Erstellt am: 8. 10. 2016 - 11:44 Uhr
Was soll ich mit der Welt?
Mit einer schnöden Band-Historie oder bloßen Musikerinnen-Biografie haben wir es hier nicht zu tun. Vor gut einem Jahr hat die US-amerikanische Musikerin, Ausnahme-Gitarristin, Autorin, Schauspielerin Carrie Brownstein ihr erstes Buch veröffentlicht: "Hunger Makes Me A Modern Girl" heißt es im englischen Original, benannt nach einem Song ihrer Band Sleater-Kinney. Der Untertitel lautet schlicht "A Memoir".
Jetzt erscheint das Buch in deutscher Übersetzung von Stefanie Jacobs, unter dem etwas verkürzten Titel "Modern Girl", dafür aber mit aufgeblasenem Untertitel: "Mein Leben mit Sleater-Kinney".
Carrie Brownstein/Benevento Publishing
Hinsichtlich der Aufmerksamkeits-Ökonomie, vor allem eben im deutschen Sprachraum, ist diese Aufrüschung nur verständlich – sie transportiert dabei bloß eine halbe Wahrheit: Zwar widmet sich Brownsteins Buch gut zu zwei Dritteln ihrer mythenumrankten Band, es geht aber um viel mehr.
Ab Mitte der 90er-Jahre bis Mitte der Nuller-Jahre - vor gut zehnjähriger Pause und der Reunion vor zwei Jahren - hat das Trio Sleater-Kinney sieben Alben veröffentlicht, Punkrock-Geschichte geschrieben und als eine zentrale Band des Riot-Grrrl-Movements die Themen Geschlechter-, Körper-, Klassendiskreminierung mit knackigen Songs in eine breitere Öffentlichkeit geschmuggelt.
Heute ist Carrie Brownstein vielen vor allen Dingen durch ihre Comedy-Show "Portlandia" – die im Buch nicht verhandelt wird – bekannt, vor Fernsehfame und coolem Rockstar-Ruhm jedoch ist auch sie Teenager und Kind gewesen.
In "Modern Girl" erzählt Brownstein lange und ausgiebig von ihrer Jugend im amerikanischen Nordwesten, zwischen Seattle und Olympia, Washington, dem Erwachen seltsamer Interessen und Gefühle, dem Versuch, irgendwie anders erwachsen zu werden als all die anderen.
Schon früh entdeckt sie ihre Neigung zur Selbstdarstellung. Musikhören und Fan-Sein sind die größten Erleuchtungsserlebnisse – selbst im Mittelpunk zu stehen, das ist dann aber vielleicht doch noch die größere Sensation:
"Ich wollte jemand sein, der die Macht hatte, nach Belieben in die Fantasie anderer hineinzuschlüpfen, der über seine bloße menschliche Gestalt hinauswuchs und zur Projektionsfläche für Sehnsüchte wurde. "
Carrie Brownstein/Benevento Publishing
Carrie Brownstein zeigt sich als Natural Born Performer, wenn zunächst auch ungelenk und von Zweifeln gebeutelt. Schon als Kind und Teenager zieht es sie zum Theatralischen. Sie gründet Coverbands, ohne noch ein Instrument zu beherrschen, schmeißt aufwendige Verkleidungspartys und inszeniert sich als Karaokestar.
Oft lässt sie ihm Buch diese Aktivitäten durchaus als selbstherrlichen Geltungszwang erscheinen, dann wieder als die nötigen Gegenmittel gegen Außenseitertum, Einsamkeit und Teenagerverwirrungen. "Falls meine Suche nach Aufmerksamkeit in den folgenden Berichten irgendwie konfus und verbissen wirkt: Sie war es", heißt es da beispielsweise.
Oder auch: "Es ist schwer in Worte zu fassen, wie überwältigend es ist, wenn einem die eigenen Erfahrungen zum ersten Mal aus einem Lautsprecher entgegendröhnen, wie schockierend sich das Wahrgenommenwerden anfühlt, so als wäre es bisher nur eine theoretische Vorstellung gewesen, wirklich real zu sein. Ich hatte das Gefühl, eine Tür ginge auf. Es war eine Offenbarung."
Benevento
Carrie Brownstein erzählt von der Essstörung ihrer Mutter, dem späten Coming-Out des Vaters, ersten Küssen im Ferienlager, stumpfen Gelegenheitsjobs, der in ewiger Warteschleife laufenden Sinnsuche. Das Buch bohrt dabei tief in der Gedanken- und Gefühlswelt der Autorin, oft komisch, oft rührend und schmerzvoll, Brownstein ist dabei nicht darauf aus, sich selbst bloß ein eitles Denkmal zu errichten.
Die zweite Hälfte des Buches beleuchtet dann genau die Karriere von Sleater-Kinney, die Freundschaft und Liebe zu ihren Kolleginnen Corin Tucker und Janet Weiss, die Wirrungen im Bandgefüge. Das Glühen, die Streitigkeiten, das zermürbende Tourleben. Der Ruhm und die Überlegungen, wie sich der wohl mit dem Rebellentum in Einklang bringen lassen könnte.
Jedoch ist "Modern Girl" auch hier kein Buch bloß "für Fans". Bei allem Detailreichtum gelingt es Brownstein immer wieder ihr Buch auf ein universelleres Level zu hieven. Es ist ein Buch über das Leben und seine Komplikationen. Traurig, witzig, geschliffen. Politik, Sexualität, Widerstand, die Troubles mit dem Fame und den eigenen Unsicherheiten. Man kann neue Wege, Angebote, Lösungen finden oder sie sich selbst erkämpfen, die Suche geht weiter.