Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Flüchtling Regina Spektor"

Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

29. 9. 2016 - 08:03

Flüchtling Regina Spektor

Der Singer-Songwriter-Star aus den USA über ihre Zeit in Traiskirchen und das Wichtigste, das wir über Flüchtlinge wissen sollten.

Oft ist sie schon erzählt worden, die Geschichte von Regina Spektors Aufstieg: Wie sie es vom Immigrant-Kid in der Bronx zum gefeierten US-Popstar schaffte. Wie sie sich Anfang der Nullerjahre in der Anti-Folk-Szene New Yorks einen Namen machte und mittlerweile Konzerte im Weißen Haus gibt. Und wie sie zur vielgebuchten Komponistin von Film- und Serienmusik wurde (u.a. Titelsong You’ve Got Time für die Netflix-Show „Orange Is The New Black“).

Regina Spektor, Berlin 2016

Christian Lehner

Weniger bekannt ist Spektors Leben vor ihrer Zeit in den USA. Bevor ich sie zum ersten Mal zum Interview traf, war mir eine Randnotiz in ihrer Biografie aufgefallen. Da stand, dass Spektor auf der Flucht aus der Sowjetunion einige Zeit in einem Lager in Österreich verbracht hatte. Ich wurde neugierig. Das folgende Gespräch stammt aus dem April 2009 und wurde im Rahmen der Veröffentlichung ihres fünften Albums „Far“ aufgezeichnet. Weiter unten findet sich eine aktuelle Forsetzung.

Lehner: Deine Familie ist 1989 aus Russland geflohen. Warum eigentlich?

Spektor: Die Kehrseite der Liberalisierung der Sowjetunion unter Gorbatschow war das Erwachen eines neuen russischen Nationalismus, der häufig antisemitisch geprägt war. Als es zu ersten Übergriffen kam, beschlossen meine Eltern die Koffer zu packen.

Eure Fluchtroute führte über Österreich und Italien in die USA. In Österreich seid ihr in Traiskirchen nahe von Wien gelandet. An was kannst Du Dich noch erinnern?

Es war eine irrsinnig intensive Zeit. Ich war das erste Mal im Ausland, das erste Mal in einem Flugzeug. Emotional war es sehr aufreibend, weil die Flucht eher spontan erfolgte und wir von einem Tag auf den anderen all unsere Freunde und Verwandten und all unser Hab und Gut zurückließen. Wir nahmen nur das Notwendigste mit. Als wir in Österreich ankamen, waren unsere Herzen und Gedanken sehr schwer.

Du warst ja erst 8 Jahre alt. Wie hast Du das als Kind wahrgenommen?

Der erste Eindruck war das Essen. Es war so anders. Wir bekamen Fruchtjoghurt und so etwas hatte ich zuvor noch nie. Es schmeckte so herrlich! Wie eine neue Welt. Meine Eltern brachten zum Einkaufen ihre eigenen Taschen mit, weil wir es nicht gewohnt waren, dass man in einem Supermarkt Plastiktüten bekommt. Für mich waren das alles kleine Abenteuer und ich dachte mir: Ah, so machen die das hier! Es klingt vielleicht komisch, aber diese Kleinigkeiten erfüllten mich mit Hoffnung und ich wurde immer neugieriger.

Regina Spektor - Berlin 2014

Christian Lehner

An was kannst Du Dich noch erinnern? Wie war die Situation im Lager?

Es war eng. Das weiß ich noch. Und wir bekamen alle Fieber. Die ganze Familie. Die meiste Zeit in Österreich verbrachten wir im Bett, weil wir ja nur zwei Wochen da waren, bevor es weiter nach Italien ging. Es war Sommer, aber es regnete viel. Ach, und die wunderschönen Blumenbeete am Straßenrand, an die kann ich mich auch noch erinnern. Sie waren so bunt und gepflegt.

Hat Dich die Erfahrung der Flucht künstlerisch geprägt?

Ja, ganz sicher. Ich wurde aus einer Monokultur in einen bunten Mix geworfen. Innerhalb kürzerster Zeit war ich mit vielen verschiedenen Sprachen konfrontiert, die ich alle nicht verstand: Deutsch, Italienisch, Englisch und die vielen Sprachen der anderen Flüchtlinge. Ich versuchte also, aus dem Klang dieser Sprachen einen Sinn zu extrahieren. Ich erkannte, dass wir zwar alle verschiedene Sprachen sprechen, aber dass Sound universell verständlich ist.

Rührt daher auch dein experimenteller Umgang mit Sprache? Das Gurgeln und Zerdehnen von Wörtern und Lauten?

Wenn man die Grammatik nicht so wichtig nimmt, lässt es sich herrlich damit herumspielen. Und ich habe durch meine Erfahrung gelernt, dass Grammatik nicht so wichig ist.

Wie war für Dich die erste Zeit in New York?

Das Großartige an dieser Stadt ist, dass du bereits mit der Landung zum New Yorker wirst. Im Guten wie im Schlechten nimmt dich diese Stadt sofort auf. Paris ist eine tolle Stadt. Aber in Paris wirst du nie zum Pariser, sondern bleibst immer der Ausländer in Paris. New York ist ein einziger Akzent, der aus vielen Akzenten besteht.

Zieht es Dich manchmal in den Stadtteil Brighton Beach, der als russische Kolonie innerhalb New Yorks gilt?

Nur selten und dann bloß auf einen Kurzbesuch. Dort sprechen alle Russisch, alle Schilder sind auf Russisch, wenn du in ein Restaurant gehst, nehmen alle an, du bist Russe. Ich mag das Insulare nicht so sehr.

