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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

12. 10. 2016 - 14:15

Wie man Nähe schafft

Was ein Teambuilding-Wochenende mit Eugène Ionesco zu tun hat

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov und sein satirischer Blick auf das Zeitgeschehen - jeden Mittwoch in FM4 Connected und als Podcast.

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"Das ist ein Ei. Man sagt, dass ein Ei eiförmig ist, da es die Form eines Eis hat. Ein Ei wurde aber nicht eiförmig gemacht, seine Eiförmigkeit ist vollkommen natürlich." - Das ist ein Zitat vom Monolog "L’avenir est dans les Œufs (Die Zukunft liegt in den Eiern)" von Eugène Ionesco.

Ich habe daran gedacht, als ich meine liebe M zum Teambuilding verabschieden sollte. Eine Kindheitserinnerung kam in meinem Gedächtnis hoch: Immer, wenn mich meine Mutter zur Klassenfahrt schickte, steckte sie zwei hartgekochte Eier in meinen Rucksack. Die Wörter "Exkursion" und "Eier" sind für mich für immer verbunden. Deshalb kochte ich auch für M zwei Eier und versuchte sie ihr zu übergeben. Sie nahm sie nicht. Sie fuhr weg und die beiden Eier blieben auf dem Küchentisch liegen – zwei weiße Eier auf einem schwarzen Tisch.

2 Eier

Pixabay / PublicDomainPictures / CC0 Public Domain

Das Ziel vom Ms Teambuilding war, Nähe zwischen all ihren KollegInnen aufzubauen. Sie müssten in ihrer Freizeit miteinander interagieren, da sie in der Arbeitszeit nicht die Möglichkeit hätten, sich näher kennenzulernen. Ich habe mich immer gefragt, warum Beamte einander besser kennenlernen sollen. Was soll genau daraus werden? Werden sie einander danach ihre Aktenmappen besser und verantwortungsvoller übergeben?

Was interessiert es M, dass ihr Kollege X 1998 ein Fan von irgendeiner Serie war, die gerade im österreichischen Fernsehen lief? Laut M haben alle über Serien geredet, die sie nicht kennt und sie hat sich beim Teambuilding immer einsamer und isolierter gefühlt. Das ganze Teambuilding hat sich für sie wie ein Stück von Ionesco angefühlt. Man spricht in einer gemeinsamen Sprache, aber jeder versteht etwas anderes. Das Teambuilding war wie ein absurdes Theater.

Eugene Ionesco

Felipe cuesta / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Währenddessen beobachtete ich, wie die Kollegen eines meiner Nachbarn, der in einer Autowerkstatt arbeitet, ihm halfen das Klavier seiner Tochter in die Wohnung zu tragen. Das ist keine leichte Aufgabe, man braucht außer Kraft auch gute Koordination. Das Klavier passte nicht in den Aufzug hinein und die Stiegen waren zu eng. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie froh diese Menschen waren, als sie endlich das Klavier ins Zimmer hineinbrachten. Die ganze Klavierträgergruppe saß auf dem Boden und die Tochter versuchte "Waltz 2" von Schostakowitsch zu spielen. Sie tat sich schwer, aber die frohen Blicke aller Menschen im Raum ermutigten sie. Nach dem dritten Mal spielte sie es ohne Fehler. Alle fühlten sich nah zueinander.

M kam hungrig nach Hause zurück. Vom vielen Reden war ihr keine Zeit zum Essen geblieben. Die Eier warteten auf sie auf dem Tisch. "Für das Aufessen eines Eis braucht man drei bis sechs Bisse", sagt Ionesco.