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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

8. 9. 2016 - 16:37

Crystal Castles 2.0

Das Elektronik-Duo fängt mit neuem Album "Amnesty (I)" ohne Alice Glass wieder ganz am Anfang an.

Vor zwei Jahren hat es noch so ausgesehen, als wäre es das gewesen mit Crystal Castles. "My art and my self-expression in any form has always been an attempt towards sincerity, honesty, and empathy for others. For a multitude of reasons both professional and personal I no longer feel that this is possible within Crystal Castles," schrieb Duo-Hälfte Alice Glass auf Facebook und rief damit das Ende der Band aus.

Musikalischer Partner Ethan Kath und das Management der Band stellten sich dagegen: Crystal Castles werde es weiterhin geben, auch ohne Alice. Die bewegt sich seitdem auf Solopfaden, hat die roughe Electro-Punk-Nummer "Stillbirth" veröffentlicht und setzt sich für Opfer häuslicher Gewalt ein.

Crystal Castles

The Windish Agency

Edith Practice

Crystal Castles sollten währenddessen nicht nur als Band weiterbestehen und mit Edith Frances eine neue Sängerin und Duo-Hälfte bekommen, sondern auch relativ flott neue Musik releasen. Im August ist mit "Amnesty (I)" das neue Album der Band erschienen, eine Platte, die sich anhört wie eine zweite Chance, ein Debüt-Album zu releasen. Und irgendwie ist es das auch geworden.

Ethan und Edith haben sich beim Couchsurfen kennengelernt, Edith kommt nicht wie Ethan aus Kanada, sondern aus Iowa: "Ich bin auf einer Farm aufgewachsen, meine Familie baut Mais an," so die Musikerin kryptisch über ihre eigene Vergangenheit. Bands hatte sie auch vor Crystal Castles schon, hält sich aber mit Informationen dazu bedeckt. Die neue Band, das sei zumindest endlich die passende für sie.

"Wir haben nie daran gezweifelt, mit der Band weiter zu machen", sagt Ethan über die Pläne, Crystal Castles weiterleben zu lassen. "Viele Bands bekommen neue Mitglieder, Black Flag, Black Sabbath, Iron Maiden, AC/DC." Ein Vergleich, der nur bedingt funktioniert: Keine dieser Bands ist ein Duo. Und Crystal Castles ist eben eine Gruppe, deren öffentliche Wahrnehmung extrem durch das Auftreten und die einzigartige Energie einer Persönlichkeit wie Alice Glass geprägt war.

Nu-Rave-Nostalgie

Dass diese Energie auf dem neuen Release der Band fehlen könnte, mag man befürchten. Ganz so schlimm ist es dann im Endeffekt aber doch nicht. Denn "Amnesty (I)" ist ein gutes Album geworden, ein sehr gutes zum Teil sogar. Ein Release, der aber nicht einfach dort weitermacht, wo Crystal Castles vor vier Jahren mit "(III)" aufgehört haben, sondern neu anfängt. Die mit Alice in verträumtere Gefilde abdriftenden Soundsphären der Band, die auf Songs wie "Celestica" oder "Sad Eyes" demonstriert wurden, weichen roher, minimalistischer DIY-Elektro-Energie.

Amnesty I Albumcover

Crystal Castles

"Amnesty (I)" von Crystal Castles ist auf Fiction Records erschienen.

Menschenrechte und deren Missachtung sind das große Thema von "Amnesty (I)". "If you are being used, you shouldn't be confused to keep them amused", singt Edith am Album-Closer "Their Kindness Is Charade. "Against all progression, become a possession, never learn your lesson." Kontrollverlust, ein Ankämpfen gegen eine größere, stärkere Macht, die einen durch ihr Brainwashing einlullen will. Nicht nur durch die Musik wollen Crystal Castles sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, auch finanziell will die Band ihre Unterstützung ausdrücken: "Wir arbeiten mit ein paar Charity-Organisationen zusammen, die uns wichtig sind", sagt Edith. "Wir spenden einen Teil der Albumeinnahmen dafür. Diese verschiedenen Arten, wie das Album zusammenkommt, freuen uns."

Es ist ein mittlerweile fast schon nostalgischer Sound auf "Amnesty (I)", der an die Nu Rave-Ära der Nullerjahre erinnert. Damals, als Crystal Castles gerade ihre ersten Demos auf Myspace hochgeladen haben. Als das alles noch irgendwie ein bisschen mehr im Underground zu Hause war, bevor man Duette mit Robert Smith sang. Simple Beats, bliepende Arpeggios und dann mal wieder ein Nebel von Noise, irgendwo dort einzuordnen, wo man gerne Begriffe wie "Witch House" verwendet. Und mit all der rohen Energie ist "Amnesty (I)" ein gelungener, kompletter Neustart für das Elektronik-Duo. Auf das Soloalbum von Alice Glass, das hoffentlich auch bald erscheint, darf man sich aber trotzdem freuen.