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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

6. 10. 2016 - 13:56

Gänsehaut light

Die "Blair Witch" kehrt ins Kino zurück, und Tim Burton lässt in "Miss Peregrine's Home for Peculiar Children" endlich wieder morbiden Charme aufblitzen.

Für die einen ist es ein Horror-Initialerlebnis, das sie nie vergessen werden. Ein Film, der wie kaum ein Gruselstreifen davor mit der Realität flirtet, der sich als tatsächliches Dokument des Grauens ausgibt, der endlose Albträume provoziert, weil er eben kaum etwas zeigt und dafür die Fantasie stimuliert. Ein Film, der zum Phänomen wurde und das Found-Footage-Genre begründete.

Für andere, wie den Schreiber dieser Zeilen, bleibt vom 1999 erschienenen "Blair Witch Project" nur ein viral aufgeblasenes Nichts übrig. Ich erinnere mich noch bildlich an die Stimmung bei der österreichischen Uraufführung im Rahmen der Viennale. Horden von Menschen, vom Hexen-Hype komplett aufgeganserlt, stürmen damals hysterisch den Saal, wobei einige im Foyer aufgestellte Deko-Pflanzen dran glauben müssen. Der als unfassbar gespenstisch angepriesene Schocker wird dann aber leider der ganzen Aufregung nicht gerecht.

The Blair Witch Project

Lionsgate

"The Blair Witch Project"

Neue Jagd nach der Knusperhexe

Über weite Strecken passiert in "Blair Witch Project" nicht mehr, als dass sich eine Gruppe mühsamer Filmstudenten, angeführt von einer Obernervensäge names Heather, im Wald verläuft. Die endlosen Gespräche, die dabei geführt werden, enervieren bald so sehr, dass man auf ein erbarmungsloses Grauen hofft, das den Smalltalk zum Stillstand bringt. Aber mehr als obskure Reisigbündel, die aus dem Nichts auftauchen, haben die Filmemacher Eduardo Sanchez und Daniel Myrick zunächst nicht zu bieten. Vielleicht, denke ich mir damals angesichts des zähflüssigen Geschehens, bin ich als Hardcore-Horrorfan einfach zu abgebrüht.

Ob man das „Blair Witch Project“ aber verehrt oder belächelt, das Handkameragewackel des No-Budget-Films hinterlässt popkulturelle Spuren. Was man von der Fortsetzung anno 2000 nicht behaupten kann. Dabei versucht "Blair Witch 2: The Book Of Shadows" zumindest ein interessantes Experiment. Eine Gruppe Jugendlicher wagt sich darin, nach dem Kinobesuch von "Blair Witch Project", in die echten Wälder rund um Burkitsville, um den Realitätsgehalt des Films zu überprüfen. Keine gute Idee natürlich.

17 Jahre später marschieren schon wieder junge Menschen durch die angeblich verhexten Forstgebiete in der amerikanischen Provinz. Diesmal geht es nicht um Meta-Ebenen oder einen Film im Film. Regisseur Adam Wingard, der seit großartigen Thrillern wie "You're Next" oder "The Guest" als einer der Hoffnungsträger des Gegenwarts-Horrors gilt, hat ein waschechtes Sequel gedreht. Im Mittelpunkt steht der Collegestudent James, der sich als Bruder der verschwundenen Heather entpuppt. Mit seinen drei besten Freunden will er eine Doku über ihr mysteriöses Schicksal drehen.

Blair Witch

Constantin

"Blair Witch"

Die Found-Footage-Technik, mittlerweile in unzähligen Filmen durchexerziert, präsentiert sich in Adam Wingards Film auf dem neuesten Stand. Der kleine Expeditionstrupp nimmt GoPro-Kameras und Dronen mit in die Natur, es wird in HD herumgewackelt und in Dolby Surround gedreht (der beklemmende Soundmix ist übrigens der wahre Star des Films). Ansonsten wirkt "Blair Witch", wie der neue Waldausflug schlicht heißt, bloß wie ein avanciertes Farbremake des grobkörnigen SW-Originals.

