Erstellt am: 14. 9. 2016 - 14:55 Uhr
Theatertipps von West nach Ost
Innsbruck: Sinnieren übers Menstruieren
Knapp die Hälfte der Weltbevölkerung menstruiert irgendwann in ihrem Leben. Für manche notwendiges Übel, ist die monatliche Blutung für andere jedesmal ein Grund zum Feiern, ist sie doch ein Zeichen für sexuelle Reife und Fortpflanzungsfähigkeit.
"Menstruationshintergrund"
Wann: 17. Sep. - 5. Nov.
Wo: Theater praesent, Innsbruck
Diesem biologischen Phänomen ist ab 17. September in Innsbruck ein eigenes Theaterstück gewidmet. Das Theater praesent, das passenderweise eines der wenigen Theater in Österreich ist, das nur von Frauen geleitet wird, zeigt "Menstruationshintergrund" und nähert sich der Thematik über Fragen wie "Wann kommt die sexuelle Erfüllung?", "Will ich lieber einem anderen Geschlecht angehören?" oder "Wie emanzipiert bin ich?"
Johannes Gabl
Die soziokulturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern schlagen sich übrigens in der Preispolitik des Theater praesent nieder. Laut Statistik Austria liegt das Bruttojahreseinkommen von Frauen im Schnitt 18 Prozent unter jenem von Männern. Frauen zahlen daher 14,56.- Euro Eintritt, Männer 17,44.- Euro.
Salzburg: Sind Refugees noch willkommen?
"Wir sind keine Barbaren"
Wann: 24. Sep. - 27. Okt.
Wo: Kammerspiele des Salzburger Landestheater
Letzten Sommer ist die sogenannte "Flüchtlingskrise" in Gestalt zehntausender Menschen auch in Österreich angekommen. Viele sind in andere europäische Länder, allen voran Deutschland, weitergereist, viele sind geblieben und zum Teil in privaten Haushalten untergekommen. Es stellt sich also die Frage: Wieviel ist von der anfänglichen Solidarität noch übrig? Sind Refugees immer noch welcome?
Christina Canaval
Der junge deutsche Autor Philipp Löhle hat dazu einen Theatertext geschrieben, der ab 24. September in Salzburg auf die Bühne kommt. In "Wir sind keine Barbaren" müssen zwei benachbarte Bobo-Pärchen erwägen, wie weit es mit ihrer Hilfsbereitschaft tatsächlich her ist, als eines Nachts ein Fremder auftaucht, dem eines der Paare kurzerhand Asyl gewährt. Ist er hilfsbedürftig? Ist er eine Bedrohung? Oder stellt er eine exotische Verlockung dar? Noch bevor darüber endgültig entschieden werden kann, verschwindet der Mann mit einer der beiden Frauen.
Das Geschehen wird zudem von einem Heimatchor kommentiert, der unablässig ein Wir-Gefühl beschwört, das das Fremde kategorisch ausschließt.
Villach: Ein Chor von Flüchtlingen
Vom Umgang mit Flüchtlingen in unserer Gesellschaft handelt auch Elfriede Jelineks Theatertext "Die Schutzbefohlenen". Auf der Bühne steht ein Chor von Flüchtlingen, der Menschenrechte, Wertvorstellungen und die Festung Europa thematisiert, verschränkt mit Motiven aus Aischylos ́ Tragödie "Die Schutzflehenden".
"Die Schutzbefohlenen"
Wann: 4. - 26. Nov.
Wo: Neue Bühne Villach
Das Stück basiert auf den Flüchtlingsprotesten 2012, als das Refugee Protest Camp Vienna sein Lager im Votivpark aufschlug und Missstände im Aufnahmelager Traiskirchen kritisierte. Nach der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 aktualisierte Jelinek, die am 20. Oktober übrigens ihren 70. Geburtstag feiert, ihr Werk. Verschiedene Fassungen sind schon in etlichen europäischen Theaterhäusern wie etwa dem Thalia Theater in Hamburg, beim Holland Festival in Amsterdam oder dem Burgtheater in Wien inszeniert worden.
