Erstellt am: 29. 9. 2016 - 17:52 Uhr
Stanley Kubrick: A Life in Pictures
Das Wiener Gartenbaukino zeigt von Freitag, 30. September bis 18. Oktober eine Werkschau und ein umfangreiches Rahmenprogramm zum Filmschaffen von Stanley Kubrick. Sein einzigartiger Zugang, seine Bedeutung und sein unverkennbarer Stil im Kino haben Kubrick zu einem Regisseur gemacht, auf den sich wahrscheinlich alle FilmliebhaberInnen einigen können. Sich auf einen gemeinsamen Lieblings-Film des Meisters zu einigen könnten hingegen wahrscheinlich die wenigsten.
Auch nicht die FM4 Filmredaktion. Jetzt packen wir aus und erzählen ungeniert von unseren biografischen Schlüsselmomenten mit den Kino-Klassikern von Stanley Kubrick. Ein Wegweiser durch die cineastischen Extraklasse "Kubrick", die euch das Wiener Gartenbaukino liefert.
Christian Fuchs über "The Shining" (1980)
Es gibt eine berühmte Anekdote über einen nächtlichen Telefonanruf, den Stephen King während der Dreharbeiten zu "The Shining" erhalten hat. Am Apparat war Stanley Kubrick, der dem Schriftsteller der Buchvorlage eine entscheidende Frage stellte. "Do you believe in God?", wollte der Filmemacher wissen. Der erfolgreichste Horrorautor aller Zeiten bejahte, während der Ausnahmeregisseur heftige Zweifel äußerte. "What about hell?" fragte King irgendwann und Kubrick meinte nach einer Pause: "I do not believe in hell."
Warner
Geister im Kino oder in der Literatur, darauf wollte Stanley Kubrick in dieser Konversation hinaus, sind eben trotz Gänsehautfaktor immer auch ein Ausdruck eines religiösen Optimismus. Schließlich suggerieren sie, dass der Tod doch nicht das Ende ist. Katholische Jenseits-Versprechungen waren für den Skeptiker, Agnostiker und Sinnsucher Kubrick aber nie eine Option. Seine Filme stehen konträr zu jeglichen Dogmen, bewegen sich an der Trennlinie von Logik und Metaphysik, Vernunft und Irrationalität.
Genau diese Zerissenheit, die sich in "The Shining" in ganz bestimmten Szenen spiegelt, hat mich als blutjunger Bub, als ich den Film zu ersten Mal sah, wohl am meisten gefesselt. Zumindest unterbewusst. Natürlich verschluckte mich, im halbleeren Saal eines riesigen Grazer Kinos sitzend, zuallererst die unfassbare Oberfläche dieses Meisterwerks. Die schier unendlichen Gänge des Overlook-Hotels, durch die die Steadicam-Kamera hypnotisch gleitet, der bedrohliche Avantgarde-Soundtrack, das panische Gesicht von Shelley Duvall, wenn die Fratze ihres verrückten Ehemanns Jack Nicholson durch ein Loch in der Badezimmertür grinst.
Warner
Aber was meine pubertierende Psyche, neben den schrecklich-schönen Bildern, am meisten aufwühlte: Niemals ist klar, was in "The Shining" wirklich an der Grenze von Verstand, Wahn und Übernatürlichkeit passiert. Der Horror dieses Films hat, im Gegensatz zum christlichen (Aber-)Glauben hinter Werken wie "The Exorcist", mit einer tiefen existentialistischen Verunsicherung zu tun. Ich spürte deshalb damals im dunklen Kino, dass dieser Albtraum nicht verblassen würde wie manche infantilen Monsterfilme, die ich so liebte.
Tatsächlich hält die Faszination meinerseits an. Auch abseits der unzähligen Interpretationsmöglichkeiten, die die tolle Fan-Doku "Room 237" offenlegt, bleibt "The Shining" ein Unikat in der Horrorgeschichte. Ein Gespensterfilm, der im Sinne von Stanley Kubrick auch von der Abwesenheit Gottes erzählt, von der Nichtexistenz von Himmel oder Hölle. Kein Wunder, dass sich Stephen King nach dem Anruf von Stanley Kubrick nicht mehr beruhigen konnte.
Pia Reiser über "Dr Strangelove or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" (1964)
Mehr Rezensionen und Filmtipps gibt's unter fm4.orf.at/film
Dass Peter Sellers neben meinem Papa der wohl lustigste Mann der Welt ist, das war mir klar, nachdem ich als Kind zum ersten Mal "Pink Panther" gesehen hatte. Als ich dann - nicht mehr so ganz Kind - Stanley Kubricks "Dr Strangelove or How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" sehe, da ist es ein bisschen so, als würde sich der Horizont verschieben, man hinter einen Spiegel gucken oder in einer Wohnung, die man in und auswendig zu kennen glaubte, einen Geheimgang entdecken. Peter Sellers spielt in der schwarzen politischen Satire in schwarz/weiß gleich drei Figuren, das war Finanzierungsbedingung des Filmstudios, eine der drei trägt sogar einen Schnurrbart, nicht unähnlich dem von Inspector Clouseau, vom patscherten Inspektor - von Sellers herrlicher, zerstörungswütiger Tollpatschigkeit auch von der stets unschuldigen Komik, fehlt hier allerdings so gut wie jede Spur.
