Erstellt am: 9. 10. 2016 - 13:00 Uhr
Das bin ich
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Solange erklärt eine nur vermeintlich kleine, beiläufige, private Geste als das Symptom einer Denkweise, das sie eben ist. Solanges Album "A Seat at the Table" ist eine Platte das Jahres - Widerstand, Empowerment, die Faust gegen den Rassimus und den Sexismus, Soul als die göttliche Revolutionsmusik.
Dem Stück "Don't touch my hair" gelingt das wundersame Kunststück, von einem knapp skizzierten Szenario auf einen großen Zusammenhang, ein vergiftetes System hinauszuleiten.
Es zeugt nicht bloß allgemein und generell tendenziell von schlechten Manieren, jemandem ungefragt ans Haar zu fassen. In einer weiß dominierten Gesellschaft transportiert der Wunsch, einer afroamerikanischen Frau mal so neugierig das "wilde" Haar streicheln zu dürfen, die Vorstellung, dass man sie nach wie vor als das Fremde, als Spektakel begreift.
Solange muss sich ihr Haar nicht nach europäisch geprägten Mustern zurechtmachen, sondern trägt es stolz, wie eine Krone, wie sie in "Don't touch my hair" singt. "You know this hair is my shit", heißt es da auch immer wieder.
Solange
Produziert hat Solange "Don't touch my hair" unter anderem gemeinsam mit Oberproducer Dave Sitek von TV on the Radio und Patrick Wimberly von Chairlift. Es ist ein Lied geworden, das dann auch gar nicht mehr in solchen Kategorien wie R'n'B, Neo-Soul, Pop, Club und Post-Elektronik denken muss. Der englische Sänger und Produzent Sampha leiht dem Stück seine Stimme bloß als sachte unterstützendes Element.
Der Song beginnt minimalistisch. Solanges Stimme liegt über einem wattierten Beat, der, langsam, eindringlich, den Herzschlag zu emulieren scheint. Ein Synthesizer, spukhaft, verhallt, wie in Zeitlupe, in weiter Ferne singende Gläser. Nach und nach, unaufdringlich, schleichen sich immer mehr perkussive Elemente in das Stück. Ein Klappern, ein Scheppern, eine da und dort, nur gar selten, nicht überstrapaziert, angeschlagene Kuhglocke.
Das genau ausgemessene Sounddesign des Songs scheint fast schon räumlich nachvollzieh- und greifbar. Vorne, hinten, unten, oben, ein fünfdimensionales Sinneserlebnis. Eine schwache Funkgitarre kommt hinein und fadet wieder aus, spinnethafte Sounds zittern und vibrieren, ganz sanft nur jubilieren später die Bläser, ohne falschen Bombast, vor allem auch dann wenn Solange von ihrer "Glory" singt. Es ist ihre.
So entsteht durch die vielschichtige, reiche, aber eben auch transparente, klare Produktion gleichermaßen ein Gefühl von Nähe und Intimität wie von Distanz, kühler Entrücktheit und Erhabenheit.