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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

13. 9. 2016 - 13:38

CETA als Trojanisches Pferd für TTIP benutzt

Das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP wurde aus der Schusslinie genommen, um eine Mehrheit für das bereits ausverhandelte CETA-Abkommen zu sichern.

Mitte Oktober wird über das umstrittene Freihandelsabkommen (CETA) der EU-Staaten mit Kanada im EU-Ministerrat abgestimmt, kurz danach soll es auch im EU-Parlament verabschiedet werden. Das Schwesterabkommen TTIP mit den USA wird dann als nächstes folgen, denn das Gerücht, TTIP sei gestorben, glaubt niemand ernsthaft. Es wurde von zwei Politikern verbreitet, die mit großem Widerstand in den eigenen Reihen zu kämpfen haben.

Der Vorstoß von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner für einen Verhandlungsstopp und einen kompletten Neustart der TTIP-Verhandlungen erfolgte am 31. August.

Einer davon ist der deutsche Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel, der andere der österreichische Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Gabriel muss CETA am 19. September erst durch den Parteikonvent der SPD absegnen lassen, Mitterlehner hat mit erheblichem Widerstand vor allem vom ÖVP-Bauernbund zu kämpfen. Gerade Österreichs Bauern haben nämlich allen Grund zur Befürchtung, von der geballten Macht ausländischer Agrarkonzerne überfahren zu werden. Im Wiener Innenministerium wurde am Montag ein Volksbegehren gegen CETA und TTIP von sechs SPÖ-Bürgermeistern aus Niederösterreich eingereicht. Die Eintragungsfrist startet in der letzen Jännerwoche 2017.

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Trojanische Pferde, Popularität

Am 29. August hatte der deutsche Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel TTIP überraschend für "de facto gescheitert" erklärt. Wie sein österreichischer Amtskollege Mitterlehner tritt Gabriel jedoch für eine Verabschiedung von CETA ein.

Österreichs Bauern stehen nämlich alle vor derselben Situation, ob sie nun biologische oder konventionelle Agrarwirtschaft betreiben. Sie können vom Preis her bei weitem nicht mit Agrarprodukten aus Kanada oder den USA mithalten, wo riesige Flächen mit Monokulturen bewirtschaftet werden. Für 17. Oktober wurde deshalb auch der nächste europäische Aktionstag gegen beide Freihandelsabkommen ausgerufen. Auf dem Linzer Domplatz ist am vergangenen Wochenende bereits das mittlerweile ziemliche bekannte, Trojanische Freihandelspferd wieder aufgetaucht.

Aus den USA wiederum kommen derzeit überhaupt keine Kommentare, denn der abtretende Präsident Barack Obama hat in den letzten Wochen seiner Amtszeit Besseres zu tun, als sich in tagespolitische Auseinandersetzungen über Freihandel einzumischen, Auch die beiden Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump bestreiten derzeit vehement, für Freihandelsabkommen überhaupt einzutreten. Das betrifft weniger TTIP als das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP), das in den USA ähnlich unpopulär ist wie TTIP in Europa.

MDR/ARD

Diese Grafik zeigt, dass der Widerstand in der SPD gegen eine Unterzeichung von CETA beträchtlich ist.

Hier Qualität der Lebensmittel, dort Arbeitsplatzverlust

Während die Europäer allen Grund haben, eine Absenkung ihrer Gesundheitsstandards durch TTIP aber auch CETA zu befürchten, geht es in den USA vor allem um den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen. Mit Brunei, Chile, Peru, Malaysia und Vietnam sind allein fünf Billiglohnländer in TPP vertreten, dem US-Mittelstand aber ist das letzte multilaterale Freihandelsabkommen, in dem Staaten mit weit niedrigerem Lohnniveau als in den USA vertreten sind, noch in lebhafter Erinnerung. Durch das "North American Free Trade Agreement" (NAFTA) gingen in den USA nach 1995 allein knapp eine Million Arbeitsplätze in Industriebetrieben verloren, die allesamt nach Mexiko verlagert wurden.

Dort wiederum ruinierten die Importe von hochsubventioniertem Mais aus den USA eine unbekannte, jedenfalls große Zahl von Kleinbauern, die fortan als zusätzliche, billige Industriearbeiter zur Verfügung standen. Zwar verdreifachte sich das Handelsvolumen unter den NAFTA-Staaten USA, Mexiko und Kanada in Folge, von diesen Zuwächsen ist allerdings nichts bei Mittelstand, Arbeitern und Bauern angekommen. Es existiert keine einzige Statistik, die einen Zuwachs an Arbeitsplätzen oder höhere Einkommen durch dieses Abkommen belegen würde. Die einzigen Zahlen, die es dazu gibt, betreffen samt und sonders nur die Profitabilität von Konzernen, die seitdem beträchtlich gestiegen ist.

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Die orange markierten Staaten sind die TPP-Unterzeichnerstaaten, blau sind jene Länder, von denen die USA behaupten, dass sie dem Abkommen ebenfalls in absehbarer Zeit beitreten könnten. Absichtserklärungen oder Belege dafür gibt es weder aus Russland noch aus China.

