Erstellt am: 30. 9. 2016 - 16:24 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 30-09-16.
#fußballjournal16
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Danke an Lorin für die Tix!
Vorspiel
Die mit ihren übergroßen Bierdosen vorglühenden Fan-Burschen in der U-Bahn haben Probleme mit der Aufstellung ihrer Austria, die einer laut vom Handy abliest. Wer ist dieser Serbest, fragt einer. Linksaußen, aus Grödig, weiß ein anderer. Dass beide Serbest (der Balancegeber im Austria-Mittelfeld, U21-Teamspieler) wie der mit ihm verwechselte Tajouri (flexibler Außenspieler, kurz an Altach ausgeliehen) seit ihrer frühesten Jugend Austrianer sind, ist keinem aus der Gruppe, die das Alk-Verbot bei internationalen Spielen durch das Besäufnis davor umgeht, bekannt.
Die Schlangen am Einlass des Wiener Praterstadions waren nicht enden wollend, bildeten bereits Spiralen. Grund für die Verzögerung war wohl zum einen, dass die Zuschauer-Anzahl (gegen wenig attraktive Tschechen) falsch eingeschätzt wurde (es kamen dann immerhin doch noch 16.508 andere), andererseits aber auch mit der Tatsache zu tun hatte, dass es überall jeweils eine Abtast-Security-Person für Frauen und für Männer gibt, der Frauenanteil aber verschwindend gering ist. Das Image, das sich der heimische Fußball gern umhängen würde, das Fest für die ganze Familie, das spielt's schon in der Liga nicht wirklich, am internationalen Spätabendtermin unter der Woche aber gar nicht.
Das Match
Von offizieller Seite heisst es, dass man die Gäste-Fans nirgendwo anders unterbringen kann. Weil die Akustik den obersten 3. Rang lauter macht, als er eigentlich ist, ein echter Schuss ins Knie.
Wenn das Happel-Stadion nicht voll gefüllt ist, wirkt es wie eine halbschiefe Ostblock-Schüssel. Vor allem dann, wenn die gegnerischen Fans bewusst in den absolut letzten Rang, ganz oben, noch dazu schräg hinters Tor gesetzt wird, damit man sie so schlecht wie möglich hören kann. Im Vergleich zum wie immer fantasielosen Austria-Fanblock, der hinterm anderen Tor die Kurve über immerhin zwei Ränge füllte, war der Lärmpegel trotzdem höher, relativ sowieso, und auch absolut, was mit der Variabilität und Qualität der Lieder und Schlachtrufe zu tun hat. Dass die Austria-Fans den Rest des Stadions vergleichsweise selten mit ihrem öden "wer nicht hüpft, ist..." und dem drögen "steht auf für den ..." quälten, weder Wellen noch Lieder anzünden konnte, ist jemandem wie mir, der das Spiel sehen will, durchaus recht - stimmungstechnisch im eigenen Haus trotz einer Mehrheit nur Zweiter zu werden, ist aber schon echt peinlich. Dass die vorhin erwähnten Eingangsschlangen von Austria-Fanvertretern mit Spendenboxen für die nächste Choreo umgarnt wurden, mutet da wie ein echter Hilfeschrei an.
Die Leistungen auf dem Platz spiegeln die auf den Rängen erstaunlich direkt wider. Die Austria hat große Probleme mit einem zielführenden Spielaufbau, Plzen steht kompakter, und kann sich im Mittelfeld deutlich mehr kreative Spielanteile erarbeiten; auch weil die Fehlpass / Leistungsquote geringer ist.
Interessant ist die Wechselwirkung zwischen dem von Beginn an schlechten Umgang mit den spielerischen Gegebenheiten und der Einstellung der Fans. Die mündet, wie überall und immer in Österreich, bei der Austria klassischerweise einen Deut mehr als etwa bei Rapid oder beim ÖFB-Team, in sofortiger Abwertung, bereits nach der ersten schlechten Aktion. Die Fans im Stadion haben es gefühlt eh sofort gewusst (und es gibt nichts Leichteres als von Versagen auszugehen und sich dann schnell bestätigt zu fühlen) und ächzen sich masochistisch durch die ersten schlechten Minuten ihrer Mannschaft.
Die Austria leidet vor allem unter einen fatal großen Loch, das sich zwischen der Abwehr und dem an ihr klebenden Holzhauser und dem offensiver ausgerichteten Rest immer und immer wieder neu bildet. Bis auf ein paar (auch wieder von Holzhauser, an dem zu viel hängt) genial geschlagene Passes kommt keine Spieleröffnung zustande, die schnellen Läufe der Flügelzwerge Pires-Venuto sind nur bei Zufalls-Bällen möglich. Dazu kommt ein weiteres Loch zwischen der Austria und ihrem Center Kayode, der dem Spiel körpersprachlich gar kein Interesse entgegen bringt und 95 Prozent seiner Zeit absichtlich im Abseits ist - was dann auch zu den Offside-Entscheidungen gegen ihn führt, psychologisch astrein nachvollziehbar und also selbstverschuldet.
