Erstellt am: 12. 9. 2016 - 17:55 Uhr
Ganz großes Kino für die Nase
von Philipp Landauer
Was Gerüche angeht, hat das Kino wirklich schon einiges gesehen bzw. die Kinobesucher mitgemacht. Es ist der Traum vieler Filmemacher, den eigenen Film auch mit Gerüchen zu ergänzen. Ein Film soll damit zum richtigen Sinneserlebnis werden. Und so ließen sich die Filmemacher und auch Kinobetreiber Einiges einfallen. In den 80er Jahren wurden Versuche mit Rubbelkarten, Odorama genannt, gemacht. Die Zuschauer sollten zu verschiedenen Szenen bestimmte Kästchen frei rubbeln und daran riechen - wer sich an die Simpsons Sammelkarten erinnern kann, weiß, wie sehr diese aufgerubbelten Kästchen nach Plastik stinken. In München wiederum hat man in den 90ern dann mit Riechstoffkartuschen experimentiert. Die Kinobesucher bekamen diese mitsamt der dazugehörigen Atemmaske umgehängt und zu bestimmten Szenen wurden dann Gerüche direkt in die Nase „gejagt“. Und schließlich versuchte man sich noch an Ventilatoren, die man nutze, um Gerüche ins Publikum zu blasen. Doch irgendwann vermischten sich alle Gerüche. Da alles nicht funktionierte, verwarfen die Filmemacher die Idee eines 4D-Kinos.
Philipp Landauer
In ihrer Entwicklung haben diese Versuche alle etwas gemeinsam, meint der Künstler Wolfgang Georgsdorf: Ein bestimmtes Endgerät war schon im Vorhinein das Ziel und man erhoffte sich das große Geld. Allenfalls ein gelungener Mediengag seien diese Versuche im Nachhinein betrachtet gewesen. Georgsdorf hat dabei gut reden - seine Geruchsorgel oder auch Smeller 2.0 - ist gerade in allen Medien von Europa bis in die USA. Denn: es ist tatsächlich das erste Gerät, das in einem Raum Gerüche auf Knopfdruck erzeugen und genauso wieder verschwinden lassen kann, ohne dass der vorherige Geruch sich mit dem Nachkommenden vermischt. Noch dazu steht das monströse Gerät in einer Kirche und es sieht tatsächlich aus wie eine Orgel. Ein Mediengag für das 21. Jahrhundert?
Wolfgang Georgsdorf ist Künstler, wirkt aber eher wie ein Daniel Düsentrieb. Das mag zum einen an seinem künstlerischen Anspruch „Kunst muss immer einen tatsächlichen Zweck erfüllen“ liegen (Ein Pissoir also in ein Museum zu stellen und es Fountain zu nennen, wie es Marcel Duchamp gemacht hat, reicht da noch lange nicht aus). Zum anderen liegt es aber daran, dass er unermüdlich an der Geruchsorgel arbeitet. Er springt von einem Ventil der Orgel zum nächsten, dreht wieder ein Rädchen, füllt woanders Flüssigkeit nach, läuft zum Computer, um etwas einzustellen und dann findet er auch noch die Zeit, den soeben hereingestolperten Touristen die Möglichkeiten seiner Orgel persönlich und voller Elan zu erklären.
Im Vergleich zu den bisherigen Erfindungen zur Verwirklichung eines 4D-Kinos ist der Ansatz beim Smeller 2.0 ein anderer. Hat man sich bei den Riechstoffkartuschen in München noch Gedanken darüber gemacht, wie 8 verschiedene Gerüche sozusagen an den Rezipienten gebracht werden können, geht es beim Smeller eher darum, was man an Gerüchen nicht erzeugen kann: Ausgangspunkt ist die Orgel mit ihren 64 Kartuschen. In jeder ist ein eigener Geruch, wie beispielsweise Gras, Teer oder Holz. Mit einem eigens entwickelten Interface, können die einzelnen Kartuschen elektronisch über ein Notebook angesteuert und Gerüche freigesetzt werden. Eine kleine Turbine „bläst“ dann durch das sogenannte Hauchmaul die Gerüche in das Zuschauerzelt. Und genau dabei liegt der Trick: Der Geruch wird nicht irgendwie in das Zelt geblasen, sondern die Turbine vermag es, eine Art Luftmauer mit konstant 50 Zentimetern pro Sekunde durch das Zelt zu drücken. Am Ende des Zeltes ist dann eine Art Abzug, der den Geruch wieder aufsaugt. Ein Besucher nimmt so synchron zu den einzelnen Szenen auch die Gerüche der gezeigten Orte war.
