Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ist der Rock’n’Roll-Lifestyle mit Ende 20 vorbei?"

Lisa Schneider

Hören, lesen, schreiben

9. 10. 2016 - 11:00

Ist der Rock’n’Roll-Lifestyle mit Ende 20 vorbei?

Natürlich nicht. White Lies und ihr viertes Album "Friends".

White Lies, eine Band, vor allem bekannt durch ihren Debüt-Kracher "To Lose My Life" und pathetisch-aufgeladene Zeilen wie "Lets grow old together / and die at the same time". Mit ihrem gleichbenannten Debütalbum 2009 sind sie an die Spitze der UK-Charts geklettert, herumgetourt, den Erfolg haben sie 2011 mit "Rituals" fortgesetzt. Sie füllten die Londoner Wembley Arena. Editors, Kaiser Chiefs, The Killers wurden als Referenzen genannt. 2013 wurde "Big TV" veröffentlicht, kein ganz so großer Aufruhr, aber doch.

White Lies

PIAS

Die White Lies widmen sich auf ihrem vierten Album erstmals ihrem und vor allem dem Alter ihrer Freunde. Deshalb wurde die LP auch "Friends" getauft: Im Gespräch erzählt das Londoner Synthrock-Trio, dass sie an einem Punkt in ihrem Leben angelangt sind, wo zumindest viele ihrer gleichaltrigen Freunde beginnen, "ein stabiles, echtes" Leben aufzubauen.

Was da heißt: Haus, Kind, Hund, Gartenzaun.

Wie behält man die Stabilität einer solchen Freundschaft bei, in der sich die Interessen verschieben? Gute Frage.

What changed most?

I wasn’t listening up here in my daydream, my love is unchanging, I just got problems that need rearranging.

Cover LP "Friends" von White Lies

Pias

Das dritte Album der White Lies, "Friends", ist via Pias erschienen.

Die neuen Texte sind deutlich direkter, offener, geradliniger. Kein Drumherum mehr, keine verschlungenen Metaphern, keine überhöhten Phrasen, keine Schnörksel. Keine Spielereien, sondern Struktur. Nick Cave das Vorbild, und da nicht nur die dunkle, oft gothic-anklingende Atmosphäre, sondern vor allem die einfachen Texte. Die die Geschichte einer Figur oder nur die Figur selbst erzählen, und damit eine ganz eigene, direkte Spannung aufbauen. That's the way we continue to go.

Das funktioniert oft, aber nicht immer: Songs wie "Morning In LA" könnten etwas Pfeffer vertragen, wenn die alte Geschichte vom Mann, der in die USA zieht und sich fremd fühlt, neu erzählt wird. Oder wenn es in "Is My Love Enough" fast plattitüdenhaft heißt: It hurts so much that my love might never be enough.

Um die Texte kümmert sich nach wie vor Bassist Charles Cave, sein sonst gutes Gespür für die richtigen Worte rettet er mit Zeilen wie My love isn’t all that I thought it was, and I’m no one without someone to need me.



Dass drei Jahre zwischen dem dritten und dem vierten Album der White Lies vergangen sind, liegt vor allem daran, dass sich intern viel verändert hat, vor allem der Wechsel der Plattenfirma (von Mis zu Pias). Nach dem Hype der ersten Bandjahre wieder ein Stück zurückgeworfen, nüchternen Blickes auf die Zukunft, alles wieder mehr oder weniger auf den Ausgangspunkt zurück. Neue Songs schreiben, neue Unterstützer suchen. Hoffen, dass die Fans auch auf das neue Album warten.

Aber der fehlende Zeitdruck hat der Band gut getan: Anstatt wie gewohnt nur das zu schreiben, was für ein Album als Format nötig war - gute zehn Songs - haben sie jetzt viel, viel mehr geschrieben. Und dann ausgesucht.

More than this: Roxy Music Calling

FM4 Indiekiste

White Lies spielen am 5. November eine exklusive FM4 Indiekiste in der Wiener Ottakringer Brauerei.

Die Ausgangslage war aber schon einmal gut: King of Roxy Music, Bryan Farry hat, nachdem der Manager der White Lies mal eben so mit dessen Sohn ein paar Tage feiern war, in sein Studio geladen.

"The first thing you see when you walk in is a lot of Andy Warhol prints. And you're like: Hey, okay, that's definitely Bryan's place. And as you go downstairs, there's lots of the equipment, synthesizers, covers of the first Roxy Music Records. Pretty cool."

Produzent Ed Buller (Suede, Pulp, The Raincoats), ein guter Freund der Band und derjenige, der sich um die vielen 80ies-Synthesizersounds auf "Friends" gekümmert hat, fühle sich in Bryan Ferrys Studio mit all den Retro-Geräten wie am Klavier von Mozart.

"I think this is kind of a dying art. Of course you have a lot of synth-nerds out there, but because of the way computer software and synthesizer software are made, actually getting your head around the essence of it, this is what is amazing. That's what Ed does."

Vor allem durch die dichten Keyboards bestimmt "Friends" ein flächiger, oft sogar verhallter Sound. "We like that atmosphere, those cinematic sounds were always part of our music. They do make you think of open spaces, and sort of isolation." Große, schwermütige Refrains passen dazu. Und bilden den Fixpunkt, der alle Songs der White Lies nach wie vor auszeichnet.

Alle Stücke entstehen gemeinsam, manchmal ernsthaft, stirnrunzelnd am Schreibtisch sitzend, manchmal total im Affekt. Die goldene Regel: Melodie vor Text. "The kind of melody you would just find yourself singing when you cook eggs in the morning."

"It's all well getting in the complexity of arrangements, and doing fun things with weird chords. But if you don't have a good song, the foundation of your process, it's never going to turn into a good piece of music. Or at least it's very unlikely."


Weil die White Lies nach wie vor zu dritt auf der Bühne stehen, setzen sie die Synthparts nicht nur als Retrochic, sondern als Orchesterersatz ein. Vor allem live soll die neue Platte funktionieren - auch wenn die Band der Zuhörerin vorher unbekannt war. Also: tanzbar, aber vor allem eingängiger und vielschichtiger als die drei Vorgänger. 70ies-Grooves, schimmernd-melancholischer New Wave-Sound, leider aber ein bisschen zu gewollt glattpoliert. Das Glitzern der Diskokugel ist ein bisschen stumpf.

Warum gibt es keinen titelgebenden Song?

Mehr Musik

Aus dem FM4-Kosmos findest du auf

Den gibt es. Nur: "It sounds like the kind of music that you would hear with a wrestler arriving at the arena." Rocky Balboa mit E-Gitarre, schräge Keyboardsounds, "extremely weird compared to White Lies-Standards."

Schade. Er hätte dem Album vielleicht den Funken gegeben, der nun mit Sylvester Stallone die Treppen hinauf- und davonläuft.