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Pia Reiser

Filmflimmern

26. 9. 2016 - 15:18

Tabuthema Spät-Abtreibung

Wer einen Blick ins aktuelle Kinoprogramm wirft, der wird feststellen, dass es gerade eine Häufung von Filmen gibt, die sich mit dem Mutter-Sein und Kinder-Bekommen beschäftigen. So auch "24 Wochen" von Anne Zohra Berrached.

Die deutsche Regisseurin Anne Zohra Berrached hat sich mit "24 Wochen", der auf der Berlinale uraufgeführt wurde, einem Thema gewidmet, von dem man in den Medien bisher nicht viel gehört hat, nämlich Spät-Abtreibung. In Österreich - wie auch in Deutschland - gibt es die Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch auch noch bis kurz vor dem Geburtstermin durchzuführen, wenn bei dem Kind - so steht es im österreichischen Gesetzbuch - "eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt" sein wird.

In "24 Wochen" spielt Julia Jentsch eine schwangere Frau, die erfährt, dass ihr Kind Trisomie 21 hat. Das Paar beschließt, dass es das Kind haben möchte, doch dann stellen Ärzte auch noch einen schweren Herzfehler fest. Nach langen Überlegungen entschließt sich die Frau für eine Spät-Abtreibung.

Ich habe Anne Zohra Berrached, die Regisseurin des Films "24 Wochen", zum Interview getroffen.

Es ist eher selten, dass sich ein Spielfilm so sehr einem Thema verschreibt, aber nicht versucht ein flammendes Plädoyer für oder gegen irgendeinen Standpunkt zu sein. "24 Wochen" manipuliert einen nicht. War es dir auch wichtig, eine Gegenposition zu der Art von Kino zu sein, das einen überrumpeln und indoktrinieren will?

Anne Zohra Berrached: Ich habe nicht darüber nachgedacht, was das Kino sonst tut und wie ich das jetzt tun will, sondern ich habe mich mit dem Thema beschäftigt. Und ich wusste, dass ich zu diesem Thema nur sehr schwer aus dem Trockenen heraus eine Haltung haben kann. Ich habe bei dieser ganzen Recherche einfach gelernt, dass 90 Prozent der betroffenen Frauen sich auch nach dem dritten Monat gegen das Kind entscheiden. Wären sie nicht selbst in dieser Situation, hätte wahrscheinlich die Hälfte von ihnen gesagt, sie würden das Kind bekommen. Weil das menschlich ist, und das will man. Die meisten Leute sagen, man kann das gar nicht verstehen, wie diese hohe Zahl zustande kommt. Wenn die Leute aber in dieser Situation sind, dann ist diese Zahl eben so hoch. Und dadurch, dass ich diese Zahl nun weiß, wollte ich den Film so gestalten, dass man sich selber darüber Gedanken machen kann. Und ich finde eben auch, dass dieses Thema superaktuell ist, weil die Pränataldiagnostik ja immer besser wird. Wir stecken unheimlich viel Geld da rein und wollen ja auch wissen, was in dem Bauch der Frau los ist. Das fühlt sich so sicher an. Es vermittelt einem Sicherheit, wenn man da reingucken kann in den Bauch. Aber wieso sicher? Wenn wir dann wissen, was mit dem Kind ist, was ist denn dann? Diese Frage stellt eben keiner, und diese Frage stellt der Film.

Tochter und Mutter vor einem Spiegel

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Auffallend bei "24 Wochen" ist auch die Balance aus sehr emotionalen Szenen und als Kontrapunkt dazu die sachlichen Aussagen der Mediziner. War das von Anfang an für dich klar, dass man bei so einem emotionalen Thema ein bisschen gegensteuern muss?

