Erstellt am: 25. 9. 2016 - 16:06 Uhr
Im Rhythmus der Gezeiten
Was ich haben will, das krieg' ich nicht. Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht. Bekanntermaßen ist das Leben voller Hindernisse und voller Widersprüche. Irgendwas mag man oft erreichen wollen oder soll man erreichen wollen und dann macht man aber die Dinge, die den angeblichen Zielen entgegen wirken. Viele Lieder verhandeln die alten Geschichten.
"Grip" heißt die neue Single der 21-jährigen englischen Musikerin Hannah Rodgers und darin singt sie davon, dass sie das ja eigentlich gar nicht möchte, an sich selbst, den "grip", das unbedingte Zupacken-Wollen, das krampfhafte Festhalten: "I don't want to feel the need to grip on tight to everything I see", heißt es im Refrain.
Pixx
Unter dem Namen Pixx hat Rodgers schon ein paar Songs und eine schöne EP veröffentlicht, Anfang 2017 soll über das verlässliche Label 4AD (Grimes, Deerhunter, Beirut u.a.) ihr Debütalbum erscheinen. Oft geht es in den Stücken von Pixx um die Flüchtigkeit der Zustände, der Gefühle, der Haltungen.
Alles dreht und wendet sich, entgleitet uns, es wird besser, es wird schlechter. In musikalischer Hinsicht schlägt sich diese dauernde Flexibilität, sei sie willkommen, sei sie unerwünscht, die Rastlosigkeit, die Ortlosigkeit, in einer feinstofflichen elektronischen Popmusik nieder, die stets kurz davor steht, sich selbst aufzulösen.
Weitflächiger, wabernder Ambient-Pop, der durchaus esoterische, sphärische Duftnoten mit sich führt, nebulöser, verhallter Dreampop aus dem Kinderkeyboard. Darunter liegen oft Beats, die Pixx von Dubstep, HipHop und Trap abgehört hat, oder auch vertrackte Bastelstubenelektronik der englischen WARP-Schule – jedoch hat die Künstlerin den Kick, den Punch, auch die fallweise Aggressivität, das Scharfkantige, das derlei Musiken gerne transportieren, abgeschliffen und ihre Sounds in Watte gekleidet.
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Das ist aber nicht naiv oder lieblich verhuscht. Vielmehr entsteht so ein neues seltsames Ungleichgewicht. Im Stück "Grip" gelangt dieses komische Mischverhältnis zur Meisterschaft: Pixx ist hier so poppig wie nie zuvor, addiert Tupfer von fernöstlicher Folklore und cartoonhaft überhöhte Fantasie-Schamanengesänge, die ihr wohl nicht ganz zufällig und verlässlich Vergleiche mit Grimes einbringen werden.
Und so erzählt Pixx hier vom Wechsel der Gezeiten, von einem Münzwurf, der den weiteren Lauf der Geschehnisse entscheiden mag. Und so mag sie also auch nicht das Gefühl verspüren, sich allzu fest an alles klammern zu wollen. Aber dennoch, so erfahren wir gegen Ende: "Still I give it all - away". Die kleinen, die großen Ungereimtheiten, die Frage nach so etwas wie "Schicksal", die eigene rätselhafte Existenz im undurchblickbaren Kosmos.