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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

5. 10. 2016 - 20:50

Ben Watt und meine Major 7 Memories

Von Cherry Red über Everything But The Girl und Londons Clubs bis zurück zum Song: Zu meiner letzten Heartbeat-Ausgabe und Ben Watts kommendem Wien-Konzert.

Es war wohl vor 31, 32 Jahren, da saßen meine damalige Freundin und ich (mit Gitarre im Schoß) in einem unserer jeweiligen Kinderzimmer und hörten die LP „Eden“ von Everything But The Girl.

Ich muss zugeben, ich war immer der Bremser, wenn es um diese Plattenwahl ging, wollte lieber meine zornige Bubenmusik hören, aber der sanfte Charme dieser LP war am Ende stärker, und ich gab immer lieber nach.

Denn der blasierte Ton, in dem Tracey Thorn eine Zeile wie „Being pushed about is nothing much to shout about, I know“ vortrug, sprach von überspielten Verwundungen, die ich als Teenager, der eine Maske des Souveränen trug, nur allzu gut nachvollziehen konnte.

Und dann war da ganz am Ende der Platte die Nummer Soft Touch, die die andere Hälfte dieses musizierenden Pärchens, der Gitarrist Ben Watt sang:

„There's a suitcase gone and there's an empty drawer
There's a broken cup lying on the floor
There are questions asked in the house tonight
There's a wife been involved in a pillow fight
There's a husband there who she hardly knows
There's a patched up dream for a winter rose
There's a soft touch finally come to blows“

Das war das Politische im Persönlichen, "questions asked in the house", die Anspielung auf eine parlamentarische Anfrage und die ein paar Zeilen vorher gesungenen Worte "the war is cheap", zwei Jahre nach dem Falkland-Krieg, genügten damals, um die Geschichte zweifelsfrei in der Trostlosigkeit von Margaret Thatchers Großbritannien anzusiedeln.

Ich wusste nicht, dass Thorn und Watt, beide aus dem Raum London kommend, sich bei ihrem Studium im besonders trostlosen Hull kennengelernt hatten, aber man konnte förmlich den Teerlack auf den Gitterstäben riechen, der damals Britanniens suburbanes Aroma prägte.

Ich rieche ihn auch heute noch, wenn ich dieses von Tonartwechsel zu Tonartwechsel unausweichlich bis zu seiner Konklusion kreisende Lied höre.

Mein Gitarrelehrer, ein Klassik- und Jazz-Rock-begeisterter Mittzwanziger in einer nach exotischem Tee duftenden Ein-Zimmer-Wohnung in Margareten (er arbeitet heute im Wiener Konzerthaus) war ziemlich verärgert darüber, dass die Leute zu dieser Musik „New Jazz“ sagten, denn mit Jazz im improvisatorischen Sinn hatte diese Musik rein gar nichts zu tun.

Aber es gefiel ihm, dass ich mir davon die Major-7-Akkorde abkupferte, mit denen Everything But The Girl so unmissverständlich auf eine Welt jenseits des Rock'n'Roll mit seinen Bluesskalen und kleinen Septimen verwiesen.

Irgendwann hatten wir dann auch „Pillows & Prayers“, die Picturedisc-Compilation des Labels Cherry Red, auf deren A-Seite eine Solo-Nummer von Tracey Thorn und eine von Ben Watt drauf waren, gefolgt von einem Kevin Coyne-Song, mit einer Nummer von Thorns früherer Band Marine Girls und einer frühen Everything But The Girl-Nummer auf der B-Seite.

Ich erfuhr daraus, dass die beiden eigentlich von der Independent-Label-Welt her kamen. Diese Aufnahmen legten die Lo-Fi-Wurzeln unter dem geschmackssicheren Latin-Glamour von „Eden“ frei und verliehen Everything But The Girl im Nachhinein eine Erreichbarkeit, die dem durchgestylt glitzernden Mainstream-Pop der Achtziger Jahre so oft abzugehen schien (darin lag schließlich eine der unwiderstehlichen Qualitäten der sich zu jener Zeit erst definierenden Indie-Ästhetik).

Ben Watt

Robert Rotifer

Ben Watt letzte Woche in seinem Büro in Clerkenwell

Ben Watt in Wien
13. Oktober 2016, Theater Akzent

Erst drei Jahrzehnte später erfuhr ich aus Tracey Thorns Memoiren „Bedsit Disco Queen“, dass Mike Alway, der legendäre A&R-Mann von Cherry Red, sie und Ben Watt zusammengebracht hatte, während sie – beide waren Solo-Acts seines Labels – zufällig auf der gleichen, provinziellen Uni studierten.

Ein Jahr nach Thorns Buch sollte „Hendra“, Ben Watts zweites Soloalbum seit 1982, erscheinen, und obwohl die Lead-Gitarre von Bernard Butler seine jazzigen Folk-Songs schließlich doch in einen Rock-Kontext stellte, schien sich damit ein Kreis zu schließen, der praktisch die ganze Popgeschichte seither umfasste.