Anne Zohra Berrached: Gegensteuern wollte ich vor allem an vielen Stellen mit Leichtigkeit. Und komischerweise mag ich es in vielen Filmen, wenn Ärzte reden, wenn Fachleute reden, wenn sowas Kühles dazukommt zu einem völlig emotionalen Thema. Und ich finde es äußerst interessant, wenn Menschen dann vor Medizinern sitzen, die sehr kühl ihre Sache darlegen. Das müssen die Mediziner ja auch, sie müssen sich selbst abspalten davon, damit sie professionell bleiben können. Diesen Gegensatz finde ich superspannend und den wollte ich hier natürlich zeigen. Dieses Paar, die sind sehr gebildet und kommen trotzdem in eine Situation, wo sie erst einmal gar nicht wissen, total hilflos sind und sich auf das Gegenüber - also den Mediziner - verlassen müssen.

Dein Film dreht sich um einen Entscheidungsprozess, die Figur von Julia Jentsch sagt einmal, die Entscheidung, das Kind nicht zu bekommen war wohl halb falsch oder halb richtig; einige werden aber vielleicht deinen Film als das "Recht auf ein Kind ohne Behinderungen" interpretieren, gab es da schon Anfeindungen, Drohungen, Boykott-Androhungen oder ähnliches?

Anne Zohra Berrached: Relativ wenig, muss ich sagen. Ich hatte fast mehr erwartet, während des Schreib- und Drehprozesses. Es gab einmal eine Situation, bei der etwa vierten Vorstellung auf der Berlinale, wir waren alle schon sehr gewohnt, dass unser Film gefeiert wird und sind auf die Bühne, mein ganzes Team und ich. Und dann meldete sich eine Frau und sagte: "Dieser Film ist Werbung für Abtreibung, ich habe ein Down-Syndrom-Kind und in diesem Film haben sie mein Kind getötet." Das war bis jetzt das Heftigste, das passiert ist. Ich habe ihr dann erklärt, dass ich nicht der Meinung bin, dass es Werbung ist. Ich habe alles getan, dass es keine Werbung für Spät-Abtreibung ist. Und dass ich als Regisseurin, als Künstlerin, der Meinung bin, dass ich alles, was in unserer Gesellschaft vorkommt, auch auf die Leinwand bringen kann. Und dass ich das dürfen muss. Wenn mir das jemand verbietet, dann werde ich böse. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass ich das zeigen kann, weil uns das beschäftigt.

Die Figur der Astrid - gespielt von Julia Jentsch - die hat einen interessanten und eher seltenen Beruf, die ist Kabarettistin. Warum denn ausgerechnet Kabarettistin?

Anne Zohra Berrached: Ich wusste, dass dieser Film an vielen Stellen sehr tief gehen wird und sehr traurig wird. Der Film geht dir an die Eier. Ich wusste, dass ich da eine Balance schaffen muss. Dann habe ich darüber nachgedacht, was das Gegenteil von dieser Trauer und diesem Wahnsinn ist, den die Hauptfigur da durchmacht. Ich dachte: Lachen. Und was ist noch schwerer als lachen? Andere Leute zum Lachen zu bringen. Und dann war klar, sie wird Kabarettistin. Ich wollte auch, dass sie eine öffentliche Person ist, weil ich immer diese Szene am Schluss im Kopf hatte, wie sie an die Öffentlichkeit geht und der Öffentlichkeit sagt: "Ich weiß nicht, ob das richtig oder falsch war, ich weiß nur, ich hab's gemacht und ich sag das jetzt. Ich beichte jetzt."

Tochter und Vater

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Julia Jentsch ist Mutter einer Tochter, war es wichtig die Rolle der Astrid einer Schauspielerin zu geben, die selbst Mutter ist, oder hat sich das zufällig ergeben?

