Erstellt am: 16. 9. 2016 - 09:48 Uhr
Sturm, Drang, Überschwang!
Das Ding wird untergehen wie ein Stein, schreibt Wolfgang Hernndorf 2010 in seinem Blog "Arbeit und Struktur" und meint mit dem Ding seinen Roman "Tschick" über zwei 14jährige, die mit einem geklauten Lada durch den Osten Deutschlands brettern. Herrndorf irrt. Und zwar in kolossalem Ausmaß. "Tschick" wird zum Bestseller, in über 20 Sprachen übersetzt, zum Theaterstück, bald zur Oper und verfilmt wird es natürlich auch.
Regisseur Fatih Akin war grade mal in der Mitte des Buches (an der Stelle, an der Maik und Tschick in die Sterne starren, in der Nacht bevor der "Adel auf dem Radel" angerollt kommt) gekommen, als ihm klar geworden ist, dass er diesen Film machen will. Wöchentlich, so Akin, ruft er bei Rowohlt an und fragt nach. Doch es sah so aus, als sollte es einfach nicht sein. David Wendt wird als Regisseur engagiert - und fällt dann wieder aus. Sieben Wochen vor Drehbeginn erhält Akin einen Anruf, ob er denn noch interessiert sei an "Tschick".
Constantin
Und so kommt Akin an seine erste Regie-Auftragsarbeit und "Tschick" zu einem Regisseur, dem man dank seiner Erzählungen über seine wilde Jugendzeit in Hamburg, auch abnimmt, dass er selbst mal einen Lada kurzgeschlossen hätte. Nicht, dass so autobiografische Bezüge zum Stoff jemals für einen Regisseur notwendig oder auch allzu interessant sind, aber irgendwie scheint Akin perfekt als Inszenierungsmeister eines Stoffes, der voll Rebellion und Melancholie ist. Die Drehbuchfassung, die da auf ihn wartet bezeichnet Akin in einer deutschen Talkshow - wie immer herrlich den süßen Branchensprech der Kollegen außen vor lassend - als "nicht gerade beschissen aber auch nicht so, dass man sagt - lasst uns anfangen" bezeichnet. Gemeinsam mit Drehbuchautor Lars Hubrich - einem Freund Herrndorfs - überarbeitet er diesen ersten Entwurf und so kommt doch noch ein Hauch Akin ins Drehbuch.
Krankheit als Weg?
Wolfgang Herrndorfs erschütterndes und großartiges Blog ist als Buch erschienen: "Arbeit und Struktur". (Philipp L'Heritier)
Maik und Tschick - der Wohlstandsverwahrloste mit den schulterlangen Haaren und das Problemkind mit Migrationshintergrund und der gelegentlichen Vodkafahne machen sich auf zu einer Irrfahrt durch die deutsche Provinz. Zwei Außenseiter reißen Aus. Das eigentliche Ziel - Tschicks Großvater in der Walachei - ist wie wohl jedes Ziel bei einem Road Movie, bloß ein Macguffin.
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Die beiden brettern los, auf Nebenstraßen und durch Maisfelder - und im Kinosaal spürt man den Fahrtwind, der einem um die Nase weht. Im Sommer, da scheint ja immer alles möglich, auch, dass zwei Jugendliche auf einer Sturm und Drang Irrfahrt fast nur freundliche Begegnungen machen. Das irritiert auch Maik, der im Roman erstaunt erläutert, dass eben sein Vater ihm immer erklärt hat, die Welt bestehe nur aus Arschlöchern. Und dann aber sind da freundliche Öko-Großfamilien, die bereit sind ihr Risi-Pisi mit den beiden Jungs zu teilen oder Ausreißerinnen mit einem beachtlichen Fluch-Repertoire und strahlend blauen Augen wie Isa.