Holzhauser pickt an Filipovic-Stronati, dem Not-Innenverteidiger-Duo, weil er (und/oder Coach Fink) dem nix zutraut, vor allem keine Spieleröffnung. Auch als nach einer Viertelstunde spürbar wird, dass beide einen guten Tag haben werden und man loslassen könnte, kommt keine Bewegung in diese fehlgeleitete Statik. Im Gegenteil: Holzhauser nimmmt sich bis zur 85. Minute so quasi selber aus dem Spiel. Das führt dazu, dass sich Grünwald mehr Bälle als sonst von hinten holt und überhaupt keinen Kontakt zu Kayode mehr findet. Serbest hingegen versucht die große Leere im offensiven Zentrum zu stopfen und das starke zentrale Duo des Gegners (Horava und Kace) zu stören. Weil sich aber Kayode und Holzhauser selber aus dem Spiel nehmen, fehlen bei all diesen Aufgaben immer ein bis zwei Spieler. Viktoria Plzen erkennt das früh und nützt diese Schwächen immer wieder aus, um dagegen- und den Ball aus den Gefahrenzonen herauszuhalten. Sie finden zwar kaum selber Chancen vor, lassen aber - außerhalb von Standards - maximal drei Torszenen der Austria zu.
Plzen zeigt auch vor, wie man ganz ohne abkippenden Sechser defensiv sicher stehen kann: und zwar mit einer eng geschnürten Viererkette (Mateju-Hejda-Hubnik-Limbersky), einem Sechser mit Übersicht (Horava) und einem Hybrid-Sechser/Achter mit Spielwitz (Kace). Dass die vier Offensiven gestern einen schwächeren Abend hatten (Zeman, der linke Außenmann etwa, brach praktisch jeden Vorstoß freiwillig wieder ab), verhinderte das eigene Fortkommen, für das bequeme In-Schach-Halten einer geistig unbeweglichen Austria reichte es allemal und mit hoher Leichtigkeit.
Zum Thema "taktische Anweisungen von der Tribüne" hat der Kollege Daniel Mandl auf abseits.at vor Jahren eine immer noch gültige, famose Serie verfasst, die neben den ebenso wichtigen Kapiteln hiiiiin-zuuuweee und bitte-geh-erm-an auch das augenöffnende naaa-net-zruck enthält...
Die offensichtliche Unfähigkeit, ein stockendes Spiel mit einem neuen Ansatz zu neuem Leben zu erwecken, führt dann auch zu immer schwachbrüstigerer Tribünen-Unterstützung und fördert den fatalistischen Ansatz der Fans, die sich einzelne Objekte der Schuld herauspicken (Martschinko), es eh immer schon gewusst hatten und vor allem jeden für den Aufbau unvermeidlichen und nötigen Rück- oder Querpass niederpfeifen.
Es hat jeder Verein und jede Fußball-Kultur eben auch die Fans, die er/sie verdient. Das österreichische Publikum hat seit 1945 keine der internationalen Entwicklungen mitgemacht und steckt sprachlich noch in der vorletzten Lautverschiebung. Der Mann hinter mir, der einer Frau neben ihm urviel erklären muss, flucht zuerst ausführlich auf den Schiedsrichter, nur um dann zuzugeben, dass er den Kurs zum Spielleiter, den er auch einmal machen wollte, wegen der Fülle der Anforderungen dann doch nicht angegangen war. Wer der 15er bei den unsrigen ist, will dann sein anderer Nachbar wissen. Unser Fast-Schiri weiß es: weißt eh, der Ungar da.
Der Ungar wäre Szanto, nur spielt der bei Rapid. Der 15er ist - schon wieder Tarkan Serbest, das Metronom, der Aufsteiger der Saison, der U21-Teamspieler.
Nachspiel
Heute nun lese ich von einem reifen Auftritt, Coach Fink sagt, man habe "alles umgesetzt", was man vorgehabt hätte. Das kann nur zweierlei bedeuten: entweder haben sich alle zusammen vorgenommen, nicht ins Spiel zu kommen und die strategisch/taktisch unterlegene Mannschaft sein zu wollen, die keine Idee hat, eine verfahrene Situation zu drehen, oder diese Analyse ist eine Nebelgranate für die Öffentlichkeit, um gute Stimmung zu machen. Angesichts von Fans ohne Ahnung der Grundlagen, ohne Wissen um Spieler, angesichts von Medien, für die der Begriff des Hinterfragens ein Fremdwort ist (man vergleiche dazu einmal die spanische Medienschau, die unangenehme Wahrheiten über Rapid sehr gelassen ausspricht) ist es auch ein leichtes, eine wirklich üble Partie zu einer anspruchsvollen hochzuschwatzen.
Auch die nach dem Spiel in die Medien gesetzte Erfindung, dass man die seit 2007 zahlenmäßig größte internationale Kulisse hinter sich hatte (ich war 2013 gegen Zenit Augenzeuge, damals als einer von 37.500), zeigt, dass die Austria sich bemüht mit ins postfaktische Zeitalter einzusteigen, also sich die Wirklichkeit so hinzubiegen, dass sie den Gefühligkeiten entspricht. Die Fan-Base würde das sicherlich unterstützen.
Für die Entwicklung von Tarkan Serbest wäre es nicht so gut.