Erstellt am: 5. 10. 2016 - 10:03 Uhr
Lang lebe der Casper
Es ist traurig, aber es ist einfach so: Caspers neues Album mit dem Namen "Lang lebe der Tod", das eigentlich schon im September erscheinen hätte sollen, wurde erst mal verschoben. Es sei einfach noch nicht dort angelangt, wo es letzen Endes landen soll. Und auch wenn das im ersten Moment bitter für Fans des Rappers ist: ein gutes spätes Album ist immer noch besser als ein frühes schlechtes Album.
Die Tourpläne lassen sich von den Verschiebereien aber nicht beeindrucken. Und so hat gestern Abend in der Arena Wien eine ausverkaufte Clubshow stattgefunden, die sich nicht nur als schöner Fanservice entpuppte, sondern bei der auch zum ersten Mal ganz brandneue Lieder vorgestellt wurden.
Patrick Wally
Der Einlass in die Halle findet um 18 Uhr statt, so heißt es an diesem regnerischen, kalten Dienstag. Trotzdem zieht sich schon um 17:30 eine ganz ordentliche Schlange an der Wand der Arena entlang, die darauf wartet, hinein gelassen zu werden. Wer Casper schon mal live gesehen hat, der weiß auch warum: das ist große In-Your-Face-Energie, die da auf einen zukommt. Und als echter Fan möchte man das gleich aus der ersten Reihe mitbekommen.
Vor dem Headliner darf aber nochmal eine der denkbar besten Opening Bands das Publikum bespielen: Drangsal ist mit Casper auf Tour und spielt zum zweiten Mal überhaupt in der Arena. Letztes Mal noch vor kleiner Runde im Dreiraum, am Dienstag in der großen Halle. Die hochgehypte Truppe rund um Hermes Phettberg-Fan Max Gruber betritt dann auch pünktlich um halb acht die Bühne vor einer fast vollen Halle. Absurderweise klatschen und jubeln aber gerade mal gefühlt zehn Menschen im Publikum, als das Set beginnt. Aber so ist das halt oft als Opening Act. Das weiß auch Drangsal: "Vorband ist immer ein schwieriger Job, vor allem vor Casper", erzählt Max kurz vor der Show im Interview. "Ich glaube was halt krass ist, ist dass die Kids, die auf Casper stehen, gar nicht wissen, wo so das Referenzjahrzehnt bei der Musik liegt. Und dass das für die dann anders und neu und total komisch klingt."
Das Referenzjahrzehnt sind die 80er Jahre. Die Musik irgendwo zwischen Depeche Mode, The Cure und den Smiths anzusiedeln. Aber auch mit einem ganz großen individuellen, kontemporären Stil. Was die zuerst mal leicht gleichgültige Crowd dazu bringt, schon mal vom miteinander Plaudern zum miteinander Mitwippen überzugehen. Eine halbe Stunde Hinhalten, das gibt es mit bekannter und auch neuer Drangsal-Musik. Und nach drei Nummern hat es auch die Leute, die noch draußen am Rauchen sind, zu den schönen kalten Klängen hineingezogen. Bei den knappen dreißig Minuten bleibt es auch. Und für alle, die es noch nicht wissen: Ja, auch live ist Drangsal natürlich hervorragend. Am Ende jubeln die Leute um einiges mehr als das sonst üblicherweise bei Opening Acts der Fall ist.
So richtig los geht's dann sobald Casper auf die Bühne kommt.
Da stehen nicht nur alle Leute von den Stufen im hinteren Bereich der Halle zum Tanzen auf, sondern da werden auch gleich die Hände in die Höhe gehalten. "Alle Hände hoch", ruft Casper ins Mikrofon. Die sind eh schon hoch. Denn dieser Casper live, das ist schon ganz was anderes als Casper auf der Platte. Vor allem wenn man zu den ewigen Zynikern gehört, die solche Hype-Perfomer gleich mal kritisch beäugen, sollte man sich den Musiker in Person ansehen und vor allem anhören, um zu verstehen, woher die ganze Aufregung darum kommt.
Diesen Sommer hat Casper besonders schön die großen Festivalbühnen bespielt, an diesem Abend wirkt er fast schon zu groß für die kleine Arena-Halle. Komplett vollgequetscht ist es auf jeden Fall. Und wenn die Lichter und die Bässe voll einsetzen und Caspers rauhe Stimme unterstützen, dann macht das alles schnell mal Sinn. Wenn Bilderbuchs gute alte "Maschin" als Sample angespielt wird, wenn alle mitsingen, mitfeiern und mitschreien. Und wenn das, was sich da auf der Bühne entfalltet, die pure Energie, die da in Richtung Menge geschleudert wird, von dem Publikum dankbar aufgenommen und per Jubel wieder zurückgeworfen wird.
Das ist Eskapismus, wie es die beste Energiemusik kann, aber auch eine ganz besondere Form davon. Melancholie, durchzogen von unaufhaltsamem Optimismus. Mitgrölballaden und Mitnehmhymnen. Musik, die immer ein Morgen verspricht. Einen Sonnenaufgang und ganz viel Liebe für alle. "Passt schon", sagt jemand im Publikum und Casper wiederholt das nur zu gerne. Und auch wenn man ganz, ganz nach hinten geht, wo dann nicht mehr so viele Leute stehen, wird noch ordentlich mitgetanzt. Was auch nicht immer üblich ist.
Ein Blixa Bargeld-Fan erzählt mir von seinen Hoffnungen fürs neue Casper-Album. Auch ein bisschen kritischer. Ein bisschen mehr Do-It-Yourself-Atmosphäre wünscht sich der statt Popsound. Weg vom "Hinterland"-Album, hin zu den früheren Sachen. Ob sich die Karriere von Casper aber dort jemals wieder hinbewegen wird, ist fraglich. "Die Lichtshow ist ein Wahnsinn", sagt ein anderer Old-School-Fan. Und lässt offen, wie zufrieden er mit dem musikalischen Spektakel darunter ist.
Setlist in Wien pic.twitter.com/PqayE39XiL
— Lia | 04. 10. 16 ✨ (@identifizierend) October 4, 2016
"Ui, ist das heiß hier", sagt Casper nach XOXO. "Ausziehen!" schreit das Publikum zurück. Das Hemd bleibt an, ein neues Lied gibt's dafür. Und die Leute hören sehr aufmerksam zu. Das ist ja hier auch ein Showcase-Gig für die unveröffentlichte Musik vom verschobenen Album. Und die braucht erstmal den Stamp-of-Approval der Fans. Gejubelt wird danach, es scheint schon zu passen. Zur Zugabe kommt dann nochmal Drangsal auf die Bühne. "Wien, ab heute keine Angst", sagt Casper den optimistischen Narrativ fortführend. Und spielt mit einem ihm den Handkuss gebenden Drangsal die hervorragende Nummer "Keine Angst". Auch dann am neuen Album zu finden, wenn es mal raus kommt.
Dann kommt nochmal ein letzter Moment des euphorischen Springens, der Hände in die Höhe und des glücklichen Jubelns und dann wird schon nach Hause geschickt. Zur Verabschiedung gibt's die Clash-Nummer "Rock the Casbah" aus der Arena-Anlage. Weil LOL und XOXO und so. Und am 17. März dann nochmal im größeren Rahmen. Da spielt Casper nämlich in der Wiener Stadthalle. Und auch Drangsal kann man sich bald wieder anschauen. Am 24. November schon im gemütlichen B72.