Constantin
Schön auch, dass Fatih Akin mal einen versöhnlicheren Blick auf die Welt wirft, bevor ihn seine beiden nächsten Filme zur Beschäftigung mit Mördern zwingen: In "Aus dem Nichts" spielt Diane Kruger die Witwe eines türkischen Mannes, der von Neo-Nazis ermordet wurde und nach diesem Film wird sich Akin der Verfilmung von Heinz Strunks "Der goldene Handschuh" über den Serienmörder Fritz Honka widmen.
Blut fließt in "Tschick" hingegen nur, wenn Maik sich vorstellt seinen Vater und dessen jugendliche Geliebte im Kugelhagel sterben zu lassen oder bei diversen Verletzungen, die man sich bei solch einem Abenteuer eben zuzieht, das Leben ist ja keine Hollywoodschaukel, das wirkt vielleicht nur in den Momenten so, in denen Richard Claydermanns kitschgetränkte "Ballade pour Adeline" aus den Autoboxen eiert. Eiert deswegen, weil die Kassette, die Maik im Auto findet auch schon bessere Tage gesehen hat. In "Arbeit und Struktur" notiert Herrndorf fast mit diebeischer Freude, dass das Auto mit dem Kassettendeck verhindert, dass die beiden Jugendlichen "identitätsstiftende Musik" hören, wie das bei Jugendlichen in Romanen sonst so der Fall ist. "besonders schlimm natürlich, wenn der Autor selbst schon älteres Semester ist, dann ist die Musik auch gern mal Jimi Hendrix, der neu entdeckt werden muss, und Songtextzitate gehören sowieso als Motto vor jedes Buch", so Herrndorf.
Constantin
"Tschick" startet am 16. September 2016 in den österreichischen Kinos
Im Roman kommen noch die White Stripes und Beyonce vor, im Film trifft man weder auf Jack, noch Meg oder Beyonce Giselle. Akin setzt auf Zeitlosigkeit statt Zeitgeist, Herrndorf hatte ja auch den zum Klassiker gewordenen "Huckleberry Finn" im Kopf, als er sich an die Arbeit zu "Tschick" machte und kein Porträt der Jugend von heute. Aus dem Off treibt den Film - und den Lada - dann natürlich schon ein Soundtrack jenseits von Claydermann an, doch auch das ist alles andere als der Versuch einer Anbiederung an Jugendliche. Fraktus knallt uns Akin um die Ohren, die Beginner und dann covert auch von Dirk von Lowtzow gemeinsam mit den Beatsteaks Stereolabs "French Disko". Auf Deutsch.
Spontane Rebellion und Solidarität sind Akte, die jetzt wertvoll sind, es ist nie zu spät" singt von Lowtzow überdeutlich wie eh und je und das sollte sich dann ohnehin jeder hinters Ohr schreiben oder auf den Bauch tätowieren, je nach persönlicher Tagesverfassung. Ach, Dirk. Und dann schimmert auch wieder Akins Kampfgeist auf, der zwischendrin mal verloren schien, findet man in Interviews mit ihm aus dem Jahr 2010 noch Zeilen wie "I want to change the world with my films" so schien der Idealismus nach den Verrissen - und persönlichen finanziellen Verlusten - seines Films "The Cut" geplatzt. Er glaube nicht mehr daran, dass man mit Kunst irgendwas ändern kann, hieß es dann. Als ich Fatih Akin nach den von Lowtzow gesungenen, politisch aufgeladenen Zeilen frage und ob er denn noch Glauben daran habe, dass Musik was ändern kann, da leuchten seine Augen bejahend auf, da fährt dann die Energie durch seinen - von Premieren und Pressetagen - sichtbar ermüdeten Körper.
Constantin
Wer diesen ohnehin schon herrlich verlängerten Sommer, der jetzt zu Ende geht nochmal um eineinhalb Stunden verlängern will, wer eine exzellente Romanverfilmung sehen will, einen Film, der ohne Anbiederung von Leichtsinn und Schwermut erzählt, der hat hoffentlich gar nicht bis zu Ende hier gelesen, sondern sitzt schon im Kino.