Erstellt am: 6. 10. 2016 - 20:40 Uhr
Verdichten und Verknappen
Ambros Wegener heißt wie eine Krankheit. Das kann man im Lexikon nachschlagen, Gefäßentzündung mit Knötchenbildung. Obwohl die Krankheit eigentlich nicht mehr so heißt, seit man weiß, dass Wegener, also der, nach dem die Krankheit benannt ist, ein Nazi war.
FM4 Wortlaut 2016
Der FM4 Kurzgeschichten-Wettbewerb.
Thema: "FALLEN"
- Platz 1: David Fuchs: "Fingerfallen"
- Platz 2: Noemi Schneider: "PME"
- Platz 3: Elisabeth Etz: "Nach Vorn"
- Die großen Zehn
- fm4.orf.at/wortlaut
mit freundlicher Unterstützung von
DER STANDARD
Der Gewinnertext wird im Standard abgedruckt.
Ambros Wegener ist nicht krank, auch kein Nazi, sondern mein Sitznachbar in der Schule und geht jetzt direkt vor mir die Treppe hoch.
Wegen der Aussicht, hat der Klassenvorstand gesagt, wegen der Aussicht sollen wir hinaufgehen, und ich habe mir gedacht, nie im Leben gehe ich auf den Petersdom rauf. Aber dann ist Ambros gegangen und ich auch.
Bereits im ersten Satz vergleicht David Fuchs einen Namen mit einer Krankheit. Naheliegend bei ihm. Ist er doch Arzt. Genauer: Onkologe und Palliativmediziner am Keppler Universitätsklinikum in Linz.
Daneben hat der zweifache Vater gerade erst die Leondinger Akademie für Literatur absolviert und ein Arbeitsstipendium des Landes Oberösterreich erhalten.
Zeit zum Schreiben ist daher rar und David ist bereits um fünf Uhr aktiv, während seine Familie noch schläft; er nützt quasi jede freie Minute. Ob im Bus auf dem Weg zur Arbeit oder wann immer sich zwanzig Minuten auftun. Ein oder zwei Absätze durchlesen, was korrigieren oder Korrekturen vom Papier auf den Computer übertragen - für die kleinen Dinge reichen kurze Zeitfenster und das sei auch notwendig.
Für die längeren Schreibphasen, die dann in Stunden gemessen werden, habe er eine verständnisvolle Frau, die ihn sehr unterstützt und ihm das ermöglicht. Anders würde das nicht gehen und anders könnte er glücklicherweise eh nicht arbeiten.
Gerlinde Egger / Radio FM4
Folglich hat David immer was zum Schreiben oder Lesen dabei. Grundsätzlich ist er ein Technikfreak: "Das ist mein Spielzeug." Notizen mache er aber ausschließlich von Hand. "Damit das niemand lesen kann", lacht er. Und gibt zu, dass er eine typisch unleserliche Arztschrift habe - immer schon gehabt habe. Dennoch müssen die Korrekturen auf Papier sein, weil der Medienwechsel wichtig ist. "Auf Papier liest man einen Text ganz anders."
Fallen, Fingerfallen, Einfall
Der Absolvent der Leondinger Akadmie für Literatur hat seine Kurzgeschichte fast lehrplanmäßig verfasst:
Nachdem das Thema "Fallen" bekannt war, hat er mit Stift und Papier ein Brainstorming zum Thema gemacht. "Da sind mir neben einigen anderen Begriffen die Fingerfallen ins Auge gehüpft."
Die beiden Protagonisten, Ben und Ambros, gab es schon - über die hat er schon mehrere Texte verfasst. Gerade schreibt er an einem Roman mit den beiden. "Aber ich hab nicht vorgehabt, mit diesen beiden den Text zu schreiben. Aber das passt dann irgendwie sehr gut."
"Fingerfallen" ist jetzt eher die Vorgeschichte. "Ich schreib an einem Roman mit mehreren Episoden aus deren Leben, wobei aber der größte Teil einige Jahre später spielen wird und die Geschichte der beiden eher tragisch verläuft."
Die Jury
- Marcus Fischer (Wortlautgewinner 2015)
- Hans Platzgumer (Autor und Musiker)
- Teresa Präauer (Autorin und Künstlerin)
- Monique Schwitter (Autorin)
- Andreas Spechtl (Musiker)
Die Jury
"Fingerfallen" war ganz klar die Gewinnergeschichte. Das Lob der Jury war dann auch begeistert. Der Text wurde als "sehr schöne und sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte" bezeichnet, "beeindruckend und auch sehr berührend" und dennoch "sehr konzentriert" in "einer unglaublich konzisen, einer knappen Sprache", bei der nur "die Quintessenz übrig bleibt". "Ein Kondensat von wirklich ein paar sehr starken kleinen Anekdoten und Bildern, die zu einer ganz großen Lebens- und Liebesgeschichte werden."
