Erstellt am: 29. 9. 2016 - 05:30 Uhr
Nüchtern bleiben
Was der Europäerin als erstes auffällt: Alkohol fehlt in Chennai im Alltag komplett. Es gibt ihn nicht im Supermarkt und in den wenigsten Restaurants. Es gibt keine Werbung dafür und er ist bei (hinduistischen) Ritualen oder Feiertagen nicht vorgesehen. Ganz im Gegenteil: An gewissen Feiertagen und übrigens auch an Wahltagen werden so genannte „dry days“ ausgerufen, an denen gar kein Alkohol ausgeschenkt werden darf.
Ich bin als Teil des Medienbotschafter_innen-Programms der Robert-Bosch-Stiftung für 3 Monate in Indien. Im ersten Monat in Chennai, am ACJ. Dann für 2 Monate in Mumbai, um bei der Tageszeitung The Hindu mitzuarbeiten.
Weltweit gesehen liegt Indien laut OECD-Studie beim Alkohol-Konsum mit Platz 39 auf dem vorvorletzten Platz (Österreich übrigens auf Platz 2). Allerdings hat Indien eine der höchsten Zuwachsraten beim Konsum: Zwischen 1992 und 2012 ist der Konsum um mehr als die Hälfte gestiegen. Unter anderem deswegen verfolgen verschiedene Regierungen mehr oder weniger strenge Prohibitionsideen.

FM4/Irmi Wutscher
Es konsumieren auch nur wenige Gesellschaftsgruppen tatsächlich Alkohol, erzählt Gita, die für eine deutsche Organisation in Chennai arbeitet: „Alkohol ist nicht gut angesehen, schon gar nicht bei Frauen. Es gibt nur zwei Gesellschaftsschichten, die Alkohol konsumieren. Die einen sind die Superreichen oder die gehobene Mittelschicht. Die hat auch das Geld, um in 5-Sterne-Hotels zu gehen und dort Alkohol zu trinken. Dann gibt es noch die ärmere Bevölkerung, die sich von dem wenigen Geld, das sie hat, den günstigen Alkohol kauft.“
Vor allem die ärmeren Konsumenten bereiten den indischen Regierungen Sorgen. Denn auch deren Alkohol-Konsum ist oft verbunden mit häuslicher Gewalt. In vielen Armenvierteln arbeiten die Frauen und müssen sich zusätzlich um den Haushalt kümmern, während der Mann das Gehalt vertrinkt. Daher werden viele Prohibitions-Bewegungen von Frauen vorangetrieben.
Watering Hole, buchstäblich
In einigen indischen Bundesstaaten ist Alkohol tatsächlich verboten: in Gujarat (Heimat von Premierminister Modi) in Nordindien schon seit 1958, seit vergangenem April auch in Bihar - mit Strafandrohungen von bis zu 10 Jahren Gefängnis. In Kerala wird der Alkohol stufenweise verbannt, Lizenzen von Alkohol-Geschäften werden nicht erneuert. Ob die Prohibition tatsächlich wirkt oder ob dies den Konsum vom illegal produziertem Alkohol vorantreibt, ist eine offene Frage.

FM4 / Irmi Wutscher
In Tamil Nadu war der Alkohol schon verboten, dann hat der Staat sich ein Monopol dafür geschaffen und betreibt nun selbst Alkohol-Geschäfte. TASMAC heißen diese Läden und sie sind nicht mehr als ein Gitter mit einem Loch in der Wand, wo man Bier und lokalen Brandy bekommt. Viele Kunden sind vom Alkohol gezeichnet. Frauen habe ich keine gesehen, angeblich kommen manchmal welche verschleiert und kaufen etwas. Wirklich aufhalten sollte man sich als Frau hier auch nicht. Als ich in Kerala einmal ein solches Watering-Hole betrat, wurde ich umgehend darauf hingewiesen, das Family Restaurant sei nebenan.
Die Ministerpräsidentin von Tamil Nadu, J. Jayalalithaa hat die Abschaffung der TASMACs vor ihrer Wiederwahl versprochen. Im Mai hat sie dann 500 solcher TASMACs geschlossen - es gibt aber noch immer 6.220. Die Öffnungszeiten wurden auch um zwei Stunden verkürzt. Schrittweise soll komplette Prohibition eingeführt werden. Manche Menschen in Chennai zweifeln aber an dem Versprechen: Die Steuereinnahmen aus dem (für indische Verhätnisse sehr teuren) Alkohol finanzieren die aufwändigen Sozialprogramme von Jayalalithaa, die von Ventilatoren bis sehr günstige Kantinen alles mögliche beinhalten, was unter der Marke „Amma“ (= Mama), Jayalalithaas Spitznamen, verteilt wird.

FM4/Irmi Wutscher
5-Sterne-Feiern
Indien ist reich an ausgelassenen Festen und bunten Feiertagen. Sei es Ganesh Chathurhti oder Hochzeiten, die ausgelassen begangen werden. Bars und Clubs sind eher ein westliches Phänomen und eines der Oberschicht. „Eine Ausgehszene gibt es in Chennai eigentlich nicht“, sagt Nina, auch aus Deutschland. „Man geht eher essen oder trifft sich zu Hause.“
Wenn man ausgeht, dann ist das immer sehr, sehr gehoben. „Das unterscheidet sich nicht sehr von Reichen-Parties in Europa“, sagt Gita. Natürlich ist das in Städten wie Mumbai und Bangalore noch einmal ganz anders, wo es eine Club- bzw. Pub- und Musikszene ist.
Aber im konservativen Tamil Nadu gibt es das nur vereinzelt und oft in 5-Sterne-Hotels. Alles sehr schick und neureich. Dabei trifft man überhaupt keine Frauen alleine, wenn dann Pärchen oder Männer alleine. In manchen Clubs gibt es sogar getrennte Bereiche: Einen, in den die Pärchen und die Frauen gehen, und einen Extrabereich, wo die alleinstehenden Männer hineindürfen. "Man bleibt eher in der Gruppe und geht eigentlich nicht aus, um Leute kennen zu lernen", fasst Nina zusammen.