Erstellt am: 20. 9. 2016 - 15:35 Uhr
Bobobaby-Blues
Über Bobos, Hipster und die Beckhams:
Wenn es sowas wie „method filmjournalismus“ gibt, dann bin ich in Sachen „Was hat uns bloß so ruiniert“ mindestens in der De-Niro-Liga unterwegs. Wie bereitet man sich auf ein Interview mit einer Regisseurin vor, die einen Film darüber gemacht hat, wie sich die Elternschaft auf Bobos auswirkt? Mit einem Cafe Latte vom Marktstand, abgestellt am Sandkistenrand, weil das beste Kind der Welt genau an diesem Tag lautstark brüllend kundgetan hat, den Kindergarten mal Kindergarten sein lassen zu wollen. Und so kritzle ich ins Moleskine (Bobo!)-Büchlein meine Fragen, während ich an der Entstehung eines Sandkuchen-Imperiums nicht unwesentlich beteiligt bin.
Thimfilm
Eine Sandkiste war auch entscheidend beteiligt am Entstehungsprozess des Films „Was hat uns bloß so ruiniert“. Unter ihrem damaligen Arbeitszimmer - das nun ein Kinderzimmer ist - hätte sich nämlich eine befunden und im Grunde, so Marie Kreutzer im Interview, musste sie für das Drehbuch nur zuhören und mitschreiben. Drei Paare hat sie sich ausgedacht, drei Paare, anhand derer die Eigenheiten der Bobos in verschiedenen Ausprägungen und Stärken aufgefächert werden. Fesch sind sie alle sechs, weil ein unfescher Bobo ja quasi Oxymoron.
thimfilm
Zu Beginn des Films trifft man das urbane und leger doch schon eben fesch gekampelte Sextett beim gemütlichen Zusammensitzen in der herrlichen Altbauwohnung. Sind wir nicht fett und rosig, sind wir nicht glücklich. Man hat sich zu Weihnachten Kaffeemaschinen und Rennräder geschenkt - Kaffee und Rad gehören ja zu den Obsessionen der Bobos, das eine fair trade, das andere gern auch mal vintage, das eine Genussmittel, das andere einerseits stylish, aber natürlich schon auch umweltschonendes Fortbewegungsmittel. Es sind noch nicht einmal fünf Minuten vergangen und schon bildet Marie Kreutzer bloß mit zwei Objekten, über die im Film eigentlich kaum Worte verloren werden, die Bobo-Welt mit einfachen Mitteln, aber ungeheurer Effizienz ab, diese Welt, in der Ästhetik und Werte stets um den ersten Platz rangeln, in der man sich schon auch mit Objekten eine Weltanschauung bastlen - und vor allem zur Schau stellen kann.
Ein Sektkorken-Plopp und die Ankündigung, dass Stella (Vicky Krieps) und Markus (Marcel Mohab) Eltern werden, läuten eine neue Ära ein. Bald haben Ines (ein Unfall) und Mignon (penible Eisprungberechnung) auch Babybäuche und damit ist Schluss mit der Gemütlichkeit im kuscheligen Biedermeier. Mit den Babybäuchen wachsen auch Unsicherheiten und Spannungen und das, obwohl man doch trotz Elternschaft die eigene Lässigkeit um keinen Preis verlieren wollte. Und ein paar Wehen und einen Blasensprung später sitzt man dann schon mit langem Gesicht beim Elternabend der Kindergruppe und brüllt plötzlich los, mitten in die angestrengte Diskussion über Rosinen hinein.
thimfilm
Zynismus oder Häme lässt Marie Kreutzer außen vor, sich über den hipsterischen Mittelstand, seinen Optimierungswahn, seine Wehwehchen und Selbstverliebtheit lustig zu machen, wäre einfach gewesen. Kreutzer aber weicht Zynismus in ihren Filmen ohnehin großräumig aus und ihre Figuren, die hat sie auch viel zu gern, als dass die als billige Pointenlieferanten herhalten müssen. Sie nimmt die Ego-Blessuren, die man sich als Bobo zwischen plötzlicher Alltagsroutine und den hohen Ansprüchen an sich selbst schon mal holen kann, ernst. Das heißt aber nicht, dass sich durch den von Melancholie umwehten Film nicht auch Komik zieht. Die findet „Was hat uns bloß so ruiniert“ vor allem in den Bemühungen einer überengagierten Elterngeneration, alles richtig zu machen. Oben erwähnte Diskussion über Rosinen im Morgenkreis der Kindergruppe Kartoffelsuppe ist erstens höchst amüsant und zweitens ein Beispiel dafür, wie gut Marie Kreutzers Dialoge sitzen. Weil zuhören und mitschreiben ist eine Sache. Destillieren, rausstreichen, umformulieren und einen Sprachfluss finden, eine andere.