Warner / Park Circus
Nur ein Jahr nach "Pink Panther" besetzt Stanley Kubrick Peter Sellers in seiner Farce um den kalten Krieg und Sellers - als Captain Lionel Mandrake, President Merkin Muffley und der titelgebende Dr. Strangelove. Und es ist vor allem Strangelove, der ehemalige Nazi-Wissenschafter und Berater in Sachen Nuklearwaffen des US-Präsidenten, der einem erstens in Erinnerung bleibt und einem zweitens einen Blick auf Sellers darstellerische Bandbreite ermöglicht. Die hellen Haare in streng gescheitelter Wasserwelle, der Akzent schwer deutsch, die unkontrollierbare Hand, die sich immer wieder zum Hitlergruß steckt. Ohne Stanley Kubrick wäre von Peter Sellers vielleicht nur Clouseau übrig geblieben, das wäre auch schon nicht wenig, aber vor allem in der Figur des Dr Strangelove knüpfte Sellers eine Verknüpfung aus Groteske, Komik und Bedrohung, die einen auch 2016 umhaut - vor allem, wenn man sie auf Gartenbaukino-Leinwandgröße beobachten kann.
Boris Jordan über "Spartacus" (1960)
Es gibt gewichtige Breitwand-Argumente dafür, dass der Eintritt des dreißigjährigen Stanley Kubrick in das große Studiosystem mit "Spartacus" ein fulminanter gewesen ist.
Mitten in der McCarthy-Ära arbeitet er mit zwei unter dem Kommunismus-Bann heimlich agierenden Autoren; in zwei Tagen schreibt der Kommunist Dalton Trumbo unter einem Pseudonym eine komplexe Revolutionsgeschichte, die seitdem zu kopieren versucht wurde. Kirk Douglas lüftet am Ende des Films den Künstlernamen Dalton Trumbos und beendet die McCarthy-Ära damit fast im Alleingang.
Warner / Park Circus
Die bei großen Studioschinken häufigen Analogien auf die Gegenwart und deren politische Verhältnisse gibt es hier in großer Zahl, beginnend mit dem Thema des Sklavenaufstands in einem Land , das die Sklaverei noch vor weniger als hundert Jahren aktiv betrieben hatte. Die Ähnlichkeit der umherziehenden Sklaven mit Landkommunen, deren Wille zur alternativen Lebensform und Solidarität so weit geht, dass sich in der berühmtesten Szene des Films die anderen Sklaven für Spartacus kreuzigen lassen würden.
Die besten Schauspieler ihrer Zeit, allen voran Charles Laughton, Laurence Olivier und ein junger Peter Ustinov, geben die spätbürgerlichen Decadents; hier wird Doppelzüngigkeit, moralische Ermattung, Korruption, Lust, Neid, Machtgier in elaborierte, hintergründige Rhetorik gegossen, die wohl seitdem mit dem Senat und mit Rom in Verbindung gebracht wird.
Warner / Park Circus
Der Film ist voll mit homoerotischen Annäherungen, von der berühmten Männerfreundschaft zwischen Douglas und Curtis, den lüsternen Untertönen im Ekel des Sklavenhändlers Ustinov, wenn er Kämpfe oder Blut sehen muss, bis zu dem erst in der restaurierten Fassung aufgetauchten Satz zu Bisexualität, in dem Laurence Olivier andeutet, Sexualität sei eine Frage von Geschmack und freier Wahl, so als ob man sich entscheiden würde, ob man lieber Austern oder Schnecken isst.
Unvergesslich auch die glühenden Augen und weißen Zähne von Kirk Douglas und Jean Seaberg, die glänzende schwitzende Haut der Skaven, der übertriebene "American Night"-Effekt, all das schimmert in Technicolor und verleiht diesem Hollywoodschinken eine Ahnung von Camp, die sich durch Kubricks Werk zieht.
Schon der junge Kubrick fängt an, allen, vor allem dem Kameramann, ihre Kompetenz abzusprechen und die Schauspielerstars mit seinem Perfektionismus zu quälen. Und er hat Recht damit, denn heraus kommt ein Film, der Maßtäbe gesetzt und Epochen beendet hat und andere Epochen erahnen lässt, vor allem natürlich die seltsame Epoche Stanley Kubricks.
