Erstellt am: 20. 9. 2016 - 17:42 Uhr
Meisterinnen der Unsichtbarkeit
Sie übernachten bei Freundinnen, sie übernachten bei Männern und manchmal fahren sie die ganze Nacht im Nachtbus von einer Endstation zur anderen, um die Nacht im Trockenen zu verbringen: Während 52% der KlientInnen der Wiener Delogierungsprävention Frauen sind, nehmen sie nur zu 30% ein Angebot der Wiener Wohnungslosenhilfe in Anspruch.
Nach ihrer Mitwirkung am Projekt Supertramps - Es gibt immer einen Weg! hat Regiesseurin Valerie Kattenfeld das Thema versteckte weibliche Wohnungslosigkeit bearbeitet.
Wienwoche / Daniel Jarosch
Daniel Grabner über Supertramps - Stadtführungen aus der Sicht von Obdachlosen
Dafür hat Valerie Kattenfeld selbst 48 Stunden auf der Straße verbracht. Das Angebot bei einem ihr fremden Mann zu übernachten hat sie nicht angenommen. Sie hatte Glück: es gab einen freien Platz in einem Notquartier.
Bei einem Abendessen im Haus Miriam der Caritas hat sie Kontakt zu ehemals wohnungslosen Frauen gefunden. Zwölf von ihnen hat Valerie zu ausführlichen Gesprächen getroffen.
Deren Geschichten bilden das Ausgangsmaterial für das Theaterstück "Meisterinnen der Unsichtbarkeit", ein Stationentheater, das von den Erfahrungen, Notlagen und Überlebenstricks wohnungsloser Frauen erzählt.
Wienwoche / Daniel Jarosch
Ingeborg Schwab spielt darin die wohnungslose Evelyn Meister, die ihre Scham- und Schuldgefühle nach den ersten drei Theaterstationen, in denen es ums Sich-Verstecken geht, allmählich ablegt:"Früher habe ich auf 30 Quadratmeter gelebt, heute gehört mir die ganze Stadt!"
Diese Freiheit bezahlen Wohnungslose freilich mit Dauerstress. Wo ist es sicher? Wo gibt es etwas zu essen? Wohin mit den letzten Habseligkeiten? Nach einer schlechten Erfahrung in einer Notschlafstelle, in der ihr auch noch das Letzte gestohlen wird, beschließt Evelyn Meister nie mehr in ein Notquartier zu gehen. Statt sich diesem Stress auszusetzen, schläft sie lieber im Freien.
Dann verwandelt sich die Protagonistin in eine Immobilienmaklerin. Bei einem Mieter-Casting wird die herrschende Logik deutlich, nach der Wohnraum verteilt wird: Wer keine Staatsbürgerschaft, Lohnbestätigung, Vorvermieterbescheinigung vorweist, kann sich gleich ganz hinten anstellen.
Wohnungssuchende mit prekärem wirtschaftlichem Hintergrund sind in den Augen der Vermieter bloß ein Risikofaktor: "Wenn es zu einer Räumungsklage und in der Folge zu einem Versäumnisurteil kommt - bis zu einer Delogierung kann es ja mit den ganzen Fristen, Verhandlungen und Berufungen bis zu sechs Monate dauern - wer soll denn in der Zeit bitte die Betriebskosten zahlen?"
Wienwoche / Daniel Jarosch
Die Darstellerin Ingeborg Schwab weist darauf hin, dass das Thema Wohnungslosigkeit verstärkt auf uns zukommen wird, da viele ältere Menschen sich das Wohnen mit Mindestpension nicht mehr leisten können.
Das Stück „Meisterinnen der Unsichtbarkeit“ zeigt - im Rahmen der Wienwoche bei freiem Eintritt - wie es wohnungslosen Frauen geht und klagt das Grundrecht auf Wohnen ein. Darüberhinaus macht es möglich, das Stigma und die Scham, die mit Wohnungslosigkeit einhergehen, abzubauen.
FM4 Auf Laut - am Dienstag ab 21 Uhr
Wie erleben wohnungslose Frauen den öffentlichen Raum? Was erzählen sie dadurch über Ein- und Ausschlüsse, gesellschaftliche Entwicklungen und Machtverhältnisse?
Claus Pirschner diskutiert darüber mit Hedy, die ohne Wohung lebt, und mit der Regisseurin Valerie Kattenfeld.
Anrufen und mitdiskutieren kannst du ab 21 Uhr unter 0800-226996.