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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

3. 10. 2016 - 14:10

Wird VR zum Mainstream?

Virtual Reality ermöglicht es sowohl, jedes herkömmliche Medium darzustellen, also auch völlig neue Kunstformen zu erfinden. Kurzfristig aber werden Videogames die Entwicklungen am VR-Sektor dominieren.

VR-Headsets und die dafür benötigten Computer sind teuer - solange die Geräte aber nicht in Millionen Haushalten stehen, halten sich die großen Hersteller von Videospielen mit ihren Produktionsbudgets zurück. Beißt sich hier die Katze in den Schwanz?

In Jackie Fenns Hype Cycle for Emerging Technologies für das Jahr 2016 hat Virtual Reality bereits das Tal der Enttäuschungen verlassen, in dem sich die Technologie nach den gescheiterten Versuchen der Neunziger-Jahre befunden hatte.

Hype Cycle 2016

Gartner

Hype Cycle 2016

Der Grund für das Scheitern von VR in den neunziger Jahren lag vor allem an der Unzulänglichkeit der damaligen Computer und Konsolen: Ihre Rechenleistung war schlicht zu gering. Selbst Firmen, die Großrechenanlagen um mehrere hunderttausend Dollar verwendeten, mussten sich mit verzögerter Darstellung und Übelkeit erregenden Erfahrungen plagen.

Das heurige Jahr markiert einen Meilenstein in der VR-Geschichte: Es erscheinen die kommerziellen Versionen dreier moderner Headsets, bzw. sind schon erschienen: Oculus Rift, HTC Vive und Playstation VR. Auch Google steht mit dem - mobilen - Headset „Daydream“ in den Startlöchern. Während der nächsten Monate werden wir daher einen rasanten Anstieg der Zahl jener Menschen erleben, die VR kennenlernen. Aber heißt das automatisch, dass Virtual Reality nun rasch zur Mainstream-Technologie wird, wie zum Beispiel Smartphones?

Fiedler mit Vive

Christoph Weiss

Auch Michael Fiedler hat Spaß mit dem HTC Vive im FM4-Holodeck

Das Rift oder die Rift? In Deutschland hat sich in den vergangenen Monaten zunehmend der weibliche Artikel durchgesetzt, in Österreich hört man öfter "das Rift" und "das Vive". Die Brille oder das Headset - ich bevorzuge letzteres, denn VR-Headsets unterscheiden sich grundsätzlich von den aus dem Kino bekannten 3D-Brillen. Weil für den Anglizismus Headset im Deutschen der sächliche Artikel gebräuchlich ist, schreibe bzw. sage ich "das Rift" und "das Vive".

"The math is still wonky"

Palmer Luckey, Erfinder des Oculus Rift und jener Mann, der 2013 den aktuellen VR-Trend ausgelöst hat, bezeichnet die „Mathematik“ hinsichtlich aktueller Headsets noch immer als „wonky“, also in der Schieflage. Damit meint er: Ein gutes VR-Setup für das Eigenheim sei noch recht teuer, im Vergleich mit anderen Medien sei noch relativ wenig Content dafür erhältlich, und die Qualität der Erfahrung – wenn auch sehr beeindruckend – gäbe dem User noch immer nicht das Gefühl, sich tatsächlich an einem völlig anderen Ort zu befinden. „Wir können unser Reptiliengehirn überlisten und ein gewisses Gefühl von Präsenz erzeugen - aber unser bewusster Verstand entdeckt noch viele Fehler.“

Luckey vergleicht den Status Quo aktueller VR-Headsets mit dem Stand der Entwicklung von Smartphones in den Nuller-Jahren. Nokia Communicator, Blackberry und Windows-CE-Phones funktionierten zwar schon recht gut und hatten begeisterte Anwender – zu einem Massenphänomen wurden Smartphones aber erst im aktuellen Jahrzehnt. Mittelfristig, so Luckey, würden VR-Headsets zum Massenphänomen, weil in Virtual Reality jedes andere Medium dargestellt werden könne. Lezteres kann ich aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen: Das Oculus Rift eignet sich gleichermaßen für Spiel, Film, Videotelefonie, Konferenzen, Bildung und medizinische Anwendungen. VR-Headsets werden nicht von einer Art von Content dominiert werden, so wie ein Smartphone nicht nur für Telefonie, nur für Spiele, nur für Filme oder nur für E-Books verwendet wird. Ja, wir werden in unseren VR-Headsets telefonieren, spielen, lesen, lernen und vielen anderen Aktivitäten nachgehen.

Robert Glashüttner mit einem VR-Set

Radio FM4

Games als VR-Antreiber

Kurzfristig aber werden es Videogames sein, die den deutlichsten Antrieb für die Marktdurchdringung von VR darstellen. Die Games-Industrie verfügt über die Technologie, die Mittel und das Knowhow, um immersive virtuelle Erlebnisse und Welten zu erzeugen. Und Videospiel-Fans sind es gewohnt, ihre Hardware auf dem neuesten Stand der Technik zu halten und dafür viel Geld auszugeben.

