Erstellt am: 9. 9. 2016 - 06:02 Uhr
Blutroter September
"Wertvolle Filme erklären einem nicht die Welt, anempfehlen nicht eine Geisteshaltung, sondern sprengen uns ganz im Gegenteil frei vom Unbill der Alltäglichkeit, ermöglichen uns, das Fantasie-Reservoir anzuzapfen und plötzlich Dinge zu sehen und zu spüren, die man davor nicht einmal zu träumen gewagt hätte."
Das slash Filmfestival 2016 findet vom 22.9. bis 2.10. im Wiener Filmcasino statt.
Der Vorverkauf startet am Freitag, 9. September.
Mit diesen wunderbaren Sätzen im Programmheft bringt /slash-Festival-Chef Markus Keuschnigg das Motto der alljährlichen Wiener Genrekino-Festspiele auf den Punkt. Was sich seit etlichen Jahren ab Mitte September im Filmcasino im 5ten Bezirk abspielt, das ist eben viel mehr als nur eine Werkschau des Grauens und Gruselns. Das /slash ist längst zu einer filmischen Institution in der Donaumetropole geworden, die mit schockierender Schönheit und kathartischer Kraft die Sinne beflügelt.
SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen, wie Hard Sensations, NEGATIV und der DEADLINE. In den wunderschön holzvertäfelten Hallen des Filmcasino in Wien, hat er während des /slash Film Festivalss schon mehr als einmal sein Glück gefunden.
Bei dem Versuch, aus der Überfülle des Angebots einige Highlights herauszupicken, habe ich wieder meine filmfanatischen Journalisten-Buddies Sebastian Selig und Christoph Prenner gebeten, mich zu unterstützen. Hier sind unsere versammelten Empfehlungen, auf jeden Fall solltet ihr aber selber das Programm durchforsten, blutige Geschmäcker sind ja sehr subjektiv...
/slash Festival
Das schön-schreckliche Schwarz
Sebastian: Wirklich beflügelnd wird es, wenn harter, verkrusteter Schnee mit ganz viel Schwarz zusammenfließt. Erwachsenwerden als hypnotische Ballade, entrückt vor einem dahinwabernd, wie ein Albtraum, an den man sich nur noch schemenhaft erinnern kann. Man starrt mit zart-bleichem Teenager-Gesicht, immer wieder mit großen Augen, ziemlich ungläubig auf all den Schrecken. Und dann ist da Christopher Lloyd zurück aus der Zukunft. Im kanarien-gelben T-Shirt gibt er fiebrig und mit gefährlicher Ruhe den Rhythmus vor. Die Rede ist von Billy O'Briens „I Am Not A Serial Killer“. Schön.
CHRISTOPH PRENNER schaut sich immer wieder mal gern Sachen im Kino oder Fernsehen an, über die er sich dann in den schönsten Fällen – zu denen das Programm des /slash Jahr für Jahr gehört – in Periodika wie SKIP, Wiener oder Prime Time (R.I.P.) buchstäblich freut.
Christoph: Eine sanfte Schmunzelei ist schon erlaubt, wenn ein Film im Original „Agassi“ heißt, oder? Weil ja ohnedies klar sein sollte, dass Park Chan-wook dem farbenfreudigen Filzballnachhetzer wohl kaum ein Biopic gewidmet haben dürfte. Was zwar irgendwie auch schade ist. Uns andererseits aber in die Lage versetzt, dabei zusehen zu können, wie sich der wichtigste südkoreanische Filmemacher der letzten 1,5 Dekaden („Oldboy“) bei seiner Rückkehr ins heimische Produktionsumfeld nahezu ohne Reibungsverluste wieder im selben Mikroklima wie jenem seines Hollywood-Abstechers, des großmütig dunkle Wonnen spendenden „Stoker“, einnistet.
Ja, dem in fünfzig und mehr schönste Schattierungen von Schwarz eingelegten, um die Mächte von Begehr, Intrige und, wie könnte es bei Park anders sein, Vergeltung wissenden Gothic-Melodram „The Handmaiden“ wird man bis zum feministisch folgewirkenden Purpurrot-Peak folgen müssen. Ja, wurde hiermit möglicherweise tatsächlich "Das Haus der Lady Almquist" auf asiatischem Boden neuerrichtet?
/slash Festival
Lebendig begraben
Christian: Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, dann kehren die Toten auf die Erde zurück...und zurück und zurück: Ein /slash Festival ohne Zombies in irgendeiner Form, das scheint undenkbar. Tatsächlich gelingt es immer noch Filmemachern, dem totgetrampelten Thema neue oder zumindest irritierende und/oder exzessiv unterhaltsame Aspekte abzugewinnen. Wie hoffentlich auch der heißerwartete heimische Eröffnungsfilm, "Attack Of The Lederhosenzombies" von Dominik Hartl beweisen wird. Ich bin schon ziemlich gespannt, auf diesen Versuch einer extrem engagierten österreichischen Jungfilmer-Gang an moderne ZomCom-Klassiker wie "Shaun Of The Dead" im alpinen Setting anzuschließen.
Am meisten freue ich mich aber diesbezüglich auf zwei koreanische Untotenepen. "Seoul Station", der erstere der beiden Filme, die passenderweise hintereinander programmiert sind, betrachtet den Ausbruch einer Untoten-Epidemie wie der legendäre Genre-Urvater aus einem bitterbösen sozialkritischen Blickwinkel, allerdings in der Verpackung eines Animationsfilms.