Im April diesen Jahres wurde eine Aufführung im Wiener Audimax, in der Flüchtlinge statt Schauspielern die Worte der Schutzbefohlenen sprachen, von einer Gruppe Identitärer gestürmt. Sie verschütteten Kunstblut und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift "Heuchler! Unser Widerstand gegen eure Dekadenz!" und mussten unter lauten "Nazis raus!"-Rufen seitens des Publikums die Bühne schließlich verlassen.
konse schauspielensemble/Isabella Weitz
Martin Dueller inszeniert "Die Schutzbefohlenen" nun an der Neuen Bühne Villach mit Studierenden des Kärntner Landes Konservatoriums.
Linz: Vorhang auf für Terroristinnen
"Töchter des Jihad"
Wann: 4. Okt
Wo: Posthof Linz
Muslimische Frauen werden oft objektiviert, vor allem in Debatten rund um Burkini und Kopftuchverbot. Sie treten zumeist als unterdrückte Ehefrauen und Töchter ins Zentrum des Interesses, vielleicht noch als Mütter, die auf ihre radikalisierten Söhne einwirken sollen oder diese an den IS verloren haben. Sie werden zu Opfern. Umgekehrt scheint im medialen Diskurs eine große Faszination von Täterinnen auszugehen, wie es zuletzt die Verhaftung von drei Islamistinnen in Paris gezeigt hat, die einen Anschlag auf die Kathedrale Notre-Dame und eine Attacke auf den Bahnhof Gare de Lyon geplant haben sollen. Dazwischen gibt es für muslimische Frauen kaum Rollenbilder.
Das Stück "Töchter des Jihad" schlägt nun eindeutig in letztere Kerbe und geht der Frage nach, wieso immer mehr junge Frauen und Mädchen auf europäische Freiheiten verzichten, um stattdessen für den Islamischen Staat in den Krieg zu ziehen.
Die Theatergruppe dieheroldfliri verfällt dabei aber nicht in Schwarz-Weiß-Denken, sondern setzt auf Humor und Analyse. Sie zeigen die Propagandamechanismen des IS, zitieren Blogs und Facebook-Einträge von jungen JihadistInnen und versuchen auf diese Weise "die eigene Ohnmacht gegenüber dem Phänomen Jihadismus zu formulieren" sowie "Argumente zu liefern, die einem drohenden Kampf der Kulturen vorbeugen können".
"Töchter des Jihad" ist im Rahmen einer Last Minute Vorstellung am 4. Oktober ein Mal im Posthof in Linz zu sehen.
Graz: Encore Europa
Die aktuellen politischen Umwälzungen, die Migrations- und Flüchtlingsbewegungen, die Herausforderungen und Konflikte, die diese mit sich bringen, und die Frage nach einer Neuorientierung Europas sind mit Abstand die vorherrschenden Themen in diesem Theaterherbst. Fast jede Bühne, die etwas auf sich hält, setzt sich mit diesen Fragen auseinander. Der Steirische Herbst, der am 23. September in Graz eröffnet, stellt dieses Jahr sogar das ganze Festival unter Angela Merkels vielzitierten Ausspruch "Wir schaffen das."
"Empire"
Wann: 14. - 15. Okt.
Wo: Schauspielhaus Graz
Eine Produktion, die in diesem Kontext schon mit großer Ungeduld erwartet wird, ist Milo Raus Stück "Empire". Der Schweizer Milo Rau ist einer der gefragtesten zeitgenössischen Theater- und FilmemacherInnen. Er hat sich auf politische und dokumentarische Darstellungsformen spezialisiert und gründete 2007 seine eigene theatrale Produktionsplattform das "International Institut of Political Murder" (IIPM). Bekannt geworden ist Rau mit Arbeiten wie "Hate Radio" über den Genozid in Ruanda, einem Stück über den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik oder "Die Moskauer Prozesse", einem Film, in dem unter anderem die Gerichtsverhandlung gegen die russische Punk-Band Pussy Riot mit realen AkteurInnen nachgestellt wurde.
"Empire", das zwei Mal in Graz gezeigt wird, ist der dritte Teil seiner Europa-Trilogie. Nach "The Civil Wars", das von Radikalisierung und "The Dark Ages", das von Vergangenheitsbewältigung handelte, verhandelt "Empire" nun mögliche Zukunftsszenarien für Europa. Mittels klassischem Storytelling spüren vier SchauspielerInnen aus vier verschiedenen Ländern ihren eigenen Biographien nach und setzen sich in Zusammenhang mit Flucht, Heimat und Identität.