Ignorierte Rechts- und Wirtschaftsprofessoren

Erst am Donnerstag wurde ein offener Brief veröffentlicht, der von 223 Ökonomie- und Rechtsprofessoren aus den USA unterzeichnet wurde. Von Nobelpreispreisträger Joseph Stiglitz angefangen wurden beide Häuser im US-Kongress aufgefordert, TPP keinesfalls zu verabschieden, solange die Klauseln zum Investorenschutz darin enthalten sind. Bereits im März 2015 habe man eindringlich vor den Folgen von ISDS für das Rechtssystem der USA gewarnt.

Nun sei man "extrem enttäuscht", dass diese Warnungen komplett ignoriert worden seien und alle "problematischen Passagen nahezu im Wortlaut" dennoch in TPP enthalten seien. Obwohl die USA über ein hochentwickeltes Rechtssystem verfügten, würden ausländischen Investoren Klagerechte eingeräumt, die Firmen aus den USA nicht zur Verfügung stünden. Diese Aussagen sind nahezu deckungsgleich mit den Aussagen von Fachleuten aus Europa zu CETA, TISA und TTIP.

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Hier beschweren sich die Professoren über die Ignorierung ihrer Warnungen bei den Abgeordneten zum US-Kongress.

Plötzliche Erkenntnisse zum TTIP-Abkommen

Da TTIP in einer breiteren Öffentlichkeit weitaus bekannter und vor allem verhasster ist als das CETA-Abkommen mit Kanada, macht es für Mitterlehner natürlich Sinn, sich - zum ersten Mal überhaupt - negativ über TTIP zu äußern. Davor hatte er stets betont, als einziges Regierungsmitglied aktiv für TTIP einzutreten, was durchaus stimmt. Erst am 31. August 2016 hatte Mitterlehner aus heiterem Himmel dann einen Verhandlungsstopp für TTIP gefordert und verlangt, das Abkommen 2017 völlig neu zu starten. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als TTIP wegen der Präsidentschaftswahlen in den USA ohnehin bereits auf Eis lag. Mitterlehners Aussagen sind daher weniger eine Forderung als vielmehr die Bekanntgabe eines ohnehin gegebenen Sachverhalts.

CETA als Trojanisches Pferd

Das in der Öffentlichkeit weit weniger präsente CETA-Abkommen, das bereits ausverhandelt ist, enthält exakt dieselben Kapitel zum Investorenschutz (ISDS), die in TTIP unter starken Beschuss geraten sind. Der einzige Unterschied ist dabei, dass die höchst umstrittenen ISDS-Klauseln in TTIP noch modifiziert werden könnten, während sie im CETA-Vertrag bereits festgeschrieben sind. Die Marschrichtung für Europa zeichnet sich damit in aller Klarheit ab. Indem TTIP sozusagen aus der Schusslinie der Kritik genommen wird, hofft man, erst einmal das weit weniger bekannte CETA durch Ministerrat und EU-Parlament zu bringen.

Dazu wird die bereits bekannte Desinformation gestreut, die darin enthaltenen ISDS-Klauseln könnten ja noch im Nachhinein "entschärft" oder "modifiziert" werden. Es ist kein einziges Freihandelsabkommen weltweit bekannt, bei dem der ausverhandelte Text nachträglich noch einmal verändert wurde. Sobald CETA einmal verabschiedet ist, wird dadurch ein neues "Argument" für TTIP geschaffen. Da die ISDS-Klauseln zum Investorenschutz in CETA akzeptiert worden seien, gäbe es keinen Grund mehr, gegen TTIP zu stimmen, zumal die ISDS-Kapitel dort wesentlich moderner gestaltet seien und statt den Anwälten von ein, zwei Dutzend globalen Kanzleien wie bisher dann "echte" Richter und ein ordentlicher Gerichtshof über Streitfälle mit Investoren entscheiden würden.

Schwadronieren nach Belieben

Der Start der TTIP-Verhandlungen erfolgte während der ersten Enthüllungen Edward Snowdens im Juni 2013. Die USA mussten versprechen, ihre europäischen Verhandlungspartner dieses Mal nicht abzuhören. Die FM4-Chronik in 92 Berichten über TTIP.

Auch hier gilt wieder, dass es keine Belege für diese Behauptungen gibt. Obwohl der Verhandlungsprozess für TTIP nach Angaben der Verhandler bereits weit fortgeschritten ist, existiert weder dieser Gerichtshof, der die übel beleumundeten Schiedsgerichte ersetzen soll, noch sind die Kriterien, nach denen diese "echten" Richter Urteile fällen sollen, irgendwo festgelegt. Daher kann nach Belieben über alles schwadroniert werden, was gerade in die taktischen Konzepte passt, weil dafür keine Fakten existieren.

In Reaktion auf die Aussagen Sigmar Gabriels und Reinhold Mitterlehners hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Rande des G-20-Gipfels vergangene Woche bekräftigt, dass selbstverständlich weiter über TTIP verhandelt werde. Dazu rief Juncker zur schnellen Verabschiedung von CETA auf, das Juncker als das "beste Freihandelsabkommen" bezeichnete, "das die EU jemals ausgehandelt hat". Wie gewohnt wurde dafür kein einziges Beispiel vorgelegt und auch sonst kein Beleg für die Behauptungen gebracht.