Es heißt ja, dass man im Ausland konservativer und traditionsbewusster wird. Ich war unlängst in Brooklyn in der Neighborhood Bensonhurst und man hat dort das Gefühl, dass man im Sizilien der 1910er Jahre gelandet ist.

Ich glaube, was viele nicht realisieren, ist, wie sehr es schmerzt, die eigene Kultur, das Gewohnte, den Alltag hinter sich zu lassen. Es stellt sich bei all der Hoffnung und den Möglichkeiten, die man vorher nicht hatte, eine tiefe Nostalgie und Traurigkeit ein. Selbst unter jungen Russen merkt man das. Da ist eine große Sehnsucht und zwar nicht nur nach dem Russland, das sie kennen, sondern nach dem Russland der Väter und Mütter, das sie gar nicht erlebt haben.

Was ist die größte Fehlannahme in Bezug auf Flüchtlinge?

Dass man eine Wahl hat.

Was meinst Du damit?

Man denkt immer, dass Flüchtlinge ein besseres Leben suchen für sich und ihre Familien, dass sie aus rationalen Gründen gehen. Das stimmt natürlich, aber in erster Linie gehen sie, weil sie müssen.

Regina Spektor, Berlin 2016

Christian Lehner

Interlude

An dieser Stelle war das Interview auch schon wieder zu Ende. Es sollte sieben Jahre dauern, bis ich an die letzte Frage anknüpfen konnte. Wir trafen uns zwar zwischendurch wieder zur Veröffentlichung des Albums What We Saw From The Cheap Seats (2012), aber damals drehte sich das Gespräch um andere Themen. Vor drei Wochen dann das Interview zum neuen Album „Remember Us To Life“. Europa steht unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise, das „Othering“ dominiert den Integrationsdiskurs, die Politik galoppiert nach rechts.

Lehner: Ich denke, du beobachtest, was sich gerade in Europa abspielt. Was ist denn von Deiner Erfahrung der Flucht aus betrachtet das Wichtigste, das man über Flüchtlinge wissen sollte?

Spektor: Wenn man alles zurücklässt, die Sprache, den Besitz, die Heimat, Freunde und Verwandte, wenn man das auch noch mit einer ganzen Familie macht, wie meine Eltern damals, dann kommt man mit großer Hoffnung und guten Absichten. Viele Menschen realisieren auch nicht, wieviel Angst man hat, wie abhängig man vom guten Willen von anderen ist, wie viel Mut es braucht, diesen Schritt zu wagen und wie verzweifelt man sein musste, dass man ihn gewagt hat.

Was ist die größte Fehlannahme?

Regina Spektor - Remember Us To Life

Warner Music

Am Freitag erscheint Regina Spektors 7. Album. Es heißt „Remember Us To Life“ und entstand unter dem Eindruck der Geburt ihres ersten Kindes. Review am Donnerstag in der FM4 Homebase ab 19 Uhr.

Das Wichtigste ist, egal wie unser Hintergrund ist, Flüchtlinge wollen in erster Linie das, was die meisten Menschen wollen: Frieden, ein Dach über den Kopf, eine Zukunft für die Kinder. Das ist deshalb so wichtig zu wissen, weil es in der Integration viele Dinge leichter macht. Auch wenn Populisten das Gegenteil behaupten, wir haben so viel mehr gemeinsam, als uns trennt.

Muss man die sogenannten Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen?

Sind unter den Flüchtlingen Menschen mit weniger guten Absichten? Ja, klar. Böse Menschen umgeben uns zu jeder Zeit, in der Arbeit, in der Nachbarschaft. Ich glaube, viele würden sich wundern, wozu ihre Bekannten fähig wären, wenn einmal der Kitt der Gesellschaft zu brökeln beginnt. Und wir sehen das ja gerade auch in den USA und in Europa mit dem Erstarken der Populisten und dem Hass, der jetzt überall durch die gesellschaftliche Decke bricht. Was man da oft hört, ist zum Erschaudern. Aber diese Menschen sind die laute Minderheit. Wie gesagt, ich glaube, dass wir mehr gemeinsam haben, als uns trennt.

Du bist ja in der einstigen Sowjetunion wahrscheinlich auch mit Polarisierung aufgewachsen?

Der Westen wurde uns als dekadent und unmenschlich verkauft. Und als faul! Alle wären nur am eigenen Vorteil interessiert. Es gäbe keine gemeinsamen Werte in der Gesellschaft. Und in den USA hat man verbreitet, dass wir Russen am liebsten alle Amerikaner umbringen würden. Und dass wir faul wären! Dann ist der Eiserne Vorhang gefallen und diejenigen, die sich dafür interessierten, fanden heraus, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung des jeweiligen Landes für die gleichen Werte steht wie im Rest der Welt. Großeltern wollen die Enkelkinder auf den Schoß nehmen, Mütter singen ihre Babies in den Schlaf. Eltern wollen Frieden für ihre Kinder.

Was kann man tun?

Helfen! Helfen anzukommen, helfen zu lernen. Meine Eltern waren Gebildete und es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie die neue Sprache sprechen konnten, und es hat noch länger gedauert, bis sie sich wirklich integrieren konnten. Und die russische Kultur ist nicht so weit entfernt von der westlichen. Es braucht also Hilfe. Und eine Menge Geduld. Auf beiden Seiten. Nur so können wir die Fundamentalisten und Populisten in die Schranken weisen.