Erstellt am: 27. 9. 2016 - 20:23 Uhr
Kraft durch Schwermut
"Ich bin ja nicht nur nah am Wasser gebaut, sondern im Wasser gebaut. Und ich hab überhaupt keinen Genierer und lass es gern raus. Bei 'Breaking the Waves' von Lars von Trier mussten sie mich raustragen, weil ich so durchnässt war." Fritz Ostermayer steht zu den großen Gefühlen.
Nicht nur das, er hinterfragt auch Rührung und die Hierarchie der Tränen. Warum sei es in der großen Kunst der Tragödie, wie etwa in der Staatsoper, erlaubt, ergriffen zu sein, während man in den niederen Künsten, zum Beispiel beim Schlager sagt: "Bwäh, sentimentaler Scheiß!" oder bei irgendeiner Arztserie: "Schmarren!" "Wer sind diese Instanzen und diese Zensoren, die uns verbieten wollen, in gewissen niederen Kulturen auch gerührt zu sein?"
Als künstlerischer Leiter der Schule für Dichtung kuratiert Ostermayer in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Wien das Festival "tausend tränen tief – wenn Katharsis schon nicht klappt, Rührung geht immer". Das Programm verspricht mindestens eine zweitägige Ergriffenheit beim Versuch, der Rührung in verschiedensten Kulturformen überhaupt einmal habhaft zu werden.
Es sei nicht so, dass wir zu wenig sentimental sind. "Die Perversion unseres Zeitalters besteht ja darin, dass wir medial so overgekillt werden, dass wir für echte Erschütterung anscheinend keine Ausdrucksweise mehr haben. Die Toten im Mittelmeer, die grauenhaften Anschläge des IS kümmern uns nicht mehr. Aber ein verzweifeltes, irgendwo verlaufenes Katzerl rührt uns."
"Tausend Tränen tief"
"Tausend Tränen tief" singt Jochen Distelmeyer mit Blumfeld. Und yeah - der Namensgeber ist nicht nur mit dabei, sondern hat auch diese Anforderung erhalten: "Wir wollen weinen, Jochen. Bring dein härtestes, stärkstes Material mit. Inkl. Gitarre." Seufz.
Fritz Ostermayer interessiert die Wendung von Jochen Distelmeyer: "Vom großartigen Analytiker – Diskurspopper hin zu einem fast auch sentimentalen Schlagersänger. Ein Mensch, der in der Diskurskette ganz oben beginnt, dann runtergeht zu dem Herzen."
Freuen darf man sich schon auf die Eröffnungsrede von Johannes Ullmaier. Der Literaturwissenschaftler und Herausgeber der Zeitschrift Testcard kann ebenso verständlich wie unterhaltsam komplizierte Dinge erklären. Etwa "Warum die alte griechische Katharsis von Aristoteles heute nur mehr in der Ausformung von Arztromanen und Splattermovies überleben kann."
Ein weiteres Highlight: Die beiden Literaturkritiker Daniela Strigl und Klaus Nüchtern befassen sich mit süßlicher Literatur. "Was finden sie widerlich an süßlicher Literatur oder wie sehr lassen sich Literaturkritiker auch von so was wie Sentimentalität anrühren?"
Sad sad song
12 Unterrichtseinheiten:
Mo, 10., Di, 11. und Do, 13. Oktober
jeweils von 17 bis 21 Uhr
in der Schule für Dichtung,
Mariahilfer Str. 88a/Stiege III/7,
1070 Wien
Klassenpräsentation
Sa, 15. Oktober, 20.30 Uhr
im Rahmen des Festivals im Literaturhaus
Es wäre nicht die Schule für Dichtung, wenn man nicht auch was lernen könnte. In diesem Fall wirklich traurige Lieder.
Der Vorzeigelehrer ist dabei Oliver Welter von Naked Lunch. "Es gibt in Österreich echt keinen, der Wehmut und Schwermut besser lehren könnte." Bei der Musik von Naked Lunch möchte Fritz Ostermayer schon im Intro ein Tränlein loswerden.
"sad sad song – wir schreiben melancholische Texte zu todtraurigen Melodien." heißt die Klasse von Oliver Welter und Fritz Ostermayer.
Zuallererst werde man lernen, gesettelt zu sein. Schließlich müsse man - wie schon der ehemalige sfd-Lehrer Nick Cave meinte - eine gute Psyche mitbringen, um traurige Songs schreiben zu können.
Möglicherweise werde man sich vorher mit ein paar Achtel Rot eingrooven, erklärt Fritz Ostermayer. Um sich dann in die süße Melancholie hineinzuversetzen. In den "sweet Weltschmerz" (ausgesprochen "Weltschmörz" - das Wort wurde ja in einige Sprachen übernommen. Jean Paul sei Dank.)
Das bedeute nichts anderes als eine homöopathische Dosis von wirklicher Verzweiflung. Fritz Ostermayer hegt die Hoffnung, "dass man vielleicht, wenn man in so kleinen homöopathischen Dosen den Weltschmerz zu sich nimmt, vor großer Erschütterung ein bisschen gefeit ist. Kraft durch Schwermut!"