Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Blackout: "Wir sind nicht vorbereitet""

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Lukas Lottersberger

Politik, Alltägliches und andere Kuriositäten.

14. 10. 2016 - 10:29

Blackout: "Wir sind nicht vorbereitet"

Cybersecurity-Experte Herbert Saurugg hält das Szenario eines europaweiten Blackouts für durchaus realistisch. Vorbereitet sind wir aber nicht. Im Interview erklärt er, was Truthähne damit zu tun haben und wie der Worst-Case-Blackout aussehen könnte.

Herbert Saurugg hat viele Jahre beim österreichischen Bundesheer im Bereich Cybersicherheit gearbeitet. Während seines berufsbegleitenden Studiums befasste er sich mit Cybervorfällen, etwa Hackerattacken, und Krisenmanagement. Als die Debatte über Smart Meter – die "intelligenten" Stromzähler – begonnen hat, fesselten ihn die komplexen Zusammenhänge und die potenziellen Probleme, die mit steigender Vernetzung auftreten können.

Symbolbild Stromtrasse

flickr/Ralph Kuehnel

Eine "Stromstraße" in Deutschland (CC BY 2.0)

Seitdem erforscht Herbert Saurugg komplexe Systeme und Netzwerke, gibt Vorträge und schreibt u.a. in seinem Blog darüber – und über das Szenario eines europaweiten Blackouts. Dabei habe er festgestellt, dass es nicht erst in Zukunft ein Problem geben werde, sondern bereits heute. Für das Szenario eines europaweiten Blackouts seien wir nicht vorbereitet, weder Einsatzkräfte, noch Privatpersonen. Einen Grund zur Panik sieht er aber nicht.

Lukas Lottersberger: Sie forschen an "komplexen Systemen". Was versteht man denn genau darunter? Dabei geht es ja nicht nur um das Stromnetz, oder?

Herbert Saurugg, Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen

Andreas Wastian

Herbert Saurugg: Durch die steigende technische Vernetzung entsteht immer mehr Komplexität, die uns im Alltag durchaus begleitet. Meistens wissen wir aber nicht, was damit verbunden ist. Komplexität bedeutet Nicht-Linearität – das heißt, ich kann Dinge schwer vorhersehen. So entsteht ein Problem mit dem Risikomanagement.

Es herrscht das Prinzip "Kleine Ursache, große Wirkung", und die Dynamik steigt. Das ist, was wir als "komplex" bezeichnen. Im Infrastrukturbereich hat das eine ganz andere Wirkung, weil unsere Steuermöglichkeiten sinken und die Gefahr, dass irgendwo ein größerer "Patschen" passiert, einfach steigt.

Es steigt also die Gefahr eines Dominoeffekts?

Ich würde es nicht mehr als Dominoeffekt bezeichnen, sondern als Kaskadeneffekt oder Kettenreaktion. Ein Dominoeffekt läuft eher linear ab – vorhersehbar. Eine Kettenreaktion kann hingegen sehr rasch zum Chaos führen.

Wenn beispielsweise der Strom ausfällt, dann gibt es zuerst einen Dominoeffekt im Stromversorgungssystem. Wenn aber die anderen Infrastrukturbereiche betroffen sind, dann wird das zur Kettenreaktion und viele wechselseitige Abhängigkeiten treten zutage, die wir im Alltag nicht wahrnehmen.

Wenn man sich die Stromversorgung in Europa anschaut: Wo gibt es denn Schwachstellen, dass es zu so einer Kettenreaktion bzw. einem flächendeckenden Stromausfall kommen kann?

Für die meisten Menschen kommt der Strom ganz selbstverständlich und zuverlässig aus der Steckdose. Das Problem ist, dass wir in den letzten Jahren sehr viel umgebaut haben und wir es nicht wahrnehmen. Wir haben ein großtechnisches System aufgebaut gehabt für einfach berechen- und steuerbare Großkraftwerke.

Jetzt, mit der Energiewende, kommt es zu einer Dezentralisierung der Erzeugungslandschaft. Wir haben z.B. vor zehn Jahren in Deutschland rund tausend Kraftwerke gehabt, heute sind es allein 1,6 Millionen Photovoltaikanlagen. Da gibt es also viele Veränderungen im Stromsystem, die diese Komplexität steigern.