Thorn hatte auf „Café Bleu“ von Paul Wellers Style Council gesungen, ein Jahrzehnt später war sie auf Massive Attacks „Protection“ aufgetaucht, bevor sich Everything But The Girl 1995 mit ihrem Welthit „Missing“ als House-Pop-Duo neu erfanden.Stille

In der Zwischenzeit hatte Ben Watt jene lebensbedrohende Autoimmunerkrankung erlitten, die er 1996 in seinem wunderschön geschriebenen Buch „Patient“ beschrieb. Nach seiner Rekonvaleszenz und Everything But The Girls zweitem Sommer stürzte er sich kopfüber in die lebensbejahende Welt der Dance Music, begann ein neues Leben als Deep House-DJ, Club-Veranstalter (Lazy Dog, Neighbourhood, Cherry Jam) und Label-Betreiber (Buzzin' Fly).
In seinen vielen Rollen war der heute 53-jährige einer der unauffälligsten aber – in aller Stille – wesentlichsten Architekten der britischen Popkultur der letzten 34 Jahre.

Nach „Romany & Tom“, einem 2014 veröffentlichten Buch über seine Eltern, die gescheiterte Schauspielerin und den gescheiterten Big-Band-Leader, kehrte Watt also mit „Hendra“ zur Gitarre und zum Song zurück.

Ich interviewte ihn damals für meine Heartbeat-Sendung, auf meinen Blog dazu bin ich gerade beim Abspeichern dieser Story gestoßen. Er liest sich teils nicht so unähnlich dazu, was ich heute hier schreibe.

Heuer jedenfalls erschien „Fever Dream“, ein Album, das sich wie eine Fortsetzung von „Hendra“ anfühlt.
Schon letztes Jahr hatte ich Ben wegen eines möglichen Konzerts in Wien kontaktiert und war einstweilen bis zum Release des neuen Albums vertröstet worden.

Und jetzt, am Donnerstag, dem 13. Oktober, wird Ben Watt dieses Versprechen tatsächlich einlösen und beim nunmehr dritten Abend der als Zusammenführung meiner beiden musikalischen Welten in Großbritannien und Wien gedachten, sporadischen Konzertserie „Home in a Heartbeat“ im Theater Akzent ein seltenes Solo-Konzert geben (Es ist allerdings bei weitem nicht sein erstes Mal in Wien, er soll dort vor vielen Jahren mit einem gewissen Herrn Kruder abgehangen sein).

Als das Theater und die Agentur Medienmanufaktur mir anboten, diese Konzerte mit anderen Künstler_innen aus Großbritannien und Österreich zu spielen und zu organisieren, war sein Name als erster auf meiner Wunschliste gestanden.

Ich muss hier also mein persönliches Interesse hinter diesem Blog und meiner letzten Heartbeat-Sendung deklarieren, in der ein mit seiner Musik und deren Einflüssen illustriertes, neues Interview über seinen Werdegang zu hören war. Ich habe selten so befriedigendes Hörer_innen-Feedback erhalten. Was wenig wundert, schließlich erzählt Ben Watt so schön wie er spielt und singt.

Man kann die Sendung hier bis Sonntag nachhören.
Man kann Ben Watt aber auch am 13. Oktober mit Rozi Plain, Marilies Jagsch und meiner Wenigkeit, im Theater Akzent live spielen sehen.

Allerdings, die angestrebte saubere Trennlinie zwischen dem Musikmachen, dem Radiomachen, dem journalistischen Musikbeschreiben und dem Ermöglichen und Veranstalten war wohl immer eine künstliche, schließlich gehört im Leben alles davon so eng zusammen.

In diesem Fall überschreite ich sie aber für eine Mission, die auf mein Teenager-ich und alle möglichen Sätze zurückgeht, die mit „Ohne Ben Watt wäre/hätte ich nie...“ beginnen.

Hier geht es also nicht wirklich um Werbung, sondern schlicht um den Grund, warum ich hier bin.

Und ja, ich freue mich wie ein Teenager darauf, einen Donnerstagabend mit Ben Watt und mit Leuten zu verbringen, denen es genauso geht.

Ben Watt

Robert Rotifer

Die Playlist zur Ben Watt-Spezialsendung:

Heartbeat, 3.10.2016

Artist Titel Label
Tim Hardin Never Too Far Repertoire
Gruff Rhys Set Fire to the Stars Twisted Nerve
Julia Jacklin Leadlight PIAS
Fräulein Hona Hamburg Blues Fräulein Hona
Rozi Plain Five Beans Lost Map
Ben Watt Between Two Fires Unmade Road
Ben Watt Running With The Front Runners Unmade Road
Ben Watt Hendra Unmade Road
John Martyn Solid Air Island
Nick Drake Three Hours Island
FJ McMahon Sister Brother Cherry Red
Jim Sullivan U.F.O. Light in the Attic
Ben Watt Cant Cherry Red
Kevin Coyne Old Soldier Virgin
Ben Watt A Girl in Winter Cherry Red
Joy Division New Dawn Fades Factory
Ben Watt Lucky One Cherry Red
Ben Watt Walter and John Cherry Red
Brian Eno Here He Comes Virgin
Everything But The Girl Bittersweet Blanco Y Negro
Everything But The Girl Soft Touch Blanco Y Negro
Peshay Psychosis Metalheadz
Ben Watt Women's Company Unmade Road
Magana Get it Right Audio Antihero