Erstellt am: 10. 10. 2016 - 14:22 Uhr
Neues Pixies-Album
Die Pixies eröffnen am 15. November ihre Welttour im Wiener Gasometer.
Es gibt einen richtig gruseligen Moment auf dem neuen Pixies-Album. Der setzt bei den ersten Klängen des Songs "All I Think About Now" ein. Das Intro featured die selbe Gitarrenfigur wie der Pixies-Überhit "Where Is My Mind" aus dem Jahr 1988. Die einsetzende Hook der Frauenstimme greift nicht so weit nach oben im Register, aber auch hier ist das Vorbild eindeutig "Where Is My Mind". Die Absicht dahinter ist offensichtlich. Nach dem lieblos aus mehreren lieblosen EPs zusammengeschusterten Vorgängeralbum mit dem unterirdischen Titel "Indie Cindy" (2014), wollten Black Francis und seine Pixies Wiedergutmachungsarbeit am leidenden Fanherzen betreiben.
Travis Shinn
Dass jenes am liebsten zum gewohnten Rhythmus der alten Hits schlägt, hat sich im Rock’n’Roll als retromanische Konstante erwiesen und ist die eine Sache. Sich darüber mit einem drögen Album auch noch lustig zu machen die andere. Schließlich war man 2004 künstlerisch eher unambitioniert aus der Indie-Rente zurückgekehrt, um als dauertourende Band eine Grateful-Dead-Existenz minus Variationsreichtum anzustreben.
Dass der Entscheidung, sich 2004 noch einmal zusammenzuquälen, die gar nicht so niedrige Motivation der Überlebenssicherung der meisten Bandmitglieder zugrunde lag, war bereits der Rock-Doc loud Quiet loud zu entnehmen. Dort erfuhr man, dass sich Schlagzeuger David Lovering in der Zeit nach dem Split 1994 erfolglos als Zauberkünstler versuchte, während sich Gitarrist Joey Santiago u.a. mit Shoppingcenter-Gigs über Wasser hielt und Black Francis durch unzählige Soloprojekte stolperte. Einzig der Bassistin Kim Deal gelang mit ihrer Band Breeders und dem Bassgitarren-Königsriff des Indie Rock in "Cannonball" ein weltweiter Hit.
Trump Le Monde?
Pixiesmusic
Vor zwei Jahren hatten dann Kim Deal und die Restpixies genug voneinander. Frontmann Black Francis verbrannte kurz nach Deals Abgang in einem Interview alle Brücken, indem er ihren Anteil am Erfolg der Band dermaßen runterspielte, dass er sich selbst als "Trump Le Monde" entlarvte (man verzeihe mir die Verknüpfung der Pixies-Diskographie mit der aktuellen politischen Diskussion).
Und deshalb ist der gruselige Moment auf dem neuen Pixies-Album so gruselig: Black Francis hatte die Deutungshoheit von "Everything I Want Now" Paz Lenchantin, der Nachfolgerin von Kim Deal an Bass und Stimme, überlassen. Und die sagte beim FM4-Interview in Berlin prompt ins Mikro, dass sie das Stück als Hommage an Kim Deal verstanden wissen wolle. Black Francis delegierte seine Entschuldigung also an die Nachfolgerin und legte ihr dann ziemlich platte Worte in den Mund. "I try to think about tomorrow, but I always think about the past", lauten die ersten Zeilen dieses halbherzigen Rührstücks, das auch in den folgenden Versen nicht besser wird.
Was die ganze Sache noch gruseliger macht: Wie zum Beweis des Disses im besagten Interview klingen die Bassläufe und Gesangsparts auf "Head Carrier" genau so, als würden sie von Kim Deal stammen. Keine Ahnung, was die notorisch Unrunde davon hält, aber es wirkt wie eine Verhöhnung auf Albumlänge. Vielleicht ist es aber auch nur Ignoranz gepaart mit Pragmatismus im Zeichen der Existenzsicherung als Touring-Band. Und so stellt "Head Carrier" tatsächlich eine versuchte Rückkehr zum Sound der ersten drei Pixies-Alben dar. Nicht nur in "All I Think About Now" treffen wir auf vertraute Riffs, Arrangements und Melodien aus der Pixies-Frühphase.
Alter Sound, alte Form?
Joey Santiago, der Pixies-Mann für die sich schlängendeln und schließlich abstürzenden Gitarrensoli, beantwortet die diesbezügliche Frage ausweichend. Tom Dalgety, der Produzent des neuen Albums, hätte die Band im Studio dazu ermuntert. "He told me: Here is that old guy again - meaning the old sound! And we liked that!", so Santiago im Interview.
Christian Lehner
Nun könnte man sagen, dass die Pixies jedes Recht dazu haben, so zu klingen wie die Pixies. Bloß haben wir es nicht mehr mit jener Band zu tun, die in den späten achtziger Jahren viele Standards definierte, an denen sich Indie Rock bis heute abarbeitet. Die Gegensätze und widerstrebenden Dynamiken sind keine mehr, weil man sie entweder entfernt hat (Kim Deal) und weil "Sex am Straßenrand" (Paz Lenchantin über den Song "Um Chagga Lagga") mit 50+ eher bemüht als romantisch rüberkommt. Der Soundmix des Albums ist so clean und transparent, dass man selbst in den wildesten Soundattacken die Akustikgitarre von Black Francis klar und deutlich hören kann. Mehr Großraum geht nicht. Der surreale Wahnsinn ist solidem Handwerk im Dienste der Nachlassverwaltung auf den Bühnen dieser Welt gewichen.
Dass die Pixies noch immer klasse Songs schreiben können, zeigen Stücke wie der "Tenement Song". Dass sich "Head Carrier" diesbezüglich wesentlich ambitionierter gibt, wird vor allem die treuen Fans freuen. Sie haben statt Black Francis solo (wie auf "Indy Cindy") wieder etwas mehr Pixies bekommen. Für die aktuelle Popmusik gilt: Was heute erwarten, wenn man bereits gestern alles bekommen hat? Am 15. November starten die Rolling Pixies ihre Welttour in Wien. Vielleicht trefft ihr sie irgendwo beim Schnitzelessen, denn auf die hiesige Panier stehen sie gigantic, so Mr. Santiago abschließend im Interview.