfte. Auch werden in weiterer Folge die Männerfiguren der Serie - vor allem Issas Boyfriend Lawrence, langzeitarbeitsloser, nahezu verglühter Couch-Sitzer, und Daniel, langjähriges Objekt der Begierde und heißer Rap-Produzent - zum Leben erwachen.
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Auch die Motive Arbeit und Arbeitsmarkt, Chancen und Möglichkeiten, soziales Gefälle und die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf die sexuelle Attraktivität eines Gegenübers werden ohne falsches Schmalz ins Themengeflecht eingepasst. Wir hören von Knicks in der Karriere und erfahren von der Wertigkeit unterschiedlicher Dating-Apps.
Es ist wahr, auch bei leisen Schwankungen und da und dort einen Touch zu cute ausgestellter Putzigkeit: "Insecure" ist eine Show des Jahres. Bittersweet, modern, eigensinnig. Wie wir leben wollen und der alte Umstand, dass es oft nicht ganz so hinhauen mag, erzählt von einer neuen Stimme, mit Zuversicht und Strahlen.