Kleine Indiegames-Entwickler experimentieren bereits seit 2013 mit der Technologie und überraschen mit großartigen Innovationen. Die Entwicklung der größeren, teureren VR-Spiele wurde bisher von den Herstellern der Headsets, also von Sony, Valve/HTC und Facebook, subventioniert. Mainstream-Entwicklerstudios agieren noch zurückhaltend, weil der Markt noch nicht von Millionen VR-Headsets durchdrungen ist. Es wird allerdings nur wenige Jahre dauern, bis dünne Notebooks und sogar Smartphones jene Rechenleistung erbringen, für die derzeit noch ein großer Gaming-PC um 1500 Euro nötig ist. Wenn das geschieht, werden auch bereits Millionen von Playstation-Besitzern ein VR-Headset zu Hause haben. Die nächste Generation der Xbox („Scorpio“) wird das Oculus Rift unterstützen und für mehr Marktakzeptanz sorgen. Google baut VR-Funktionen in das Android-Betriebssystem ein und bringt eine Serie von Headsets namens „Daydream“ auf den Markt, inklusive dazupassendem Smartphone und Wii-Mote-artigem Controller mit Touchpad.

Apropos Controller

Betrachtet man Virtual Reality im Kontext der Entwicklung des Videospiels in den letzten vier Jahrzehnten, dann wird klar: VR ist ein Teil jenes Trends, im Zuge dessen Videospiele zunehmend „realistisch“ werden – damit ist nicht die Anzahl der Pixel gemeint, sondern die Möglichkeit, mittels Games außergewöhnliche Erlebnisse und Erfahrungen zu simulieren. Hier kommen die neuartigen Sensoren und Steuergeräte ins Spiel. Wer einmal die Bergsteiger-Simulation „The Climb“ im Oculus Rift ausprobiert hat, weiß was ich meine. Bergtouren, Tiefsee-Tauchkurse, Rundgänge im Atomkraftwerk Tschernobyl und Reisen durch den Weltraum – die Liste der beeindruckenden Erlebnisse, die mit der aktuellen Generation von VR-Headsets möglich sind, mag nicht allzu lang sein, doch sie wächst täglich. Einige der Games und Experiences profitieren unerwartet gut von der Benutzung kabelloser Controller, die alle Handbewegungen erfassen. Gemeinsam mit dem Tracking des Headsets verwandelt sich das Wohn- oder Spielzimmer in eine Holodeck-artige VR-Umgebung. Mit dem HTC Vive kann man in dieser Hinsicht derzeit die interessantesten Erfahrungen machen – Oculus reicht noch vor Weihnachten die zwei „Touch“-Controller (und einen zusätzlichen Raumsensor) nach, das Sony-Headset unterstützt die bereits von der PS3 bekannten „Move“-Controller. Die Vermischung von virtuellem und physischem Raum steigert nicht nur die Intensität des Spielerlebnisses, sondern sie ermöglicht auch neue Formen sozialer Interaktion im Netz.

Social VR

„Big Screen“ nennt sich eine App für Rift und Vive, die sich als sehr praktisch für die Generierung virtueller Büros erwiesen hat: Bis zu vier Userinnen und User können einen Raum – z.B. eine Terasse über den Dächern einer Millionenstadt – betreten. Der Clou dabei: Nicht nur die Avatare, sondern auch die Inhalte der physischen Computerbildschirme aller User werden im virtuellen Raum auf virtuellen Screens dargestellt. Die Interaktion im virtuellen Raum hat sich noch nie so natürlich angefühlt.

Während Big Screen nur eine kleine App ist, entstehen auch große, von den Usern selbst gestaltbare virtuelle Welten für VR-Headsets: Bereits online sind „VR Chat“, „Altspace VR“, und „High Fidelity“, letztere wurde von Virtual-World-Pionier Philipp Rosedale entwickelt. In wenigen Wochen startet „Sansar“, ein Projekt von „Second Life“-Betreiber Linden Lab. Ihnen allen ist gemeinsam, dass Räume und Avatare darin selbst gestaltet werden können und dass sie kabellose Controller, Bewegungssensoren und Hand-Tracking-Devices wie „Motion Leap“ unterstützen. Gemeinsame Arbeit und gemeinsames Spiel in diesen virtuellen Welten fühlt sich sehr viel intensiver an als via Skype, Facebook oder Google Hangouts.

Was die Entwicklung bremst

Auf den ersten Blick erscheint VR mitunter abstoßend und bedrohlich: Menschen, die ein Headset tragen, sehen seltsam aus und wirken von der Umwelt isoliert. Einige User erleben Simulator Sickness, weil sie die neue Erfahrung noch nicht gewohnt sind. Andere stören sich an den Bildschirmpixeln, die durch die extreme Vergrößerung der OLED-Displays im Headset immer noch leicht wahrnehmbar sind. Vielleicht sind es auch die lästigen Kabel und die technischen Hürden, die eine schnelle Annahme von VR durch den Mainstream verhindern werden. Langfristig wird die große Rechenleistung, die für gute VR nötig ist, in die Geräte am Kopf wandern – das VR-Headset der Zukunft wird also ein Standalone-Device. Wie das einst mit Smartphones geschen ist, wird irgendeine Firma – vielleicht Google, Facebook oder vielleicht auch Apple – zum richtigen Zeitpunkt jenes Gadget bauen, dessen Design, Usability und Apps VR zum Massenphänomen machen. Bis dahin freuen sich Early Adopter über den Schub an Innovationen und Überraschungen, die im Jahr 2016 auf Rift, Vive und PSVR zu erleben sind.