Thimfilm
Überhaupt sitzt alles in diesem Film, jeder Satz, aber auch jede Requisite - vom schwedischen Kinderrucksack bis zum semi-exzentrischen Hipster-Brillenmodell, Kreutzer hat also nicht nur genau hingehört, sondern auch genau hingeschaut. Ohne jemals in banale Klischee-Aufzählerei zu verfallen, erzählt der Film von der Anstrengung, ganz unangestrengt zu sein und dabei auch noch total fesch und bio. Papa macht noch schnell Yoga, während Mama die Gesichtsmaske auflegt, Windeln braucht das Kind keine und Reiswaffeln sind Gift: Pheline Roggan gibt - mit Andreas Kiendl herrlich Naivität als Entwaffnung einsetzender Luis an ihrer Seite - die Französin im Öko-Wahn.
Pia Hierzegger schaut als Ines fantastisch grantig durch die Gegend und verweigert zunächst alles, was auch nur ansatzweise jemand als „mütterlich“ bezeichnen könnte, und Vicky Krieps schließlich ist das Herz dieses hervorragenden Films. Ihre Figur der Stella ist Filmemacherin, die irgendwo zwischen Zweifeln an ihrer Arbeit und ihrer Beziehung und dem Kindergruppen-Morgenkreis den Halt verliert. „Ich ruf dich an, wenn ich weiß, wo ich bin“, sagt sie an einer Stelle zu ihrem Freund und damit ist wohl nicht nur ein geografischer Ort gemeint. Stella ist Filmemacherin und ähnelt Kreutzer. Daran ist ein bisschen Birgit Minichmayr Schuld, die war mal im Gespräch für die Rolle der Stella und meinte, wenn sie das spielt, dann will sie eine „Marie Kreutzer Frisur haben“. Minichmayr ist gegangen, doch die Frisur für Stella ist geblieben. Und auch sonst, so Kreutzer im Interview, wäre ihr wohl die Figur der Stella näher als andere Figuren - auch, wenn ihre Geschichte nicht autobiografisch ist.
Thimfilm
Das Magazin NEON hatte früher mal den Slogan „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“. Um den finalen Schritt des Erwachsenwerdens einer Generation, die die Adoleszenz in die Länge gezogen hat wie keine zuvor, geht es in diesem Film, aber auch um Freundschaft und Beziehungen und das Dilemma der Bobos, die Gegenkultur sein wollten und doch auch nur verspießert sind. Diese Welt, die soviel Häme auf sich zieht, weil man sich natürlich auch so leicht über Leute lustig machen kann, die alles richtig machen wollen, fängt Marie Kreutzer mit einem liebevollen Blick ein, ohne die Widersprüche und Blödsinnigkeiten der Bobos zu ignorieren.
"Was hat uns bloß so ruiniert" startet am 23.9.2016 in den österreichischen Kinos. Am Mittwoch, 21.9. gibt es ein Interview mit Regisseurin Marie Kreutzer in der FM4 Homebase (19-22 Uhr) zu hören.
„Was hat uns bloß so ruiniert“ könnte man sich leicht als amerikanischen Indiefilm vorstellen, mit Michelle Williams und James Franco in den Hauptrollen und Aubrey Plaza vielleicht in der Hierzegger- und Jason Segel in der Rubey-Rolle, auch die fantastische Kamera von Leena Koppe erinnert eher an Filme des US Indiekinos als an den österreichischen Film. Den beschreibt Rubeys Figur im Film als „Regendrama, Gemeindebau und alle sind schlecht drauf“ und das würden wohl die meisten Österreicherinnen unterschreiben. Dass viele nicht mitbekommen, dass das österreichische Kino der letzten Jahre sich immer mehr von dem „Feel Bad Cinema“-Label wegbewegt, würde daran liegen, dass sie sich österreichische Filme gleich gar nicht erst im Kino anschauen würden, so Marie Kreutzer. Das wär im Fall von „Was hat uns bloß so ruiniert“ ein großer Fehler.
thimfilm
Dieser Text ist übrigens in einer fantastischen Kaffeerösterei entstanden, die sich gegenüber von einem Bioladen und schräg gegenüber eines Vintage Möbelladens befindet. Und jetzt geh ich wieder in die Sandkiste.