Windpark, Windkraftwerke

flickr/Philip May

"Die Energiewende ist aus derzeitiger Sicht alternativlos", sagt Herbert Saurugg. (CC BY-SA 2.0)

Ein anderes Thema, das massiv reinspielt, ist der Markt: Es gibt z.B. den "Energy-only-Market" – das heißt, es wird an der Börse der Strom gehandelt, als wäre er überall gleich verfügbar. Aber wir wissen ja, dass das technisch nicht stimmt. Ich brauche Leitungen, Infrastruktur, einfach die physikalischen Voraussetzungen. Wenn der Markt den Strom so handelt, als wäre er ohne Infrastruktur, dann entspricht das nicht der Realität und bringt das System zusätzlich an die Belastungsgrenze.

In der Politik werden ebenfalls diese physikalischen Belastungsgrenzen häufig ignoriert und Entscheidungen getroffen, die so nicht haltbar sind. Das Problem ist, dass diese Dinge von verschiedenen Seiten zunehmen. Damit steigt auch die Gefahr, dass die falschen Dinge zum falschen Zeitpunkt eintreten und das System nicht mehr beherrschbar ist.

In Deutschland hat man heuer schon gesehen, dass man den Strombedarf mit alternativen Energien schon fast zu 90 Prozent decken kann. Aber eben nur, wenn das Wetter mitspielt. Wie gefährlich sind diese Schwankungen?

Die Energiewende ist aus derzeitiger Sicht alternativlos. Wir müssen den Weg von der fossilen zur erneuerbaren Energie schaffen. Das Problem ist derzeit noch, dass wir weiterhin großtechnisch denken und versuchen, alles großtechnisch zu lösen. Aber die Energiewende erfordert auch ein dezentrales Versorgungssystem und derzeit ist der Fokus nur auf der Erzeugung. Das ist zu wenig.

Wir müssen die gesamte Struktur im Hintergrund – Netze, Speicher, Steuerung – umbauen, weil das nicht mehr zentralisiert funktionieren kann. Das ist auch ein Kennzeichen von Komplexität.

Das andere Thema ist eben die scheinbare Energieautarkie. Es gibt zwar zu einzelnen Augenblicken die Möglichkeit, dass Deutschland bereits seinen Strombedarf fast zur Gänze mit erneuerbaren Energien decken könnte. Das Stromversorgungssystem funktioniert aber nicht über einen Zeitraum gerechnet, sondern im Augenblick. Es muss zu jedem Zeitpunkt das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden. Wenn das nicht der Fall ist, kommt es zum Blackout. Durch diese [wetterbedingte] volatile Einspeisung, steigt die Gefahr, dass das System kollabiert.

Ist die Aufgabe, das Gleichgewicht zu halten, schwer bzw. steht man da oft an der Kippe?

Die Aufgabe ist täglich notwendig, jetzt in der Wintersaison werden die Eingriffe wieder steigen. Im Sommer hingegen war es durch das Wetter eher stabiler. Allein in Deutschland wurden letztes Jahr über eine Milliarde Euro für diese täglichen Netzeingriffe ausgegeben. Das ist die monetäre Seite. Aber auch die Anzahl der Eingriffe steigt seit Jahren. Auch die Auswirkungen der Eingriffe steigen. Eigentlich zeigt alles auf Sturm.

Gibt es so etwas wie Stresstests für Kraftwerke?

Ja, die Netzbetreiber betreiben auch einigen Aufwand um einen Ausfall zu verhindern. Es gibt regelmäßige Trainings an Simulatoren, um den Netzwiederaufbau zu üben. Da wird schon einiges gemacht, aber das kann letztendlich einen Ausfall nicht verhindern. Was viel fataler ist, ist die andere Seite: Die Bevölkerung, die auf so eine Situation überhaupt nicht vorbereitet ist.

Wie wahrscheinlich ist denn so ein großflächiger Netzausfall überhaupt?

Die Wahrscheinlichkeit beruht auf Erfahrung aus der Vergangenheit. Das letzte Blackout in Europa hat es 1976 gegeben, also vor vierzig Jahren. Daher könnte man sagen: "Die Evidenz sagt, es gibt keine oder kaum eine Wahrscheinlichkeit." Aber so missachtet man die sich sonst ändernden Rahmenbedingungen, und das könnte eine böse Überraschung mit sich bringen.

