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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

18. 9. 2016 - 16:21

Nachricht ins Unbekannte

Der Song zum Sonntag: Chromatics - "Dear Tommy"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Ein Liebesbrief, der seinen Adressaten nicht erreicht: Ein schönes, altbekanntes Motiv, das nebulös und nach Geheimnis duftet. Ein Motiv, eingefangen aus vielen Jugendzimmern oder Zimmern, die von schon etwas erwachsener gewordenen Menschen bewohnt werden. Manchmal leiden sie.

Manchmal zerdrücken sie Tränen der Sehnsucht und wissen dabei gar nicht so genau was ihnen fehlt, was sie vermissen. An wen richten sich ihre Nachrichten des Verlangens? Ist tatsächlich ein Brief geschrieben worden, mit Federkiel auf teures Papier, im matten Schein der Ölfunzel?

Oder sind es nur leise vor sich hingemurmelte Worte, gar nur durch den Kopf spukende Gedanken, die ihn Wahrheit ohnehin nur für uns selbst bestimmt sind?

Chromatics

Richard Bernardin

Chromatics

"Dear Tommy" nennt sich das - wenn es denn stimmt - demnächst erscheinende, ewig angekündigte, ewig verzögerte neue Album der Chromatics, mit dem Titelsong schickt die Band aus Portland eine eisige Nachricht hinaus in die Welt. Wer soll ihr Empfänger sein?

Man kennt die Chromatics für finster funkelnde Todesdisco, für Elektronik gewordenen Postpunk, für erschöpften, zähflüssigen Synth-Pop, der lasziv sich räkelt und mit dem Abgründigen, Kaputten und Verblassten kokettiert. Mastermind Johnny Jewel hat mit seinem Sounddesign die Blaupause für den Soundtrack zu Nicolas Winding Refns Film "Drive" gelegt. Ein Sounddesign, das er sich aus Italo-Disco, Goth-Pop, Minimal Wave und den Soundtrack-Arbeiten von John Carpenter, Vangelis und Tangerine Dream zusammenlegiert hat.

Mit dem Song "Dear Tommy" ist ihm innerhalb dieses Koordinatensystems eines der eindringlichsten, aufschürfendsten, beunruhigendsten Chromatics-Stücke bisher gelungen – trotz oder wegen der harten Reduktion, des scharfen Minimalismus.

Ein Brummen aus dem Synthesizer, ein paar Töne aus dem Klavier, ein Beat ohne Eile . Später dann eine The-Cure-Gedächtnis-Gitarre, es zischelt in der Drum-Machine, die Spannung steigt, langsam müssen wir weiter.

Ausnahmsweise singt in "Dear Tommy" nicht wie sonst bei den Chromatics üblich Frontfrau Ruth Radelet, sondern Bandgründer Adam Miller, seine Stimme ist zur Roboter-Androgynität manipuliert.

In vier knappen Strophen besingt das Lied einen wohl längst schon mit dem Wind verblasenen Menschen. Wer mag dieser Tommy sein, gewesen sein? Die Trennung wirkt nach: "Just when I think that I'm alright, I see your face, and it only twists the knife". Ganz am Ende des Songs wird auch das Ende beschworen: "Is this our last goodbye?". Der Abschied schmerzt, die Ewigkeit wartet.