Philipp Landauer
Dank des entwickelten Interfaces, kann die Orgel auch an ein Keyboard angeschlossen werden. Jede Taste ist dann mit einem bestimmten Geruch gleichzusetzen. Wenn Georgsdorf also einen Akkord aus Heu, Tiergeruch und Holz spielt, dann sieht der Zuschauer nicht nur die Berghütte auf der Leinwand sondern er wird zum Zuriecher und kann sie dank des Smeller 2.0 auch riechen. Mit Akkorden zu je drei Gerüchen kann Georgsdorf aus den 64 verschiedenen Gerüchen in den Kartuschen so 41.000 unterschiedliche Mischungen aus Gerüchen entstehen lassen.
Mit jedem Atemzug ein neuer Geruch - Georgsdorf wäre nicht Georgsdorf, wenn hinter der Geruchsorgel nicht auch noch ein künstlerischer Anspruch stecken würde. So dreht sich beim Festival Osmodrama in Berlin alles um Gerüche und die verschiedenen Kunstformen, mit denen sie in Kombination gesetzt werden können: Im Programmpunkt Autocomplete lässt Georgsdorf die Gerüche ohne Bilder und Töne einfach für sich stehen - Synosmie nennt Georgsdorf die Kompositionen aus Gerüchen, die er auf seinem Keyboard spielt. In Häuserfugen werden die verschiedenen Geräuschkulissen eines Bahnhofs, Flughafens, Cafés usw. mit Gerüchen ergänzt - so kann er der Nase vom Bahnhof bis zum Café jeden beliebigen Ort zeigen. Doch nicht nur das, er kann am Bahnhof dann auch noch eine alte Frau mit einem fast schon unangenehm süßlichen Parfum an einem vorbei gehen lassen oder er lässt einen an einer Bäckerei vorbei spazieren. Der Film Continuity von Omer Fast wird komplett mit Gerüchen synchronisiert vorgeführt. Das Festival bietet dann noch Performances, Lesungen oder Konzerte, alles in Begleitung von Gerüchen.
Philipp Landauer
Dass der Smeller 2.0 im Mittelpunkt eines Festivals mit den verschiedenste Kunstformen stehen wird, hätte sich Wolfgang Georgsdorf vor gut 20 Jahren niemals gedacht. 1996 stellte er nach einer langen Kette aus Überlegung, Zeichnungen und Ideen den Smeller 1.0 im Oberösterreichischen Landesmuseum vor. Ein fast schon primitives Gerät mit seinen damals noch 30 verschiedenen manuell regelbaren Kartuschen. Allerdings hatte er bereits damals die Pläne und Skizzen für den Smeller 2.0 in der Schublade. Was fehlte war das technische Know-How und Geld.
Finanziell kam dann der Startschuss von der Shering Stiftung in Berlin. Mit Geduld und Crowdfunding wurde dann noch das restliche Geld zusammengekratzt. Was das technische Know-How anbelangt so konnte sich Georgsdorf immer schon auf das eigene Wissen und Können verlassen. Jedoch kam ihm dabei auch zugute, dass er bei seinen erfolgreichen Ausflügen in die verschiedensten Kunstformen in der Vergangenheit immer wieder Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten kennengelernt hat.
Die Zusammenarbeit mit dem bekannten Parfümeur Geza Schön ist wiederum einem reinen Zufall zu verdanken. Für den Smeller 2.0 stand der tatkräftig bei der Beschaffung von Sponsoren und auch Duftstoffen zur Verfügung – half Georgsdorf seine Synosmien zu perfektionieren.
Nachdem er so viele Jahre lang am Smeller 2.0 gearbeitet hat, könnte man meinen, dass er das Gerät mit einem reinen Materialwert von 220.000 Euro niemals weggeben würde. Doch auf die Frage, ob er ihn verkaufen würde, kommt wie aus der Pistole geschossen ein Ja. Jedoch unter zwei Voraussetzungen: Erstens, das Gerät muss für Forschungszwecke frei zugänglich bleiben und zweitens, in keinem Fall ans Militär verkaufen. Prinzipiell kann er das Geld gut gebrauchen, denn Georgsdorf sucht bereits nach einer festen Bleibe für den Smeller 2.0 und außerdem liegen in seinem Schreibtisch schon die fertigen Pläne für den Smeller 3.0.