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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

9. 9. 2016 - 18:29

Operation Weichspüler

Über die Umstände der Schließung des Londoner Superclubs Fabric und die fortschreitende Musealisierung Londons.

Bevor's wer anderer sagt, geb ich's doch gleich einmal offen zu:

Hunderttausende wären allein durch tatsächliches Betretenhaben seiner vibrierenden Tanzflächen besser qualifiziert als ich, über die Bedeutung des Londoner Superclubs Fabric zu schreiben, dem diese Woche die zuständige Londoner Bezirksgemeinde Islington die Lizenz entzog.

Ich war selber (gerade noch) 29 und Vater eines acht Monate alten Babys, als Fabric im Oktober 1999 zum ersten Mal seine Tore öffnete. Sogar ein knappes Jahr älter als der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan, der angeblich selbst zur Kundschaft zählte und die Schließung von Fabric vorgestern als "enttäuschend" bezeichnete (und seither übrigens Kieran Hebden alias Four Tet eingeladen hat, im Rathaus eine Protestrede dagegen zu halten).

Es ist hart, sich sowas einzugestehen, aber die 17 Jahre des Bestehens von Fabric lagen tatsächlich allesamt nach meiner Zeit.

Fabric Club in London

CC BY-SA 2.0, Ewan Munro on Flickr

Trotzdem bin ich nicht so weltfremd, dass mir die Eminenz dieses Flaggschiffs der Londoner Dance Music-Szene entgangen wäre, dessen Booking-Politik trotz eines beachtlichen Fassungsvermögens von 2500 Seelen nie dem Diktat des Kommerz zum Opfer fiel.

Über 6,75 Millionen Besucher_innen hat der Club gezählt, und nachdem zwei davon seit Jahresanfang infolge exzessiven Drogenkonsums verstorben waren, hatte die Polizei im bzw. gegen den Club ermittelt.

Und zwar unter dem Codenamen „Operation Lenor“ (so wie der Weichspüler, auf Englisch „fabric softener“), soviel zur Unvoreingenommenheit.

Laut Angaben der Polizei herrschte im Club ein Klima der „Toleranz gegenüber Drogen und ernsthaften Verbrechen“, was angesichts von Taschenkontrollen und Leibesvisitationen, sowie 80 allein in den letzten vier Jahren von der Club-Security an die Polizei übergebenen Dealern, schon ein bisschen hart formuliert scheint.

„Ehrlich gesagt beleidigend“, wie der Ko-Betreiber Cameron Leslie in seiner Rede vor dem Islington Council befand (die übrigens sehr lesenswert und hier im Wortlaut zu finden ist).

Das Internet ist nun voll der verständlichen Aufregung über die schiere Willkür dieser so offensichtlich außer jeder Proportion stehenden Entscheidung eines amtlichen Komitees, das bei seiner Tagung unter anderem allen Ernstes den Vorschlag einer gesundheitlich begründeten BPM-Obergrenze debattierte.

Schließlich ist die Immobilienblase heutzutage nicht nur Londons wichtigster Wirtschaftsmotor, dem alles geopfert werden muss, sondern auch eine überlebenswichtige Einnahmequelle für die von Budgetkürzungen heimgesuchten Gemeindeverwaltungen.

Fabric Act auf der Bühne

CC BY-SA 2.0, Rosa Maria Koolhoven on Flickr

Bevor 1993 am Hoxton Square die Blue Note Pionierarbeit leistete, war dieser Teil des East End eine urbane Steppe. Ich kann mich erinnern, wie ich Ende der Achtzigerjahre im Vorgänger-Lokal The Bass Clef die Folk-Legende Odetta spielen sah und mich danach wie durch eine Szenerie aus Jack The Ripper zwischen Nebelschwaden und finster feuchten Backsteinfassaden zur Old Street Station vortappen musste.

Die alte Geschichte der Gentrifizierung, die ihre eigenen Eltern frisst, hat schon recht: Ohne jene Clubs, die heute von gut betuchten Neuankömmlingen als Ruhestörung klassifiziert werden, gäbe es in Hoxton, Shoreditch und Farringdon rein gar nichts.

Ich könnte nun Goldie zitieren, der in einem Fernsehinterview vorschlug, er, Norman Jay, Jazzie B und Pete Tong sollten aus Protest gegen die Schließung des Fabric ihre königlichen MBE-Orden einschmelzen und dem anonymen Bleistift-Ritter vom Magistrat in den Kaffee gießen, „damit es ihm heute noch ein bisschen süßer schmeckt, und damit er sich erfolgreicher fühlt im Umbringen der Gegenkultur und der Kultur an sich.“

Aber die Metapher ist mir dann doch ein bisschen zu schief (Schmeckt Metall überhaupt süß?)

Gut, Metaphern sind auch nicht Goldies Kerngeschäft. Aber die besten schreibt das Leben ohnehin selbst. Lassen Sie mich kurz ein wenig ausholen:

„Diese Gegend ist rund um die Uhr voller Leute, von den Pendlern untertags, über den von Mitternacht an geöffneten Markt bishin zu Clubs wie Fabric, die bis zum Morgengrauen offen sind. Wie setzen wir uns mit ihnen allen auseinander? Sollte das Museum auch wenigstens teilweise rund um die Uhr geöffnet sein? Könnten wir eine Gin-Destillerie betreiben? Sollten wir unser Wurstgeschäft wieder öffnen? Wie viele Leute mehr können wir reinlassen? Wie viel mehr sollten wir tun?“

Das sagte Sharon Ament, die Direktorin des Museum of London, im Mai dieses Jahres zum Guardian, als sie bei der Inspektion einer als neues Heim des Museums umgewidmeten, verlassenen Halle des Smithfields Market direkt gegenüber dem Fabric interviewt wurde.

Einige meinen nun, die Schließung von Fabric diene gerade dazu, die Gegend rund um das neue Museum touristenfreundlich harmlos zu machen. Das würde Aments Sager im Nachhinein einigermaßen sinister klingen lassen.

Unschlagbar ist aber die metaphorische Symmetrie der Entwicklung: dort wo bisher einer der größten Clubs von London war, soll nun die wilde Vergangenheit der Stadt als Museumsobjekt ausgestellt werden.

Besser ließe sie sich gar nicht beschreiben: die fortschreitende Musealisierung Londons als Themenpark seiner selbst.