Anne Zohra Berrached: Ich fand das wichtig, weil ich sehr Angst vor der Geburtsszene hatte. Ich habe selber keine Kinder und ich dachte, wenn ich eine Schauspielerin finde, die noch nicht Mutter ist, dann müssen wir in den Kreissaal und bei einer Geburt dabei sein. Nun war die Rolle von Astrid - die die Julia jetzt spielt - sehr schwer zu casten. Ich hatte im Grunde mein gesamtes Ensemble schon zusammen, wir waren schon kurz vor dem Dreh, und niemand wollte diese Rolle spielen. Das hatte ich nicht erwartet. Ich dachte: Das ist ja ein Riesenkonflikt, und jeder Schauspieler möchte doch Riesenkonflikte erzählen, warum wollen die das nicht? Weil klar war, so, wie ich diesen Film drehen will, das wird die Schauspielerin beeinflussen. Ich hatte mein Drehbuch und ein Regiekonzept, in dem ich recht ehrlich gesagt habe, dass ich der Meinung bin, man kann das nicht einfach spielen, man muss das leben, man muss das empfinden. Und dass ich nicht zufrieden bin mit einer gespielten Szene, sondern dass ich möchte, dass das authentisch ist und sich für mich real anfühlt. Da fragten sich dann viele, ob sie das für sich wirklich wollen. Julia war dann eben diejenige, die mutig genug war, das zu machen. Sie hatte ein Kind, das war so vier Jahre alt, und die fand das Thema so spannend, dass sie das einfach machen wollte.

Wie schon in deinem Film "Zwei Mütter" sind auch in "24 Wochen" die Ärzte und Hebammen keine Schauspieler, sondern tatsächlich eben Ärzte und Hebammen, was hätte sich denn am Film geändert, wenn statt den Ärzten zum Beispiel Schauspieler wie Nina Hoss oder Alex Milberg zu sehen wären?

Anne Zohra Berrached: Das hätte dann nicht diesen Dok-Film-Charakter. Das wäre von den Schauspielern sehr viel verlangt gewesen, denn ich hätte verlangt, dass sie sehr viel recherchieren für eine relativ kurze Szene. Ich glaube sogar, es wäre Nina Hoss nicht möglich gewesen, all dieses Wissen zu bekommen, das ein Kinder-Herz-Chirurg, der eben seit 35 Jahren Kinder-Herz-Chirurg ist, hat und eben auch in diese Szene mitbringt. Das spürt man. Meine Überlegung war auch immer: In dem Moment wo ich diese Laien habe, müssen die Schauspieler einfach so gut spielen wie die Laien. Sie müssen so "echt" sein, und sich eben auch so ausdrücken und grammatikalische Fehler machen - wie wir eben in der Realität sprechen. Das war ein guter Ansporn, den ganzen Film so zu gestalten, dass er ebenso real und authentisch wird.

Gibt's Rückmeldungen an dich aus der Medizin, dass Ärzte, Hebammen etc. dankbar sind, dass dem Thema einmal mediale Aufmerksamkeit zuteilwird?

Anne Zohra Berrached: Das hatte ich schon, bevor wir den Film überhaupt gemacht haben. Das war ein Ansturm von den Medizinern auf mich. Die wollten über dieses Thema reden, weil es das noch nicht gibt. Es gibt keinen Film, der sich damit beschäftigt. Es hatte sich sehr schnell rumgesprochen in Deutschland, dass ich diesen Film mache, und ich hab E-Mails bekommen von Leuten, die von sich aus mit mir zur Recherche reden wollten. In so einem Ausmaß hatte ich das noch nie. Auf der anderen Seite war es richtig schwer, ein Paar zu finden, das spät abgetrieben hat. Das war schwer.

"Mother's Day", "Bad Moms", "Ma Ma" - und auch dein Film beschäftigen sich mit dem Mutter-Sein, kannst du dir erklären, woher diese plötzliche Ballung der Beschäftigung mit dem Mutter-Sein kommt?

Anne Zohra Berrached: Das ist natürlich ein urtypisches Thema. Und selbst wenn wir keine Kinder haben wollen, beschäftigen wir uns damit, dass wir keine haben wollen. Also jeder Mensch wird sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Das Thema hat so viele Facetten, das wird immer Leute berühren.