Erstellt am: 12. 9. 2016 - 13:49 Uhr
Aus den tiefsten Tiefen der Hölle will ich dich verfolgen
Ottessa Moshfegh hat mit McGlue" eigentlich ihren Debutroman veröffentlicht - eigentlich deshalb, weil seither auch schon ihr mehrmals ausgezeichneter zweiter Roman "Eileen" erschienen ist. Und erst nach diesem sehr großen Erfolg wurde "McGlue" auch ins Deutsche übersetzt.
Liebeskind
Auf See
Literaturjahr 1851: Einer der größten (amerikanischen) Romane ist Moby Dick von Herman Melville. Die Geschichte vom jähzornigen Captain Ahab, humpelnd mit einem Holzbein, auf unerbittlicher Jagd nach einem weißen Pottwal, der ihm das angetan hat. Auch Ottessa Moshfeghs Debutroman „McGlue“ erzählt, zumindest in Grundzügen, eine Seefahrergeschichte. Vielmehr als die Jahreszahl und das Fortbewegungsmittel haben Moshfegh und Melville aber dann auch schon nicht mehr gemeinsam.
McGlue, so heißt der Protagonist, der dem Roman den Namen gibt. Beim Vornamen wird er nie gerufen, außer von einem, Johnson. Dem einzigen Menschen, dem McGlue so etwas wie freundschaftliche Gefühle, Verbundenheit, gar Liebe, entgegenbringt. Dieser nennt ihn „Nick“.
Seitenrascheln
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Johnson hat, so erzählt McGlue, während er taumelnd, schwindelig und besudelt am Boden eines Schiffes liegt, ihn aufgelesen. Nachdem er sich aus einem fahrenden Zug springend „den Schädel gespalten“ hat. Johnson pflegt McGlue, nimmt ihn wieder mit auf See. McGlue ist Matrose. Ein betrunkener, opportunistischer, selbstgerechter, hassverzehrter Matrose.
Die Erzählung setzt da ein, wo Johnson aber längst nicht mehr an der Seite von McGlue zu finden ist.
„Du hast Johnson umgebracht“. Ich trinke erst einmal die Hälfte der Flasche weg, bringe den Hals ins Gleichgewicht und falte die Schultern zurück. Der Kiefer hängt mir herunter, merke ich und blicke nach unten, erinnere mich an das Blut.
Und McGlue ist der Hauptverdächtige, kann sich aber an nichts erinnern. So befindet er sich - in seinem ewigen, betrunken Elend – zwar wieder an Bord eines Schiffes, aber diesmal Richtung Heimat, Richtung New York. Er soll zu seiner Familie, genauer gesagt, zu seiner Mutter gebracht werden, um dort einen Prozess zu bekommen.
Ich bin sechs Jahre alt, gib mir die Whiskeyflasche.
Liebeskind
Für "McGlue", ihren Debutroman, der nun auch in deutscher Übersetzung von Anke Caroline Burger (bei Liebeskind) erschienen ist, erhielt Ottessa Moshfegh den Believer Book Award und den Fence Modern Prize.
Ihr zweiter Roman "Eileen" wurde mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet.
McGlue ist die Hauptfigur, für die Mitleid zu entwickeln schwer ist. Er ist arglistig, unangenehm, ist ein Getriebener ohne Ziel. „Blackies“ nennt er die schwarzen Schiffshelfer, „Schwuchtel“ den Jungen, der ausgesucht wurde, während der lange Überfahrt nach ihm zu sehen. Seine Mutter bedroht er mit einem Messer, ihn einzulassen, ihm Whiskey und etwas zu essen zu geben. In Rückblenden führt uns McGlue zurück in seine Kindheit, Stück für Stück wird sein Verhalten in der schaurigen, grausigen Gegenwart zwar nicht erklärbar, aber ein kleines bisschen verständlicher.
Die Schwester an Schwindsucht gestorben, der Bruder unter den Trümmern einer alten Fabrik begraben. Die Mutter, die ihn abschätzig immer nur „den Kleinen“ nennt, der nicht einmal von ihr einen richtigen Vornamen zugestanden bekommt. Die ersten Ausflüge mit sechs, sieben, acht Jahren zur Whiskeyausschank, das Trinken mit Freunden, die eigentlich keine sind.
Das schwerste Problem von McGlue ist aber nicht seine Alkoholsucht. Bekommt er weder Rum, Wein noch Grog beginnt er nämlich stattdessen damit, sich selbst zu quälen. Um einzuschlafen, um sein Hirn lahm zu legen. Er stochert in der offenen Schädeldecke, um jene Stelle zu finden, die ihm die Ohren klingeln und die weiße Wand vor den Augen aufsteigen lässt.
Ich lasse den Kopf auf die Pritsche knallen. Das Resultat ist gut: Scharf schießt mir der Geschmack von Blut hinten in die Gurgel, und mir wird erst schwarz vor Augen, dann weiß. Weiterschlafen.
Die unangenehme, aber die Wahrheit
McGlue landet schließlich im Gefängnis. Ein Anwalt versucht ihn dazu zu bringen, sein Gewissen zu erleichtern, zu erzählen, was vorgefallen ist. In Fieberträumen, den kalten Entzug durchleidend, bildet sich McGlue die Anwesenheit Johnsons immer wieder ein. Bis ihm klar wird, dass der einzige Mensch, an dem er gehangen ist, nicht mehr zurückkehren wird. Dies ist auch die Stelle, die offenste, fragilste, ehrlichste im Roman. Als McGlue das erste Mal selbstlos für sich ausspricht: Ich will sterben.
Weil Johnson nicht mehr ist.
Was wie eine Geschichte voll von schaurigen Gräueltaten, obszönen Männerfantasien klingt, verwandelt Ottessa Moshfegh in eine psychologische Studie, indem sie Bewusstes und Unbewusstes, Traum und Wirklichkeit verschwimmen lässt. Weil nicht klar ist, was McGlue eigentlich will, weshalb genau er so verbittert geworden ist, spinnt die eigene Phantasie weiter und weiter. Im Kopf von McGlue stattdessen spielt sich die Erzählung ab, aus der Ich-Perspektive erzählt, unmittelbar und grausam, spannend und direkt.
Hat McGlue Johnson getötet? Was ist passiert? Die Spannung entlädt sich, trotzdem bleibt genug Raum für die eigene Phantasie.
Und die Wahrheit, die die letzte Seite preisgibt, ist genauso schön wie tragisch.