Erstellt am: 20. 9. 2016 - 18:19 Uhr
"Untenrum frei"
Letzten Freitag stellte Margarete Stokowski ihr neues Buch "Untenrum frei" in Berlin vor. Wer noch einen Platz in dem völlig ausverkauften Roten Salon in der Volksbühne ergattern konnte, traf auf jede Menge journalistisch – feministische Prominenz vor Ort: Ronja von Rönne hatte sich die Ehre gegeben, die gesamte Missy-Redaktion war anwesend, Anne Wizorek (#aufschrei) war da. Jacinta Nandi, auch eine taz- Kolumnistin, die vor einem Jahr ihre amüsanten autobiographischen Roman „Nichts gegen Blasen“ veröffentlicht hatte, saß im Zuschauerraum, die Schriftstellerin Andrea Hanna Hünniger moderierte den Abend.
Margarete Stokowski ist vielen durch ihre Kolumne bei spiegelonline bekannt, viele kennen auch ihre taz – Kolumne „Luft und Liebe“. Eine Kolumne, die ich zuerst für arge Sexangeberei hielt, aber immer weiter las, wahrscheinlich weil sie lustig und gut war, und weil es auch um Feminismus ging- und was will man mehr?
Rowohlt Verlag
Die Lektorin vom Rowohlt-Verlag sagte in ihren einleitenden Worten, „Untenrum frei“ sei ein dringend nötiges Buch, was man auch an den 400–500 Kommentaren online sehen könne. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesen Kommentaren nicht nur um Lobreden, ernsthafte Kritik oder Komplimente handelt, sondern um ein- , zweihundert Hasskommentare. Spricht sich eine junge oder nicht junge Frau öffentlich gegen das Patriarchat, die Zweierbeziehung oder sexuelle Unterdrückung aus, ist der Hasskommentar inzwischen ja vorprogrammiert und normal.
„Untenrum frei“ ist ein Sachbuch, aber wie im Entwicklungsroman setzt die autobiographische Erzählung in den ersten Lebensjahren ein: Kindheit und Jugend, erste Irritationen. Der emotionale Höhepunkt der Lesung war erreicht, als die Autorin - inzwischen beim zwölften Lebensjahr angelangt - die Masturbations-Passage las und dem Publikum freimütig erklärte welche,
- wir nennen es mal frei raus - Wichsvorlage sie sich für die ersten Masturbationserfahrungen vorgenommen hatte. Es war das Janosch – Buch „Mutter sag, wer macht die Kinder?“
"Erste Selbstbefriedigung mit 12? Mit Janosch?"
Das führte zu hochinteressanten Gesprächen in der Pause. Eine Freundin, ungefähr im gleichen Alter wie die Autorin, 1986 geboren, gab amüsiert preis, bei ihr hätte es auch mit dem Buch in diesem Alter angefangen. Da zeigten sich die 40- und 50-Plus-Besucherinnen total verwundert über die Spätentwicklerinnen. „Hä? Erste Selbstbefriedigung mit 12? Mit Janosch?“
Und es wurde geprahlt: „Also ich hab ja schon mit 8 angefangen, wenn Mama und Tante beim Friseur zur Dauerwelle waren hab ich mich mit „Quick“ und „Neue Revue“ zurückgezogen und mich ganz tief in den Sessel gedrückt...! Eine Andere war mit 5 oder 6 und dem Quelle-Katalog schon sehr aktiv, eine Dritte glaubte sogar, sich an erste Masturbationsriten aus dem vierten Lebensjahr zu erinnern. Nach der Pause ging es, wie zu erwarten war, mit Untenrum-Themen weiter.
Es hat gar keine sexuelle Revolution stattgefunden
Es hat gar keine sexuelle Revolution stattgefunden, ist ja eine These des Sachbuchs. Zur sexuellen Revolution fallen mir immer zwei Zitate ein, das erste ist von unserer Schlagzeugerin Britta Neander. Sie hatte erzählt: „Wenn eine Frau in den Siebzigern nicht mit einem Typen schlafen wollte, dann kriegte sie zu hören: 'Du bist doch frigide!'“
Das zweite beeindruckende Zitat stammt von Oswalt Kolle, dem sogenannten „Vater der sexuellen Aufklärung“ in Deutschland. „Ach was, sexuelle Revolution!“ sagte er vor einigen Jahren in einer Fernsehtalkshow „das gab es doch gar nicht, das waren doch nur Pfarrersöhne die gern ficken wollten“.
Im zweiten Teil des Leseabends stellte sich dann trotz aller Sympathie der Autorin gegenüber, trotz einer grundlegenden Solidarität mit den Kolumnistinnen dieser Welt und großem Interesse an queerfeministischen Themen das Gefühl ein, alles schon mal gehört zu haben.
Okay, vielleicht war es neu, was Hegel zum Thema Pullern gesagt hatte: Dass der Penis nämlich sowohl das Organ der Zeugung als auch das des Pissens wäre.
Es wurde viel Bekanntes zitiert: Simone de Beauvoir, Hedwig Dohm, Carolin Ehmcke, Adorno, Laurie Penny, Arielle die Meerjungfrau.
Und vieles, was zum Thema Frauen-Bilder, Bilder von Frauen, Schönheitspostulat, Geschlechterzuschreibungen usw. gesagt wurde, kennt die Old-School Feministin halt schon aus den Achtzigern, als sie zu ihrem feministischen Coming Out „Tod eines Märchenprinzen“ oder „Häutungen“ oder „Das andere Geschlecht“, oder „Wir werden nicht als Mädchen geboren“ oder „Die verlorene Stimme“ gelesen hatte.
Aber so herrschte nach der Lesung im Roten Salon das gleiche Grundgefühl vor wie letztes Jahr bei Lesung von Laurie Penny im Berliner So 36.
Aber es ist ja auch ein trauriges Merkmal der Frauenbewegung, dass jede neue Generation dieselben, eigentlich selbstverständlichen Dinge immer wieder aufs Neue erkämpfen muss. Man nennt es auch Backlash.
Ich weiß, Feminismus muss endlich cool und glamourös werden, sich von dem alten „Schwanz ab -Ruf" befreien. Ich weiß, Gendergerechtigkeit heißt auch, dass Männer sich aus ihren starren Rollen befreien können. Feminismus heißt nicht die Umkehrung der Verhältnisse sondern ihre Abschaffung.
Und trotzdem - oder gerade deshalb: Manchmal kommt dann die alte Emanze durch, und wünscht sich von den jüngeren Feministinnen endlich mal wieder einen richtig radikalen Ansatz - warum nicht zwischendurch auch mal eine Valerie Solanis - zurück . Ein „Manifest zur Vernichtung der Männer“ oder so was in der Art.