Erstellt am: 26. 9. 2016 - 14:54 Uhr
Zahl der Investorenschutzklagen explodiert
Auf dem informellen Gipfel der EU-Wirtschaftsminister, der am Freitag in Bratislava zu Ende gegangen ist, standen die Freihandelsabkommen ganz oben auf der Tagesordung. Man war sich darüber einig, dass die TTIP-Verhandlungen heuer nicht mehr abgeschlossen werden könnten. Das bereits ausverhandelte CETA-Abkommen mit Kanada soll nach Willen der Minister hingegen so rasch wie möglich ratifiziert werden.
Aktuell dazu in ORF.at
Die Ergebnisse des informellen Ministerratstreffens in Bratislava
Nach dem Gipfel hieß es, dass die umstrittenen CETA-Klauseln zu Investorenschutzklagen vor internationalen Schiedsgerichten, die keine Gerichte sind, sondern private, nicht öffentliche Tribunale, vorerst nicht in Kraft treten würden. Dabei ist die Zahl dieser Klagen seit 2015 förmlich explodiert. Beim Internationalen Schiedsgerichtshof der Weltbank wurde in den vergangenen 18 Monaten rund hundert neue Klagen unter dem ICSID-Regime eingereicht, die neueste davon stammt aus Österreich.
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UniCredit Bank Austria klagt, sagt aber nicht, warum
Die UniCredit Bank Austria AG klagt zusammen mit der Zagrebačka banka die Republik Kroatien, der Klagegrund ist ebenso unbekannt wie die Höhe der geforderten Summe, denn die Bankengruppe weigerte sich, eine diesbezügliche Anfrage von ORF.at zu beantworten. Auf der ICSID-Website werden jedenfalls "Bankenservices und Schuldeninstrumente" als Verfahrensgegenstand genannt. Offener zeigte sich der österreichische Baukonzern STRABAG, der Libyen unter Berufung auf ein bilaterales Freihandelsabkommen mit Österreich von 2002 geklagt hat.
Die Klage der STRABAG gegen Libyen basiert auf dem bilateralen Freihandelsabkommen von 2002 zwischen Libyen und Österreich, bei der Klage der UniCredit Bank Austria findet sich kein Hinweis, ob sie sich auf ein Abkommen bezieht
Laut STRABAG seien erbrachte Leistungen im Straßenbau, die nicht bezahlt wurden, Kosten für zerstörtes Equipment und die Evakuierung von Mitarbeitern Gegenstand der Klage. Der geforderte Schadenersatz belaufe sich auf 100 Millionen Euro, hieß es dazu von der STRABAG. Eingereicht wurde diese Klage bereits im Sommer des Vorjahres, erst vor zwei Wochen fand eine weitere Verhandlungsrunde statt. Die STRABAG wird in diesem Verfahren von einer Londoner Kanzlei vertreten, Libyen hat dafür zwei New Yorker Anwaltsbüros engagiert.
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Nur die Meinl-Bank klagte Österreich
Aber auch gegen Österreich, das bisher von solchen Verfahren verschont geblieben ist, läuft seit 2015 eine Investorenschutzklage. Zu diesem Zweck ist die "Belegging-Maatschappij Far East", eine niederländische Briefkastenfirma extra nach Malta umgezogen, da zwischen Österreich und den Niederlanden kein bilaterales Freihandelsabkommen existiert, wohl aber wurde ein solches 2002 mit Malta abgschlossen. Die Klage der Briefkastenfirma, hinter der niemand anderer als Julius Meinl vermutet wіrd, wurde im Juli 2015 eingebracht, im November desselben Jahres wurde sie offiziell als Tribunal gelistet, die bisher letzte Runde fand vor drei Wochen statt.
TTIP wurde im August aus der Schusslinie der Kritik genommen, um das weit weniger bekannte CETA durch Ministerrat und EU-Parlament zu bringen. Während bei TTIP noch Änderungen möglich sind, enthält der ausverhandelte CETA alle herkömmlichen ISDS-Klauseln
Da nahm die österreichische Finanzprokuratur über eine Pariser Rechtsanwaltskanzlei Stellung zu den Vorwürfen, die österreichische Justiz hätte eine "Hexenjagd" gegen Julius Meinl und einen Rachfeldzug gegen die Bank veranstaltet, der diese nachhaltig geschädigt habe. Letztlich laufe dies auf eine "Enteignung der maltesischen Eigentümerfirma" hinaus, sagte der Schiedsgerichtsanwalt der Bank, Kenneth Reisenfeld, bei der Eröffnung des Verfahrens.
