Erstellt am: 5. 10. 2016 - 15:19 Uhr
Ritt durchs Uncanny Valley
Die vergangenen Sonntag angelaufene HBO-Show "Westworld" ist der Serien-Blockbuster der Saison, stolz clever darauf angelegt, der semi-philosophisch geladene Talk-Stoff und Theorien-Generator der näheren Zukunft zu werden.
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Hinsichtlich Bombast, obszön ausgeleuchteter Materialschlacht, großzügig verspültem Produktionskapital und beachtlichem Ensemble (u.a. Evan Rachel Wood, Thandie Newton, Ed Harris, Anthony Hopkins, James Marsden) im Vorfeld verlässlich als "neues 'Game of Thrones'" angekündigt – und in Anbetracht der Quoten des Piloten wird "Westworld" auch der von HBO heiß ersehnte neue Megaseller werden.
Während "Game of Thrones" ohne Scham Sex und Gewalt ins Bild rückt, versucht sich "Westworld" an der Bespiegelung von Lust und Exploitation, will Kommentar zu sich selbst sein, zu TV-Shows an sich, zu Entertainment und Eskapismus und stellt die große Frage: Was macht den Menschen zum Menschen?
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In den bislang vorab verfügbaren ersten vier Episoden werden immer wieder Sätze gesprochen, die den inszenierten Charakter der und von "Westworld" ostentativ herausarbeiten: Wir lernen in der Show in einer nicht näher definierten Zeit die sogenannte "Westworld" als einen hochmodernen Theme-Park kennen, in dem die Superreichen gegen gutes Geld in ein perfekt modelliertes Szenario des Wilden Westens eintauchen können.
Sich im Saloon vergnügen, schießen, Sex, Banküberfall, Ganoven jagen oder, spannender, selbst Ganove sein. Von Menschen kaum zu unterscheidende Roboter, genannt "Hosts", sind den Besuchern Erfüllungsgehilfen und Genusslieferanten, per Definition und Werkeinstellungen können sie Lebewesen keinen Schaden zufügen. Es wird nicht so bleiben.
Die Maschinen bewegen sich in Loops, in vorgefertigten Erzählmustern, sie sind sich ihrer Künstlichkeit nicht bewusst, halten sich für tatsächlich denkende und fühlende Menschen. Nach den mit den menschlichen Besuchern erfahrenen Abenteuern, nach Mord, Totschlag und Vergewaltigung, wird der Erinnerungsspeicher der Hosts neu aufgesetzt und es kann von vorne losgehen.
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Als zu Beginn der zweiten Folge ein Neuankömmling in "Westworld" noch kurz vor dem Eintritt ins Abenteuer mit adäquater Wild-West-Kleidung und Accessoires versorgt wird, fragt er, ob es denn so eine Art Einführungsorientierung gebe, zum Verständnis der Benutzung von "Westworld". Nein, so erfährt er, keine Orientierung, kein Rulebook – "figuring out how it works", das sei doch der halbe Spaß - und man darf natürlich gleich verstehen, dass man mit diesem Satz ausdrücklich auch als Zuseher angesprochen ist.
Die von Jonathan Nolan (Christophers kleiner Bruder, der auch immer wieder bei dessen Projekten federführend mitgewirkt hat) und Lisa Joy entwickelte und unter anderem mit J.J. Abrams co-produzierte Show stützt ihr Ausgangsszenario zunächst recht eng auf den Sci-Fi-Film "Westworld" von Michael Crichton aus dem Jahr 1973.
Auch hier wurde in unklarer Zukunft in einem state-of-the-Art Ressort geschossen und ausgiebig Hedonismus verkostet – bis zum unvermeidlichen Aufstand der Maschinen und der todbringenden Revolte gegen ihre Meister.
"Westworld" ist seit dem 2.10. parallel zur US-Ausstrahlung jeweils in der Nacht von Sonntag auf Montag in der Originalfassung auf Sky On Demand, Sky Go und Sky Ticket verfügbar.
Linear ausgestrahlt wird voraussichtlich ab Frühjahr 2017 wahlweise auf Deutsch oder Englisch auf Sky Atlantic HD.
Das Original war weniger Technologie-Kritik denn Probebohrung in menschliche Moralvorstellungen, die Maschinen sahen auch damals schon dem Menschen täuschend ähnlich, blieben jedoch hinsichtlich emotionaler und sinnlicher Fähigkeiten tatsächlich kaum mehr als stumpfe Metallkameraden.
Hier liegt eine Stärke der Neuauflage: Die Serie legt neben dem Treiben der Menschen den Fokus auf die Hosts, entwickelt Sympathien für sie. Es verschwimmen also die Grenzen und es wird wohl niemanden überraschen, wenn sich in der Zukunft von "Westworld" bislang für Menschen gehaltene Figuren als künstliche Existenzen entpuppen werden.
Auch stellt die Show immer wieder den Umstand aus, dass die Besucher von "Westworld" eben doch genau wissen und es bei aller Realitätsnähe auch immer ein bisschen wissen wollen, dass das eben doch keine echten Menschen sind, mit denen sie da ihre Ehefrauen betrügen oder die sie da recht skrupellos über den Haufen schießen.
Bislang hat die Serie kein Außen gezeigt. Wir wissen nicht, wo und wann wir uns befinden. Dem "Westworld", das die Hosts als ihre Welt und die Besucher immerhin als kurzfristige Fastrealität wahrnehmen sollen, steht einzig das Treiben von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Dramaturgen in ortlosen, dunklen Labors gegenüber, in denen sie an der Verbesserung der "Westworld"-Experience arbeiten.
Diese Dualität von in der Show als artifiziell ausgewiesener Theme-Park-Fake-Realität und der als "echt" transportierten Serien-Realität der Hintermänner und Drahtzieher stellt sich dabei jetzt schon selbst als ebenfalls rästelhaft kulissenhaft und konstruiert dar.
Man muss da nicht zwingend sofort gleich wieder an den großen Andeuter und Verschaukler J.J.Abrams und "Lost" denken, um zu wissen, dass in dieser Show, an den Rändern von "Westworld", hinter Bergen, Tälern und Wäldern, in weiterer Folge noch etliche neue Schauplätze, Szenarios und Zusammenhänge entdeckt werden können. Und auch diese Frage stellt "Westworld" wörtlich – wenn zwischen Künstlichkeit und Realität kein Unterschied mehr auszumachen ist: Does it matter?