Erstellt am: 4. 10. 2016 - 19:02 Uhr
Weniger als das Mindeste?
FM4 Auf Laut - Leben mit dem Mindesten
Zu Gast bei Elisabeth Scharang ist der Journalist Dominik Leitner, der sich in seinem Blog-Text "Wenn Plan A nicht gelingt" als Mindestsicherungsbezieher selbst zu Wort gemeldet hat.
Anrufen und Mitdiskutieren kannst du ab 21 Uhr.
Ibrahim hat in Syrien als Volksschullehrer und Human Ressource-Koordinator gearbeitet. Seit einem Jahr ist er bei der Diakonie in Wien ehrenamtlich als Dolmetscher tätig.
Bis Ibrahim einen bezahlten Job findet, sind er, seine Ehefrau und seine drei Kinder von der bedarfsorientierten Mindestsicherung abhängig: 1700 Euro im Monat.
Für Miete, Energiekosten und Internet belaufen sich die monatlichen Fixkosten auf 1000 Euro, es bleiben 700 Euro für die 5-köpfige Familie für alle weiteren Ausgaben.
Ibrahim möchte nicht mehr vom Staat abhängig sein. Er hofft, dass er bald eine Ausbildung zum Flüchtlingsbetreuer machen kann, um finanziell unabhängig zu sein.
"Unsere Situation in Österreich ist nicht so toll. Aber, was kann man machen? Sicherheit ist meine wichtigste Priorität." sagt Ibrahim.
Mitwirkende Berichterstattung: Lukas Lottersberger
ORF
Die soziale Absicherung für anerkannte Flüchtlinge in Oberösterreich, die nach dem 15.11.2015 Asyl beantragt haben (seither gibt es nur mehr "Asyl auf Zeit"), ist durch die oberösterreichische Landesregierung in Frage gestellt worden: für diese Gruppe gibt es nur mehr 365 Euro Mindestsicherung plus 155 Euro "Integrationsbonus".
Laut Christian Schörkhuber von der Volkshilfe Oberösterreich hat diese Maßnahme die gesellschaftliche Stimmung und das soziale Klima in Oberösterreich vergiftet: "Es ist damit verdeutlicht worden: 'Diese Flüchtlinge wollen wir nicht!'"
Mit dem Anti-Flüchtlings-Signal sei aber noch etwas verbunden: ein neuer Angriff auf die soziale Absicherung und auf den Sozialstaat insgesamt.
"Es ist der Versuch bei der schwächsten Gruppe zu beginnen, die Mindestsicherung noch einmal zu kürzen. Wir sind uns sicher, dass weitere Gruppen, auch österreichische Gruppen folgen werden."
Dr. Walter Pfeil ist Professor für Sozialrecht an der Universität Salzburg und hat sich in einem Rechtsgutachten mit der Kürzung der Mindestsicherung befasst.
Laut Pfeil verletzt Oberösterreichs Kürzungsmaßnahme nicht nur Artikel 29 der EU Richtlinie 2011/95, sondern auch die Genfer Flüchtlingskonvention und die noch bis Ende 2016 geltende österreichische Bund-Länder-Vereinbarung. Letztere soll durch eine Nachfolge-Vereinbarung ersetzt werden. Die Verhandlungen dazu sind durch Oberösterreichs Kürzungs-Alleingang nicht einfacher geworden.
Asyl auf Zeit -> Mindestsicherung "light"
Die jüngsten Einschränkungen beim Menschenrecht auf Asyl und die von der ÖVP vorgeschlagene Einschränkung bei der Mindestsicherung ergeben ein zusammenhängendes Muster. Für Christian Schörkhuber handelt es sich hier um "ein gegenseitiges Ausspielen der schwächsten Gruppen der Gesellschaft."
Die Kürzungen lösten keine Probleme, sondern verschärften den Druck und treiben Menschen in die Armut.
Bemerkenswert ist wie sich die Argumentation der FPÖ in breiten Kreisen verfängt. Jan Ackermeier von der FPÖ-OÖ: "Es muss einen Unterschied geben zwischen jemandem, der sein Leben lang ins Sozialsystem eingezahlt hat und jemandem, der erst kurzfristig dazugekommen ist."
Dabei ist gerade die bedarfsorientierte Mindestsicherung keine Versicherungsleistung, die von Einzahlungen abhängt, sondern allein vom Bedarf.
"Anerkannten Flüchtlingen ist der gleiche Anspruch einzuräumen wie Inländern. Eine Differenzierung in der Leistungshöhe, in der Leistungsdauer oder in den Leistungsvoraussetzungen ist unzulässig und könnte innerstaatlich vor den Gerichten, aber spätestens dann beim Europäischen Gerichtshof mit großer Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden." so Walter Pfeil.
Die Volkshilfe Oberösterreich plant, betroffenen Flüchtlingen Rechtsbeistand zu leisten und gegen die halbierte Mindestsicherung zu klagen, auf dass die Kürzung zurückgenommen werden muss.
Die ÖVP schlägt indessen eine Mindestsicherung "light" vor, also nur 560 monatlich für alle, die in den vergangenen 6 Jahren weniger als 5 Jahre im Inland verbracht haben. Die Mindestsicherung an eine Mindest-Aufenthaltsdauer zu knüpfen, ist für den Juristen Pfeil "grob unsachlich" und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.
Alexander Pollack
Die kommende Wohnkrise (selbstgemacht)
Neben der gekürzten Mindestsicherung ist in Oberösterreich eine weitere gravierende Maßnahme beschlossen worden: Zugang zum geförderten Wohnbau hat nur mehr, wer mindestens 5 Jahre in Österreich gelebt hat.
Leistbare Wohnungen am nicht geförderten Wohnungsmarkt zu finden, und zwar für Menschen mit gekürzter Mindestsicherung, wird in ein bis zwei Monaten - wenn die ersten derartigen Bescheide in OÖ erwartet werden - zu massiven Problemen führen. "Die Asylberechtigten werden in Obdachlosenheimen landen."
Die wahren Probleme bei der Mindestsicherung sind laut Armutskonferenz: Fehlende Soforthilfe, Aufwand bei Menschen mit Behinderungen, veralteter Unterhalt, mangelnde Hilfe bei Gesundheitsproblemen, Nicht-Inanspruchnahme, schlechter Vollzug, nicht leistbares Wohnen und Finanzausgleich zwischen den Gemeinden.
FM4 Auf Laut - Leben mit dem Mindesten
Heute zu Gast bei Elisabeth Scharang ist der Journalist Dominik Leitner, der sich in seinem Blog-Text "Wenn Plan A nicht gelingt" als Mindestsicherungsbezieher selbst zu Wort gemeldet hat.
Anrufen und Mitdiskutieren kannst du ab 21 Uhr.