Erstellt am: 29. 9. 2016 - 14:42 Uhr
Nieder mit dem Patriarchat
Für Minuten will man in diese wunderschönen Gesichter schauen. Dann ihre Kleider und diese Autos studieren und sich schließlich der Landschaft Neuseelands zuwenden, deren frischgrüne Hügel im Hintergrund um Aufmersamkeit ringen. Aber nichts da. "Mahana" beginnt rasant. Regisseur Lee Tamahori versetzt das Publikum in sein Heimatland Anfang der 1960er und mit Idylle hatte das Patriarchat schon damals nicht viel am Hut.
Zur Beerdigung eines Großgrundbesitzers rasen zwei Maori-Familien in ihren Kleinwägen, die Mahanas wie die Poatas leben von der Schafschur. Sechs Schafe pro EinwohnerIn zählt die Statistik der Gegenwart und auch vor fünfzig Jahren mussten all die Millionen Schafe Neuseelands geschoren werden. Wenig bekannt ist die Stellung der indigenen Bevölkerung zur damaligen Zeit. Lee Tamahori nähert sich der großen Geschichte über privates Leben.
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"Mahana" beginnt wie ein Romeo-und-Julia-Plot, doch schnell lenkt Lee Tamahori den Fokus auf Wichtigeres und zieht einen doppelten Boden in das Mahana-Hauptwohnhaus. Die Liebe in Gedanken, schön und gut, die Realität jedoch bilden ein Gott zitierendes Maori-Clanoberhaupt und seine zurückhaltende, liebevolle Frau. Nicht etwa der Großgrundbesitzer herrscht hier, der Maori-Patriarch muss nicht einmal seine Hand erheben, um Kinder und Kindeskinder zu unterdrücken.
Rebellion lies! Das hat sich wohl dieses Merinoschaf in Australien gedacht, das sechs Jahre der Schur entkommen ist. Wäre man ein Schaf, würde man angesichts dieser Massenabfertigung auch Ausreiß nehmen: "The Ballarat Saleyards zeigt den Prozess in drei Minuten.
"The truth is: Men fight for what they want. They always did, and they always will. That's the way of the world", stellt Großmutter Mahana gegenüber ihrem Enkel Simeon fest. In einer Gesellschaft, in der Rechtsprechung, Besitz, Schulmedizin und -bildung der weißhäutigen Bevölkerung vorbehalten sind und die Reihenfolge der Geburt die innerfamiliäre Rangordnung bestimmt, wird Simeons Gerechtigkeitsempfinden von einem Lehrer mittels Literatur bestärkt. Am Übergang von der Kindheit zur Jugend, aus der fürsorglichen Umgebung der weiblichen Familienangehörigen zur Männerwelt, begehrt Simeon nicht auf. Er muss nicht skandieren. Gewitzt und klug reagiert der Sympathieträger auf unhinterfragte Gewaltausübung. Nieder mit dem Patriarchat. Lee Tamahori ist inhaltlich mit diesem Film ganz bei der Burschenschaft Hysteria. Die Widerrede hat ihren Preis. Es ist ein schöner Twist der Handlung, dass hier eine ältere Frau ihre Emanzipation nachholt.
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Nase an Nase
Während das Licht hinter dem Kuhstall die Szene erwärmt, im Schnitt eine epische Breite exakt verhindert wurde und die Departments Kostüm und Ausstattung mit PerfektionistInnen besetzt sind, gerät das Drama im letzten Drittel sehr lieblich. Doch zu diesem Zeitpunkt hat man die Mahanas und die Poatas bereits viel zu gern, um einen erbarmungslosen Showdown herbeizusehnen.
"Mahana - Eine Maori-Saga" startet am 30. September 2016 in den heimischen Kinos.
Ein Western ist "Mahana" ohnehin nicht, auch wenn Männer ins Kino einreiten werden. Nach zwei Jahrzehnten in Hollywood, in denen Lee Tamahori u.a. den James-Bond-Film "Die another day" und den weit weniger gelungenen Actionfilm "Next" mit Nicolas Cage und Juliane Moore realisiert hat, ist der 66-Jährige nach Neuseeland zurückgekehrt. Hollywood bringt er mit und auch in sein Drama "Mahana". Maori wären von Westernfilmen begeistert gewesen, es wäre das beliebteste Genre der Sechziger gewesen, erklärt Lee Tamahori in Interviews. Dem Genre und dem Kino als Hort der Aufklärung und Auflehnung setzt Tamahori eine Sequenz als Hommage.
Mehr Rezensionen und Filmtipps gibt's unter fm4.orf.at/film
Nach "Tahana - Eine Maori-Saga" will man das Buch zum Film, wie es so oft schon heißt, lesen: Der Spielfilm ist die literararische Adaption der Autobiografie "Bulibasha" des Autors Witi Ihimaera. Der Film für sich ist ein unerwartet erfreulicher, toll fotografierter Ausflug ans andere Ende der Welt.