Erstellt am: 28. 9. 2016 - 12:00 Uhr
Allein im Roboterkeller
Zehn Stockwerke unter der Erdoberfläche ist ganz schön was los, auch wenn weit und breit kein Lebewesen zu sehen ist. Fleißige Arbeitsroboter schleppen Rohstoffe durch die Gänge, flinke Drohnen zischen herum und dicke Bergbaumaschinen bohren Löcher ins Gestein. Mittendrin sind wir: ein Eindringling, der auf kurz oder lang für Chaos sorgen wird.
Es braucht schon ein wenig Fantasie, um sich die Welt von "Cogmind" so richtig vorstellen zu können, denn zu sehen gibt es in diesem Science-Fiction-Spiel nicht viel. Stattdessen bietet es nur den Blick von oben auf eine Welt aus Buchstaben und simplen Symbolen. Erraten: Cogmind ist ein “Rogue-like”, also ein Spiel im Stil von Rogue aus dem fernen Jahr 1980 - damals war ASCII-Grafik noch State-of-the-Art. Als komplexes Rollenspiel ist dieser zeitgenössische Erbe dieser großen Tradition aber viel mehr als ein lebendes Fossil und überrascht durch Komplexität und Spieltiefe.
"Paradroid" trifft "Nethack"
Als kleiner Roboter wollen wir vom tiefsten Keller nach oben kommen, und dafür sind uns alle Mittel recht. So können wir etwa die Körperteile besiegter Robotergegner selbst weiterverwenden und unseren Spielstil so an unsere Vorlieben anpassen - eine Idee, die schon der Kultklassiker "Paradroid" so ähnlich hatte. Schwer gepanzerte Kampfmaschinen erregen aber auch mehr Aufsehen als eine flinke Flugdrohne, die durch Sensoren und Hacking fast ganz aufs Kämpfen verzichten kann.
Gesteuert wird unser Roboter durch ein nur anfangs kompliziert wirkendes Interface, das genau wie der Blick auf die Welt liebevoll retromäßig aussieht. Die grün leuchtenden Menüs, Statusanzeigen und Screens lassen "Cogmind" wie ein Bedienterminal aus einem Achtzigerjahre-Science-Fiction-Film aussehen. Die erste Überraschung für Rogue-like-Puristen ist, dass auch Maussteuerung unterstützt wird.
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ASCII, schön wie nie
Über den ästhetischen Reiz von ASCII kann man geteilter Meinung sein, doch "Cogmind" holt aufregend Neues aus der traditionell schlichten (Nicht-)Grafik des Genres heraus: Bunte Explosionen aus Satzzeichen und Buchstaben, schicke Effekte beim Interface und nicht zuletzt atmosphärische Soundeffekte geben "Cogmind" so etwas wie Hochglanz-Minimalismus - ein Blick auf das Spiel in Bewegung zeigt, wie viel sich aus der freiwilligen Beschränkung herausholen lässt. Neben dem "klassischen" ASCII-Mode unterstützt "Cogmind" auch simple Tile-Grafik für nicht ganz so Abstraktionsbegeisterte.
Natürlich sind es aber bei Rogue-likes immer die inneren Werte, die wichtig sind: Die strategischen Möglichkeiten lassen uns immer wieder in den Roboterkeller zurückkehren, und weil der jedes Mal aufs Neue generiert wird, macht es auch wenig, dass wir beim Tod immer wieder ganz von vorn beginnen - so ist es Tradition. "Cogmind" fügt dem Genre aber auch spielerisch Neues hinzu: So merkt sich die über die ganze Spielewelt persistente AI unser Vorgehen und reagiert darauf, und die Roboter "leben" in einem komplex simulierten Ökosystem.
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Teure Alpha für Idealisten
"Cogmind" ist noch nicht ganz fertig - die finale Version soll Anfang nächsten Jahres erscheinen. Ungewöhnlich für das Genre, das zum Großteil gratis und Open Source ist, ist ebenfalls, dass sein Entwickler für den Alpha-Zugang Geld verlangt, und nicht gerade wenig: Mit etwa 24 Euro ist das Spiel nicht nur für Early-Access-Verhältnisse relativ kostspielig. Das soll die Alpha-Community auf gerne auch Feedback gebende Idealisten beschränken - der finale Preis bei Release soll dann sogar etwas niedriger ausfallen.
Alpha-Zugang zu "Cogmind" gibt es aktuell für Windows und Linux.
Schon jetzt ist "Cogmind" aber einen Blick wert: Es ist ein Unikat mit großer (Wieder-)Spielbarkeit, das die Unterstützung seiner bekannt treuen Fan-Nische redlich verdient hat - und noch dazu ist es eines, das auf seine ganz eigene Art auch irgendwie unverschämt gut aussieht und an der Evolution des ganzen Genres arbeitet. Hübscher war ASCII nie.