Erstellt am: 19. 9. 2016 - 18:57 Uhr
Die Öffentlichkeit muss das erfahren
Sich einfach nur auf das System und die gegenwärtige Justiz zu berufen, wird umso problematischer, je mehr Einfluss und Folgen die eigenen Handlungen haben. Vor allem in Österreich und Deutschland hat der Satz "Ich habe nur meine Pflicht getan" mehr als bloß einen schalen Beigeschmack. Joseph Gordon-Levitt erinnert in seiner Filmrolle als Edward Snowden in einer eindringlichen Szene einige seiner Kollegen bei einem abendlichen Beisammensein am Lagerfeuer daran, dass schon viel Unheil passiert ist, weil das Verantwortungsbewusstsein vieler Menschen am Arbeitsplatz komplett abgegeben wurde.
Vom schlechten Soldaten zum besorgten Whistleblower
"Snowden" von Oliver Stone macht die bemerkenswerte Doku "Citizenfour" von Laura Poitras zum Hollywood-Drama. Die intensiven Tage in einem Luxushotel in Hongkong, wo Edward Snowden zwei Journalisten und einer Filmemacherin erstmals seine Geschichte erzählt und die geleakten Daten übergibt, dienen dabei aber nur als Rahmen. Die eigentliche Story, die hier erzählt wird, ist jene von Snowdens Karriere: also die knapp zehn Jahre bevor der ehemalige Angestellte der NSA-Beraterfirma Booz Allen Hamilton an die Öffentlichkeit ging.
Macht macht Angst
Alles beginnt, als sich Snowden seiner eigenen gesellschaftlichen Rolle als Geek noch nicht bewusst ist: Er dient Mitte der 2000er Jahre noch in der Army, ist aber, wie sich bald herausstellt, körperlich zu schwach und fragil dafür und bewirbt sich nach einem längeren Krankenhausaufenthalt bei der CIA - trotz fehlendem High-School-Abschluss, dafür mit jeder Menge Brainpower und Sprachtalent. Zu dieser Zeit ist Snowden noch ein klassischer junger Patriot, der seiner greatest nation USA treu dienen möchte und nie der Meinung des obersten Befehlshabers - dem Präsidenten, damals noch George W. Bush - widersprechen würde. Kritik an den Herrschenden sei aber Recht und Pflicht der Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie, meint seine zukünftige Freundin, die an dem verschrobenen, konservativen Whizz-Kid ihren Narren gefressen hat, bei einem Spaziergang durch einen Demozug. Snowden bekommt den Job und wird aufgrund seiner Computerskills nicht bloß irgendein CIA-Agent, sondern darf bald ins Zentrum der Überwachung vordringen. Dort traut er buchstäblich seinen Augen nicht, wo diese Überwachung ihrerseits hindringt. Nämlich überall.
"Snowden" ist eine fantastische Reise durch das sich formende Gewissen eines anfangs noch austauschbaren Nerds, dem der Einfluss und die Reichweite seiner zunehmenden Macht nicht zu Kopf steigt, sondern ihm stattdessen Angst macht. Der Film-Snowden ist dabei - wie wohl auch der wirkliche Mann es zu dieser Zeit war - ständig gefangen zwischen dem Wunsch, mit den eigenen, außergewöhnlichen Fähigkeiten dem Heimatland und seiner Sicherheit dienen zu wollen und der wachsenden Erkenntnis, ein verstecktes System zu unterstützen, das Privatsphäre, Freiheit und Demokratie unterwandert und Diplomatie und Weltfrieden langfristig in enorme Gefahr bringt.
Open Road Films
Keine Demokratie ohne Öffentlichkeit
Eine sich oft wiederholende Szene zeigt Edward Snowden, als er seiner Freundin Lindsay Mills zu erklären versucht, dass er einen sehr wichtigen Job hat, über den er aber nicht sprechen darf. Dass dieser Job sie, ihn und die Partnerschaft unglücklich macht, liegt bald auf der Hand. Und doch lässt sich die Sache wegen der Verschwiegenheit nie an der Wurzel packen.
Diese fehlende Öffentlichkeit im Privaten wie auch in der Gesellschaft und der überbordende Einfluss von Geheimdiensten im digitalen Zeitalter sind es schließlich, was Snowden zu seiner historisch relevanten Entscheidung kommen lässt: Möglichst viel der invasiven und nahezu uneingeschränkten Praktiken von NSA und Co. soll offengelegt werden. Denn wenn nicht mal die Wahl eines liberalen Präsidenten 2008 dazu beigetragen hat, dass sich die Machtzuspitzung der Massenbespitzler verringert, braucht es zivilen Ungehorsam. Radikale Zeiten erfordern radikale Maßnahmen.
Die Aufmerksamkeit, die "Snowden" in der US-amerikanischen Öffentlichkeit und damit auch US-Politik erhalten wird, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In Europa gilt Edward Snowden weitgehend als Symbol für die Rettung von Demokratie und Öffentlichkeit. Er ist für viele ein Held, der seine Karriere und sein Leben dafür geopfert hat, eine Informationsdynamik offenzulegen, die keiner wirksamen Kontrolle mehr unterlag. In den USA ist die öffentliche Wahrnehmung der Person Edward Snowden und seiner Handlungen aber viel ambivalenter - und vor allem nicht so sichtbar wie in der Alten Welt. "Snowden" ist ein Pflichtfilm für jeden kritischen Menschen, dem Demokratie und eine aufgeklärte Gesellschaft am Herzen liegen. Aber Vorsicht: Nach dem Ansehen des Filmes wird man (wieder) einen starken Drang verspüren, mit den eigenen Daten im Netz wesentlich sicherer und behutsamer umzugehen.
Österreich-Premiere mit Podiumsdiskussion
Am Dienstag (20.9.) wird nach der Premiere des Films im Wiener Artis Kino ab 21:20 eine von der alternativen Suchmachine Startpage organisierte Diskussionsrunde stattfinden. Fragen, die dort besprochen werden, sind vor allem:
- Was hat sich seit Snowden in Österreich und Europa verändert?
- Snowden – Held oder Verräter?
- Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Privatsphäre in einer Demokratie
Am Podium sind unter anderem Peter Schaar, ehemaliger Datenschutzbeauftragter der deutschen Bundesregierung und jetzt Präsident der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID), Hans Zeger (ARGE Daten) und Thomas Lohninger (AK-Vorrat).
Die Film-Premiere selbst ist bereits ausverkauft, aber wer bei der Diskussionrunde im Anschluss dabei sein möchte, kann hier noch Plätze für die Podiumsdiskussion gewinnen! Schreibt ein Mail mit eurem Namen - die Gewinner und Gewinnerinnen werden am Dienstag zwischen 14 und 15 Uhr kontaktiert.