Wir erfahren zwar einen Hauch mehr über die Hexe selbst und sehen sogar Fragmente von ihr durchs Bild huschen. Aber innovative Ideen oder furchterregende Wendungen hat "Blair Witch" leider nicht zu bieten. Es bleibt also, trotz einiger effektiver Schreckmomente, das Gefühl zurück, das alles schon mal gesehen zu haben. Das liebevoll-grausige Recylen der 80er liegt Adam Wingard entschieden mehr als die späten 90er filmisch aufzuwärmen, man hätte die Knusperhexe von Blair doch lieber in Unfrieden ruhen lassen sollen.

Blair Witch

Constantin

"Blair Witch"

Komik, Melancholie und Düsternis kollidieren

Kaum jemand ist wohl weiter von der zittrigen Found-Footage-Ästhetik entfernt als der große Leinwand-Manierist Tim Burton. Wer also das genaue Gegenteil zum Handkamera-Style von "Blair Witch" und die Schönheit im Makabren sucht, darf sich auf dessen neuen Film "Miss Peregrine's Home for Peculiar Children" freuen. Ja, die gute Nachricht: Der Schöpfer von magischen Filmen wie "Ed Wood", "Batman Returns" oder "Mars Attacks!" findet nach dem sterilen Mainstream-Kassenschlager "Alice In Wonderland" wieder zur alten Form zurück. Ein bisschen zumindest.

Jake Portman, die Hauptfigur in "Die Insel der besonderen Kinder", wie Burtons neuer Film bei uns heißt, ist eine dieser prototypischen Figuren, die durch das Gesamtwerk des Regisseurs geistern. Asa Butterfield, der schon in Martin Scorseses "Hugo Cabret" einen ähnlichen Buben spielte, stolpert als schüchterner, blasser, verträumter Außenseiter ausgerechnet durch eine sonnige kalifornische Vorstadt. Als sein Großvater (der monolithische Terence Stamp) auf mysteriöse Weise ermordet wird, macht Jake eine Entdeckung. Es gibt eine geheime, magische Dimension hinter der Wirklichkeit, die sein Opa entdeckt hat.

Miss Peregrine

Centfox

"Miss Peregrine's Home for Peculiar Children"

Jake überzeugt seinen ziemlich mieselsüchtigen Bobo-Vater (Chris O'Dowd) mit ihm ins ferne Wales zu fahren, um dort heimlich ein Portal zur anderen Welt zu suchen. Tatsächlich trifft der Bursche neben einem ausgebombten Kinderspital auf die geheimnisvolle Miss Peregrine. Die seltsame Schönheit, von der umwerfenden Eva Green verkörpert, kümmert sich um eine Gruppe besonderer Kinder, die wegen ihrer bizarren, übernatürlichen Fähigkeiten aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden.

Was sich wie die kindliche Version eines X-Men-Films anhört, ist in Wahrheit die Verfilmung eines erfolgreichen, gleichnamigen Young-Adult-Bestsellers. Vor allem ist "Die Insel der besonderen Kinder" aber ein klassisches Tim-Burton-Epos. Und besondere Kinder spielten in den Filmen des 58-jährigen Regisseurs ja schon immer eine Rolle.

Miss Peregrine's Home for Peculiar Children

Centfox

"Miss Peregrine's Home for Peculiar Children"

"Blair Witch" und "Die Insel der besonderen Kinder" kommen am 7. Oktober 2016 in die Kinos.

Die Story, die angeblich dem Buch recht genau folgt, ist mit ihren Zeitreise-Twists und einer Armee (zugegeben schön-schaurig aussehender) Finsterlinge, die am liebsten Kinderaugen verspeisen, etwas überladen. Der Showdown ermüdet mit überzogenener CGI-Action. Aber über weite Strecken verzaubert „Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children” durchaus mit morbidem Charme, lässt Komik, Melancholie und Düsternis kollidieren. Es macht auch Spaß, spitzenmäßige Darsteller wie Eva Green, Samuel Jackson oder Terence Stamp im exzentrischen Overacting-Szenario eines Tim-Burton-Films zu sehen.