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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

16. 9. 2016 - 18:13

Mein Dad, der Bankräuber

Joseph Brodak hat dutzende Banken ausgeraubt, ist notorischer Lügner und Betrüger. In "Als ich 13 war, überfiel mein Vater seine erste Bank" versucht seine Tochter Molly Brodak herauszufinden, warum er kriminell geworden ist.

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1993 raubt Joseph Brodak elf Banken aus. Aufgrund seiner Verkleidung und des Schnauzers wird er von US-Medien schlicht "Mario Brothers Bandit" genannt. Sieben Jahre sitzt er im Knast. Nach seiner Entlassung versucht er, für seine Familie da zu sein - mehr schlecht als recht. Er sucht sich einen Job bei General Motors, kauft ein Häuschen mit Garten - und kommt schnell wieder auf die schiefe Bahn. Joseph Brodak ist spielsüchtig und verspielt sein Geld in Casinos. Die Schulden bezahlt er mit der Kreditkarte seiner Tochter. Er stiehlt einen roten Sportwagen und fängt wieder an, Banken zu überfallen. Als er 2008 erneut geschnappt wird, ist niemand überrascht.

"Mom ist als einzige von uns absolut überzeugt, dass Dad ein Soziopath ist. (...) ‚Er hat kein Gewissen’, sagte sie. ‚Er kennt keine Schuldgefühle. Erwischt werden will er nicht, das ist klar, aber solange er nicht erwischt wird, tut ihm nichts leid. Er will einfach seinen Willen haben, und andere Menschen sind Objekte für ihn, die ihm dabei entweder helfen oder ihn behindern.’"

Molly Brodak: "Als ich 13 war, überfiel mein Vater seine erste Bank"

Nagel & Kimche

"Als ich 13 war, überfiel mein Vater seine erste Bank" von Molly Brodak ist bei Nagel & Kimche erschienen und wurde von Barbara Schaden ins Deutsche übersetzt.

"Als ich 13 war, überfiel mein Vater seine erste Bank" ist Molly Brodaks Versuch, der kriminellen Ader ihres Dads auf die Spur zu kommen. Ist er wirklich ein Soziopath? Oder gibt es für seine Taten Motive, kalkulierte Überlegungen, äußere Umstände? Molly will hinter seine Fassade aus Lügengeschichten und Selbstbetrug blicken, den echten Joseph Brodak kennenlernen. Sie sucht Artefakte seines Lebens, Fotos, Briefe, Tagebucheinträge, zitiert Sartre, Freud und Baudelaire, redet mit ihrer Mutter und ihrer Schwester über das Leid, das ihnen Joseph Brodak zugefügt hat. Schließlich wird sie selbst kriminell, stiehlt Taschen und Kleidung und verscherbelt diese auf Online-Tauschbörsen. Und geht ins Casino, um seine Spielsucht nachvollziehen zu können.

"Er verlor unentwegt, war beharrlich im Verlieren. Es ist eine altbekannte Geschichte, dass man mit absolutem Verlust fertig zu werden versucht, indem man den Verlust spielt, ihn in weniger gefährlichen Szenarien, die man sich selber aussucht, wiederholt. Über dieses Motiv dachte ich dort im Casino nach, umringt von Verlierern, die unentwegt verloren. Vielleicht ist das Glücksspiel wie ein ständiges Wiederaufkratzen von Wunden, ein Fasziniertsein von Wunden, denn es ist so offensichtlich vernunftwidrig, dass es wie Selbstverletzung aussieht."

"Als ich 13 war, überfiel mein Vater seine erste Bank" ist ein intimes Porträt einer zerrütteten Familie. Lakonisch und schonungslos erzählt Molly, wie Joseph ihre Mutter schon beim ersten Kennenlernen betrogen und ihr seine Ehefrau verschwiegen hat. Wie er ihre Schwester und ihre Mutter psychisch unter Druck setzt, sie immer wieder anlügt und alle Familienmitglieder manipuliert. Wie sie von ihrem Vater allein gelassen wird. Molly erzählt von ihrem Hirntumor, der manisch-depressiven Erkrankung ihrer Mutter und dem verzweifelten Versuch ihrer Schwester, ihrem Vater zu genügen. Zwei Mal haben Mollys Eltern geheiratet, zwei Mal haben sie sich wieder scheiden lassen. Zurück blieb ein Trümmerhaufen.

Molly Brodak hat bisher vor allem Gedichte veröffentlicht und lehrt in Georgia an der Augusta University Englische Literatur. Wer mehr über sie erfahren will, sollte ihren Twitter-Account besuchen.

"‚Wir lassen uns scheiden’, sagte Dad. Mom sah uns besorgt an. ‚Es tut mir leid, Mädchen. Ihr wisst, dass wir euch sehr lieben, und ihr könnt überhaupt nichts dafür, nicht im Geringsten.’ Aber wir waren zu alt für diesen Text. Natürlich wussten wir, dass wir nichts dafür konnten; bis Mom den Gedanken aussprach, wären wir nie auf eine derart absurde Idee gekommen. Scheidung fanden wir in Ordnung; richtig sogar. Ich hätte beinahe ‚gut’ gesagt, hielt aber den Mund. ‚Eure Mutter hat mich betrogen. Wisst ihr, was das heißt?’ Er sprach langsam und laut, als wollte er uns mit den Worten verletzten. ‚Es heißt, dass sie einen anderen Mann seinen Penis hat in sie hineinstecken lassen.'"

Was Molly Brodak alles erleben musste, ist eigentlich viel zu viel für ein Leben. Ihre Beziehung zu ihrem Vater pendelt zwischen Hass und distanzierter Versöhnung. Immer wieder versucht sie, sein Handeln zu erklären - und stößt dabei auf Joseph Brodaks Vergangenheit. Seine Eltern wurden aus Polen deportiert und leisteten Zwangsarbeit für die Nazis. Joseph selbst kam als Flüchtling nach Detroit und musste dort den Untergang der Stadt, der Motor City, miterleben. Es war sicher nicht einfach für ihn, aber das alles sind keine ausreichenden Gründe, warum er zu Joseph Brodak zu der Person geworden ist, die er nun ist.