Erstellt am: 11. 9. 2016 - 07:00 Uhr
Jenseits von Eden
Ich gestehe, ich taumelte ein wenig wie ein Junkie auf der Suche nach Stoff in die Vorführung dieses Films. Weil mich zwar schon einiges heuer im Kino sehr mitgerissen hat, vor allem auf der formalen Ebene, aber nur wenige Streifen wühlten mich emotional so richtig auf. Und genau das erhoffe ich mir, als alter Anhänger übersteigerter Romantik, in regelmäßigen Abständen vom Medium Film: Herzklopfen, feuchte Augen, einen unverschämten Pathos-Kick.
Mit großen Gefühlen hat US-Regisseur Derek Cianfrance Erfahrung. In seinem sentimentalen Spielfilmdebüt "Blue Valentine" beobachtet er Ryan Gosling und Michelle Williams beim erstickenden Auseinanderdriften einer Beziehung. Im Episodenfilm "The Place Beyond The Pines" verstrickt er (viel zu) viele desperate Einzelschicksale und hinreißende Darsteller zu einem Panorama von Familie, Loyalität und erbarmungslosem Scheitern. Beide Streifen enthalten unvergessliche Szenen, verlieren aber leider zum Ende hin durch Überambition einiges von ihrer anfänglichen Faszination.
Constantin
Melodrama pur
"The Light Between Oceans", nach dem gleichnamigen Roman von M. L. Stedman, ist nun der erste Film von Derek Cianfrance, der einer Fremdvorlage folgt: Einem Stoff, aus dem die ganz klassischen Hollywood-Schmachtfetzen sind. Schon alleine der Handlungsort, eine kleine Insel in der Nähe eines westaustralischen Küstenstädchens, ruft melodramatische Bilder wach.
Hier treffen sie aufeinander, ein zurückhaltender Veteran, der gerade den Ersten Weltkrieg überlebt hat und eine junge Frau, die in dunklen Zeiten nach Liebe sucht. Als sich der verbissene Leuchtturmwärter Tom, der eigentlich die Einsamkeit sucht und die aufgeweckte Dorfschönheit Isabel zufällig begegnen, liegt etwas in der Luft. Eine blitzschnelle Heirat folgt.
Der Plot, der sich dann entfaltet, mit seinen Protagonisten, die wie im Rausch über grüne Hügel rennen und sich vor dem Hintergrund des sturmdurchpeitschten Ozeans umklammern, die vom Schicksal gebeutelt zusammenbrechen und sich wieder aufbäumen, erinnert an Romane von John Steinbeck oder Thomas Hardy und die dazugehörigen Verfilmungen. Auch bestimmte glühende Nick-Cave-Songs kommen einem in den Sinn.
Constantin
Idylle und Verdunkelung
Wie in jeder herzzerreißenden Geschichte gibt es zunächst einen Moment der puren Idylle. Wenn Tom und Isabel für eine Weile ihren romantischen Traum auf der einsamen Insel leben, möchte man dass der Film in seinen betäubenden Szenarien verharrt. Der Himmel über Janis Island verdunkelt sich aber nach zwei Fehlgeburten, die die Frau in ein fragiles Wrack verwandeln.
Dann passiert etwas, dass es nur in bittersüßen Kinomärchen gibt: Ein kleines Boot treibt in Inselnähe, mit einem toten Mann und einem schreienden Baby an Bord. Als Tom und Isabel, auf Druck der letzteren, beschließen, das Kind zu behalten und den Vorfall zu vertuschen, setzen sie damit eine Kette tragischer Ereignisse in Gang.
Ein Regisseur wie Lars von Trier würde mit einer ähnlichen Story darauf abzielen, uns Zuseher innerlich völlig zu verwüsten, mit allen erdenklichen Mitteln. Derek Cianfrance favorisiert allerdings über weite Strecken einen etwas zurückhaltenderen Ansatz. Der Spezialist für cinematische Melancholie inszeniert seinen Film ganz oldschool-mäßig, eben wie ein Liebesepos aus den 50er oder frühen 60er Jahren.
Constantin
Kino der Blicke und Gesten
Ohne wirklich mehr zu verraten, aber das letzte Drittel des Films wird die Publikumsmeinungen sicher diametral spalten. Für die einen entlarvt sich Derek Cianfrance mit seinem Finale wohl als sülziger Kitschpapst des Gegenwarts-Kinos. Für die anderen, zu denen sich der Schreiber dieser Zeilen zählt, steht der Regisseur mit seinem bisher besten Film für einen utopistischen Glauben an das Leben, die Liebe und die zwischenmenschliche Fähigkeit zur Reife.
Was auch kritische Stimmen zugeben müssen: Alicia Vikander und Michael Fassbender in endlosen Close Ups einfach bloß zuzusehen, ist über weite Strecken aufregender als teure Special Effects oder geschliffene Dialoge. "The Light Between Oceans" zählt zu jenen Filmen, in denen sich wieder einmal simple Gesichtsausdrücke und Gesten als die ganz großen Sensationen des Kino entpuppen.
Constantin
In den Augen der großartigen Darsteller, zu denen man unbedingt auch Rachel Weisz in einer Nebenrolle zählen muss, funkelt nicht das eitle Schielen auf einen Oscar, sondern echtes Begehren, Verzehren, Zweifel und Hass. Und natürlich sind Tränen in Großaufnahme zu sehen, viele Tränen, die werden auch über die Wangen mancher unzynischer Zuseher rollen.