In der Fachwelt wird das gerne als "Truthahn-Illusion" bezeichnet: Der Truthahn gewinnt mit jeder Fütterung das Vertrauen in seinen Besitzer, weil der es ja nur gut meint. Aber es fehlt dem Truthahn die wesentliche Information, dass die Fütterung nur einem Zweck dient: Nämlich, dass er im Backrohr landet.

Wie kann denn so ein Szenario aussehen, wenn der Strom tatsächlich großflächig ausfällt?

Bei dem überregionalen Szenario wird Infrastruktur wie Strom, Wasser, Abwasser zeitnah ausfallen. Speziell die Telekommunikation wird in kürzester Zeit ausfallen. Falls nicht unmittelbar durch den Stromausfall, dann durch Überlastung. Die Gesellschaft wird in Kleinstrukturen zerfallen. Wir können uns nur noch lokal organisieren – Hilfe zu holen wird nur mehr sehr eingeschränkt bis gar nicht mehr möglich sein.

Es erfordert also ein komplett anderes Denken, als wir es bisher bei Katastrophen gewohnt sind. Das fällt auch den Einsatzorganisationen schwer, weil die es auch gewohnt sind, dass die Kommunikation funktioniert. Auch wenn das Funksystem noch eine Zeit lang funktioniert, kann man nicht alles darüber abwickeln.

Wie sieht das Worst-Case-Szenario aus?

Es würde eben die Telekommunikation zeitnah ausfallen, Aufzüge bleiben stecken, im Winter in den Skigebieten auch die Skilifte. Da gibt es zwar Notmaßnahmen, wenn einer stehen bleibt, aber nicht, wenn alle stehenbleiben. Sollte ich dann aber die Leute aus dem Lift befreit haben, dann kommen sie in ein finsteres, kaltes Hotel, wo die Vorräte wahrscheinlich auch nur bedingt vorhanden sind.

Skilift

flickr/Jonas Bengtsson

Was tun, wenn alle Skilifte stehenbleiben? (CC BY 2.0)

In den Städten würde es zum Verkehrskollaps kommen, Öffis fallen aus, Ampeln fallen aus. Bis hin zu den Tankstellen, die nicht mit Notstrom versorgt sind. Zudem brauchen viele Tankstellen auch eine Datenverbindung zur Zentrale, damit sie abgeben dürfen.

Spitäler sind zwar notstromversorgt, aber es gibt eine Reihe vor Ver- und Entsorgungsabhängigkeiten, die mehrmals täglich durchgeführt werden müssen – und auf das sind wir nicht vorbereitet.

Wie lange würde es dauern, bis Europa an der Kippe steht?

Da gibt es ganz klare wissenschaftliche Aussagen vom Technikfolgenabschätzungsbüro des Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2011, wo die Conclusio war, dass nach spätestens sieben Tagen ein derart großer gesellschaftlicher Schaden zu erwarten sei, dass wir nicht mehr einfach zurückkehren können.

Es gibt aber Unterschiede zwischen Stadt und Land. In der Stadt würde ich einen Kipppunkt nach 48 Stunden erwarten, am Land würde das natürlich länger dauern.

Dort, wo der soziale Zusammenhalt gut ist, wird das viel später eintreten. Daher mein Appell, in dieser Situation zusammenzuhelfen, dann kann man das länger übertauchen.

Im Fall dieses Horror-Szenarios: Was wäre denn ein sicherer Ort, an den man sich zurückziehen kann?

Ich glaube, in Mitteleuropa gibt es keinen sicheren Ort. Natürlich, wenn man sich am Land oder am Berg zurückzieht, wird es länger sicher sein. Aber das Horror-Szenario, dass der Ausfall über Tage und Wochen geht, wird dazu führen, dass auch andere diese Orte aufsuchen werden – dort, wo noch Licht, Rauch oder etwas anderes feststellbar ist.

Wir sollten aber auch nicht diese Extremvarianten andenken, sondern es reicht schon, wenn wir versuchen die einfachen Szenarien zu bewältigen. Das würde mit relativ einfachen Maßnahmen bewältigbar sein.

Welche fünf Dinge würden Sie auf jeden Fall mitnehmen, wenn alles den Bach runtergeht?

Eine Taschenlampe, genug zu trinken und zu essen, eventuell Medikamente, ein Ausweisdokument wäre ganz gut. Und ein Radio.