David Fuchs wiederum ist überwältigt vom Lob. Denn diese Verknappung, das Streichen und Kürzen ist ihm sehr wichtig. Bis vor eineinhalb Jahren hat er nur Lyrik geschrieben. Vom ersten Entwurf bis zum fertigen Text reduziert sich das Geschriebene bei ihm. Im ersten Entwurf müsse er mindestens ein Drittel bis die Hälfte mehr schreiben. Dann kürzt er.
Wörter, Sätze. Absätze. "Des is a bisserl frustrierend. Man freut sich sehr und dann kocht man das ein und es bleibt nur mehr wenig über. Aber das ist letztendlich auch besser für den Text." Und schließlich wird das, was übrig geblieben ist, noch auf seinen Klang hin abgetastet und optimiert.
Der erste Platz bekommt:
- 1.000 Euro
- Veröffentlichung im Wortlaut-Buch, das im Luftschacht Verlag erscheint
- DER STANDARD Goodie Bag
- Ein Jahresabo der Literaturzeitung Volltext
- Ein Jahresabo des Magazins Datum
- FM4 Goodies der Saison
Er habe kürzlich ein Buch von einer amerikanischen Autorin gelesen, die meinte: "Ein Text sollte sein wie ein Bouillonwürfel. So konzentriert und eingekocht und der Leser gibt dann sein Wasser dazu."
Die Fingerfallen hat, glaube ich, die Dani mitgebracht. Alle sitzen am Bett oder auf dem Boden und wollen spielen, auch Ambros.
Das geht so: Jeweils zwei Leute spielen zusammen. Jeder steckt auf einer Seite einen Finger in die Fingerfalle. Und dann geht es darum, wer sich als Erster befreit.
Das ist eigentlich kein Spiel, eher ein Scherzartikel. Und wenn man ein Spiel daraus macht, ist es kindisch. Aber nach dem Bier und den Zigaretten ist es dann doch ganz lustig. Warum Ambros mitmacht, frage ich mich aber schon. Er hat als Einziger hier drin keinen Tropfen getrunken. Ambros trinkt nie. Er hat eigentlich noch nie erzählt, warum, aber ich habe ihn auch nie gefragt.
Fingerfallen - Obacht, Spoiler
Bei Fingerfallen handelt es sich um ein Spiel.
Bis vor Kurzem, also bis er den Text seiner Frau gezeigt hat, habe er geglaubt, dass jeder "Fingerfallen" kenne.
Seine Frau kannte sie nicht.
David ist das Prinzip aus der Medizin bekannt. "Es gibt so Plastikgeflechte, die auch verwendet werden, um einen gebrochenen Arm an den Fingern aufzuhängen. Und das gibt es auch als Scherzartikel."
An das Medizinische habe er nicht gedacht, aber an den Scherzartikel. Man steckt die Finger rein und bleibt erst mal hängen. Was ihm dann gefiel und was für die Geschichte sehr interessant war, ist die Befreiung aus der Falle. Man muss die Finger berühren, sie aneinander schieben, damit sich dieses Geflecht entspannt und man wieder rauskommt.
Musik
Ausgewählte Musik von David Fuchs:
- Two Gallants - "Incidental"
- Thees Uhlmann - "17 Worte"
- The Antlers - "Two"
David Fuchs hört beim Schreiben immer Musik. Auch wenn er sonst sehr viel deutschsprachige Songs hört, lenken ihn beim Schreiben deutsche Texte ab. Das Wesentliche für ihn ist, dass sich ein Lied ständig wiederholt. "Also ich hör dann zwei Stunden den selben Song. Das macht so ein Hintergrundgeräusch und es ist auch zusätzlich nett, dass ich von der Umgebung nichts mehr höre."
So stellt man sich das vor: Der Mediziner sitzt im Bus, hört wieder und wieder den gleichen Song und schreibt nebenbei einen Roman.
Gerlinde Egger / Radio FM4
Fuchsfan
David Fuchs trägt ein T-Shirt mit einem geometrischen Fuchs und outet sich als Fuchsfan. "Den Namen 'Fuchs' hab ich erst seit einem Jahr und deswegen kann ich da noch ein bisschen euphorisch sein."
Er hat den Namen seiner Frau angenommen. Und ist sehr glücklich damit. Das habe auch lustige Reaktionen vor allem in der Arbeit hervorgerufen. "Weil das einfach trotz 2016 bei einem Mann niemand erwartet."
Zuvor hieß er übrigens Mayr (Mit a-ypsilon-r-ohne-e). "Es bringt aber überhaupt nichts, diesen Namen zu buchstabieren - es schreibt trotzdem jeder falsch."
Das Interview mit David Fuchs im FM4 Player 7 Tage nachzuhören.
Mit Lesungen hat David wenig Erfahrung. Aber er hat jeden Abend eine Privatlesung im Kinderzimmer. "Vielleicht mit anderem Inhalt, aber die Sache ist ähnlich."
In diesem Sinn freut er sich auf die Lesung am Freitag, 7. Oktober, bei der FM4 Wortlaut Party im Wiener Phil um 20 Uhr.
Radio FM4