Christoph Sepin über "2001: A Space Odyssey" (1968)
Eine große und überwältigende Eröffnungsszene ist das zu Beginn von "2001: A Space Oddyssey" und für mich einer der einprägsamsten Momente der Filmgeschichte. Es ist ein Verzicht auf Worte, ein Verzicht auf große Erklärungen und einfach nur ein Fokus auf die Selbstverständlichkeit der Bilder und der Musik, was Stanley Kubrick da inszeniert. Ein rasanter Sprung von der Urzeit in die Zukunft der Menschheit, als sich ein in die Luft geschleuderter Knochen durch eine legendäre Schnittsequenz plötzlich in einen Satelliten verwandelt. Das ist nicht nur ganz großes Science-Fiction-Kino, sondern ganz großes und einzigartiges Erzählen, wie das nur jemand wie Kubrick kann.
Warner / Park Circus
Petra Erdmann über "Barry Lyndon" (1975)
Lange nachdem ich schon zu "2001: A Space Odysee", "The Shining" und "A Clockwork Orange" gebetet habe, habe ich "Barry Lyndon" zum ersten Mal im Kino unter Sternen im Wiener Augarten auf großer Leinwand gesehen. Wie ein One-Night-Stand, den man nie vergessen, aber auch nie wiederholen mag, habe ich ihn als transzendente Kinoerfahrung in Erinnerung.
Für viele ist die Literaturverfilmung "Barry Lyndon" (1975) der langweiligste Kubrick. Meist und während 184 Minuten nimmt eine nüchtern-distanziert klingende Erzählerstimme den versuchten Aufstieg und unentwegten Fall des jungen Landadeligen Redmond Barry im 18. Jahrhundert schon vorweg, noch bevor der Zuschauer den irischen Abenteurer zur Untat schreiten sieht.
Warner / Park Circus
"Barry Lyndon" hat für mich in seinem ungeschminkten Stil und seiner akkuraten Haltung der Vergangenheit gegenüber, wie ich sie davor im Kino nicht kannte, überrascht. Fiktive Geschehnisse, die vor hunderten Jahren konstruiert wurden, hatten mich subversiv und kalt erwischt mit diesem tragischsten, elegantesten und passivsten Antihelden meiner persönlichsten Filmgeschichte, gegeben von Ryan O´Neal.
Mit "Barry Lyndon" hat Kubrick heroenhaften Bombast, wie ihn Historienschinken üblerweise und üblicherweise durchexerzieren, ungeniert in minimalistische Kühnheit umgekehrt. Da log mich kein Lidstrich so dick an wie der Nil über dem mit 1000 Watt ausgeleuchtetem Auge einer Hollywood-Diva (Liz Taylor). Kubrick tauchte den fleckigen Puderteint von Lady Lyndon (Marisa Berenson) in reines Kerzenlicht und schuf in einer Kinosekunde ein Meer aus Melancholie, in dem ich mit dem fantastischen Soundtrack im Ohr bis heute baden kann, wenn ich an die Blicke von Lady Lyndon und ihres zukünftigen Gatten Redmond Barry denke, die sich am Roulette-Tisch treffen.
Martin Pieper über "Eyes Wide Shut" (1999)
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Über Eyes Wide Shut, den letzten Film von Kubrick, wurde damals 1999 beim Erscheinen schon viel gelästert: unfreiwillig komisch sei die überlange Ehe- und Treuekrise von Tom Cruise und Nicole Kidman geraten. Völlig aus der Zeit gefallen, ein misogyner Blick auf die Geschlechterverhältnisse, und eine Orgienszene, die weit hinter die transgressiven Standards zurückfällt die Kubrick selbst gesetzt hat und so weiter. Ich kann nicht in jedem Punkt widersprechen, und doch hat dieser Film einen speziellen Platz in meinem Herzen. Denn das erste mal auf großer Leinwand sehen, wie das zentrale Star-Paar, damals noch die Brangelinas ihrer Generation, den weihnachtlich geschmückten Ball im Fantasy-New-York von Stanley Kubrick betreten, das ist – man verzeihe mir das Klischee – ganz großes Kino.
Das Dekor, die Kamerabewegungen, Musik, Schnitt und wie so oft bei Kubrick das Licht sagen: "Das ist meine (Kubricks) Welt, so und nicht anders habe ich mir das vorgestellt." Nichts ist dem Zufall überlassen, alles hat eine, nein, mehrere Bedeutungen. Hinter jedem Blick, jeder Glühlampe, jeder Geste auf diesem Ball steckt ein Geheimnis. Der "Glow" von Nicole Kidmans goldenen Haaren, das gleichzeig kalte und warme Licht der Weihnachtsdekoration, die perfekte Künstlichkeit des gesamten Szenarios führen unmittelbar zum schrecklichen Gedanken, dass solche Filme einfach nicht mehr gemacht werden.
Warner / Park Circus
Gewinnspiel beendet
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Welches historische Ereignis, so sagt man, sei von Stanley Kubrick verfilmt worden?
Die richtige Antwort: Die erste Mondlandung
Die GewinnerInnen wurden per Email verständigt.