Erstellt am: 21. 9. 2016 - 15:35 Uhr
Eine Schule für Flüchtlinge
Darpan Singh ist ein großer schlanker Mann. Er steht vor einer kleinen Tafel und versucht mit ganzem Körpereinsatz und seiner kräftigen Stimme die Aufmerksamkeit seiner Schüler zu gewinnen. „Wenn der Lehrer Guten Morgen sagt, sagt ihr bitte auch Guten Morgen, ja?“
Rund 30 Jungs aus Afghanistan sitzen vor ihm. In allen Ecken und Seiten des kleinen Klassenraums haben sie Platz genommen. Sie sind alle ohne Begleitung nach Österreich gekommen und haben keinen Schulabschluss. In der Regel dürfen sie, weil sie nicht mehr schulpflichtig sind, normale Schulen nicht besuchen. Hier lernen sie für die Hauptschulabschlussprüfung, die sie dringend für eine weitere Ausbildung brauchen.
Ali Cem Deniz/Radio FM4
Einer der Schüler ist Majid. Er lebt seit einem Jahr in Österreich. Als er Afghanistan vor drei Jahren verlassen hat, musste er auch die Schule abbrechen. Im Iran und in der Türkei hat er gearbeitet um sich die Flucht nach Europa zu finanzieren. „Die Schule hier ist eine Chance für mich, weil ich den Abschluss machen kann. Danach kann ich vielleicht studieren“ sagt Majid.
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Unterrichtssprache und andere Herausforderungen
Majid ist einer der Fortgeschrittenen. Viele seiner Mitschüler sprechen kaum Deutsch. Darpan, der Lehrer, spricht langsam und deutlich, aber „der Unterricht findet ausschließlich in deutscher Sprache statt.“ Wer ihn nicht ganz versteht, muss genau auf seine Gestik und Mimik achten. Wenn auch das nicht hilft, holt Darpan sein Smartphone raus und versucht es mit dem Wörterbuch. Manchmal helfen ihm die Schüler und übersetzen für ihre Klassenkollegen.
Die Schüler sind nicht nur in der Sprache, sondern auch in anderen Fächern wie Mathematik auf unterschiedlichen Niveaus. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen deshalb flexibel sein und sich auf die Bedürfnisse der Schüler einstellen. „Es gibt sicherlich einige Schüler, die am Ende des Schuljahres bereit sein werden, zur Hauptschulabschlussprüfung anzutreten“ sagt Darpan.
Ali Cem Deniz/Radio FM4
Unterstützung im Alltag
Der Unterricht findet täglich von 10 bis 15 Uhr statt, doch im Fokus ist nicht nur die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung. Die Schule will auch „Werte“ vermitteln. Gemeint sind damit einfache Tipps, wie die Jungs mit konkreten Situationen im Alltag umgehen sollen.
Wenn seine Schüler ihm die Hand geben und dabei wegschauen, weiß Darpan, der selbst aus Indien stammt, dass das eine Form der Höflichkeit ist. Er erinnert sie aber daran, dass das Wegschauen in Österreich genau das Gegenteil bedeuten kann. „Es erscheint für sie manchmal als besonders streng, wenn ich sie wegen solcher Sachen ermahne, aber es sind Kleinigkeiten, die den Alltag stark beeinflussen und deswegen möchte ich, dass sie mit diesen kleinen Details vertraut werden.“
Die Schule bietet den Jugendlichen nicht nur die Möglichkeit, ihren Schulabschluss nachzuholen, sondern auch Abwechslung und Struktur im Alltag. Richtig los geht es am 3. Oktober. Dann endet der Probebetrieb und die Schule öffnet offiziell ihre Pforten.
Eine Reportage aus der Stockerauer Flüchtlingsschule gibt es heute, Mittwoch, in FM4 Connected und gleich danach noch für 7 Tage im FM4 Player zu hören.