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Die Abzocke der Kleinanleger
Die Klage der Meinl-Bank in der Analyse, Listung und Status bei der Weltbank und die Ergebnisse der Atrium-Schlichtung für einen Teil der Kleinanleger
Die "Hexenjagd" bezieht sich auf die Ermittlungen gegen die Vorstände der Meinl-Bank wegen des Verdachts auf Betrug und Untreue bei Immobilienfonds. Die erhobene Schadenssumme beträgt 211 Millionen Euro, die durch eine "Sonderdividende" für eine Tochterfirma der Meinl-Bank aus dem Immobilienfonds abgezogen wurde. Geschädigt wurden die zumeist österreichischen Anleger des Immobilienfonds MEL-Land, denen die Anteile als "mündelsicher" - das ist die höchste Sicherheitsklasse überhaupt - verkauft wurden.
Wenigstens ein Teil der geschädigten MEL-Land-Anleger dürfte bereits bald eine Entschädigung erhalten, wenngleich es dabei große Abstriche in Kauf zu nehmen gibt. Anleger, die sich der Sammelklage der "Stichting Atrium Claim", einer gemeinnützigen Stiftung unter niederländischem Recht, gegen die Meinl-Bank angeschlossen haben, erhalten frühestens 2017 Teile ihrer Einlagen zurück. 70 Prozent bekommen jene Anleger, die zwischen 9. Februar und 31. August 2007 - also sehr spät - eingestiegen sind. Wer bereits länger Anteile hielt, muss sich mit 35 oder gar nur 10 Prozent begnügen.
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Ein Sittenbild der Intransparenz
Alles in allem ergibt sich so das Musterbild eines Anlagebetrugsprojekts, dem die Justiz nachging und den Initator vor Gericht brachte. Dafür wird unter dem ICSID-Regime der Weltbank Schadenersatz in der Höhe von "mindestens 200 Millionen Euro" von der Republik Österreich eingefordert. Vor Redaktionsschluss dieses Artikels traf auch eine Antwort von der Zagrebačka banka ein, bei der ebenfalls angefragt wurde, warum sie zusammen mit der UniCredit Bank Austria die Republik Kroatien verklagt. Wortlaut der Antwort: "kein Kommentar".
Ebensowenig war von der Wiener Kunsttrans Holding zu erfahren, warum gegen die Republik Serbien Klage eingereicht wurde und wieviel Schadenersatz gefordert wird. Die STRABAG wiederum will 100 Millionen von einem gescheiterten Staat zurück, der zur Zeit keine zentrale Regierung und damit auch kein Finanzministerium mehr hat. So ist es in der Praxis um Investorenschutzverfahren bestellt, wie sie auch im CETA-Freihandelsvertrag mit Kanada enthalten sind. Bis heute ist kein einziger Klagefall bekannt, der vom ICSID-Schiedsgericht wegen offenkundiger "Frivolität" zurückgewiesen wurde.
Nachsatz und Fazit
Der konsolidierte Text des Abkommens umfasst knapp 1.600 Seiten, ihn auf der CETA-Website der Kommission zu finden, kommt der Lösung eines Suchrätsels gleich. Der Text des Abkommens ist nämlich ganz unten auf der Page verlinkt
Auf dem Treffen der EU-Wirtschaftsminister in der Slowakei wurde zwar ein Zusatzprotokoll zum CETA-Vertrag vereinbart, um die ICSID-Klauseln irgendwie zu entschärfen. Diese Protokol ändert aber nichts am CETA-Wortlaut, es enthält nur Anleitungen zur Interpretation des Vertragswerks. Ob das genügen wird, um Rechtsanwaltskanzleien aus den USA davon abzuhalten, europäische Staaten mit Klagen einzudecken, ist äußerst fraglich. Das ist nach der Ratifikation von CETA durchaus möglich, zumal Kanada durch den NAFTA-Freihandelsvertrag von 1995 ökonomisch eng mit den USA verbunden ist.