Regisseur Yeon Sang-ho siedelt dann auch seinen ersten Realspielfilm "Train To Busan" im selben apokalyptischen Szenario an. Und von diesem klaustrophobischen Splatterthriller, der zur Gänze in einem Zug spielt, erzählt man sich tatsächlich Wunderdinge. Weil es dem jungen Filmenmacher neben all der kannibalistischen Action eben vor allem um die zwischenmenschlichen Katastrophen geht, die auf engstem Raum eskalieren. Man darf sich also, wie bei Romero himself, eine wütende Attacke auf jenes Spießbürgertum erwarten, das sich im Ernstfall vom Humanismus distanziert und über Leichen geht.
/slash Festival
Feelgood-Horror
Christoph: Im motivierten, schließlich aber leider flachen Neonazi-Thriller "Imperium" musste sich Daniel Radcliffe neulich ja noch mit Genossen rumschlagen, denen braune Blähungen entfuhren. In "Swiss Army Man" ist es nun Harry Potter höchstselbst, der mit selbigen umzugehen lernen muss: Als an den Strand gespülte Leiche wird er für einen suizidalen Schrull (Paul Dano) zum willkommenen, wenngleich auch von härteren Winden der Verwesung geplagten Weggefährten in so gut wie allen Wildnis-Lebenslagen.
Ob diese als bizarrer Zweiakter angelegte Einsamkeitsstudie nun selbst mehr ist als bloß heiße Luft, man es hier gar mit einer Spike Jonze oder Charlie Kaufman Ehre machenden Arthouse-Andockung an "Immer Ärger mit Bernie" zu tun hat, darüber gehen die Meinungen seit der Sundance-Premiere weit auseinander. Trotz aller leider immer wieder auch reingeschwemmten Feelgood-Quirkiness sollte der Fabel vom Schweizermessermann allerdings zugestanden werden, dass sie transgressive Töne jener Art anzuschlagen weiß, die man im heutigen Indiekinokosmos sonst nur selten vernimmt.
Sebastian: Schön wird es auch, wenn die Füße den Sand verlassen. Wenn man sich von der kleinen harmonischen Insel, auf der man da gestrandet ist, versucht abzustoßen und in die beinahe spiegelglatte See wegtreibt. Kaum meint man davon zu schweben, stößt eine große Wasserschildkröte mit bedächtiger Ruhe nochmal alles um. "The Red Turtle" ist ein Bilderfluss von gewaltiger Kraft. Die erste internationale Koproduktion der japanischen Ghibli-Studios. Der Film des Holländers Dudok de Wit ist etwas ganz Großes.
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American Nightmare
Christian: Was das /slash Festival auch Jahr für Jahr auszeichnet, ist der Blick über die manchmal allzu bequemen Genre-Grenzen hinweg, hinein in Bereiche, wo das gesellschaftlich unbequeme, subversive Kino lauert. Mit der höchst raren und nur wenigen bekannten Doku "The Killing Of America" bietet auch das heurige Programm wieder so eine Entdeckung, die für nachhaltige Erschütterung sorgen könnte. Leonard Schrader, der Bruder des gefeierten Drehbuchautors und Regisseurs Paul Schrader, widmete sich gemeinsam mit Sheldon Renon 1981 auf erschütternde Weise dem amerikanischen Albtraum.
Aus unzähligen Originalaufnahmen, die von Attentaten auf Politiker über die Geständnisse von Serienkillern hin zu grausigen Polizeivideos reichen, montierten die beiden Filmemacher ein Kompedium des Grauens. Allerdings nicht aus dem Geiste der puren Exploitation und des billigen Sensationskitzels heraus motiviert. "The Killing Of America" erzählt mit aufklärerischem Gestus vom Untergang der westlichen Zivilisation. Und was sich seit Anfang der 80er verschlimmert hat, darf sich jeder Zuseher dann selbst ausmalen.
Sebastian: Und dann kommt noch Ruggero Deodato zurück. Kommt nach Wien. Nach 23 Jahren hat der italienische Altmeister, der mit "Cannibal Holocaust" den wohl prophetischsten und ärgsten Film aller Zeiten gedreht hat, der daraufhin heftig die 80er einläutete, jetzt einfach doch noch einmal einen Film gedreht. Unverklemmt, mit wenig Geld und in größtmöglich hemmungsloser Freiheit. Eine "Ballad In Blood". Sex und Gewalt. Wahnsinn mit Nebenwirkungen. Der Film pfeift auf jegliche Konventionen. Feiert sein eigenes Fest. Eine Nacktparty. In Rot. Geil.
/slash Festival
Untergangs-Visionen
Christian: Abschließend noch einmal Zombies, beinahe jedenfalls. Die düstere englische Weltuntergangs-Elegie "The Girl With All The Gifts" scheint nämlich am ehesten mit einem anderen Meilenstein des Horrorkinos made in Great Britain verwandt, Danny Boyles "28 Days Later". Denn auch im postapokalyptischen Thriller von Colm McCarthy sind es von einem Virus verseuchte Mitbürger statt klassischer lebender Leichen, die ruckhaft durch die Landschaft zuckeln. Auf der Suche nach zu zerfleischenden Opfern sind allerdings auch die von einem Pilz befallenen 'hungries' in diesem von etlichen Kritikern gefeierten Beitrag zum inflationären Subgenre.
/slash Festival
Im Mittelpunkt von "The Girl With All The Gifts" steht mit dem besagten Mädchen dennoch nicht Blut- und Beuschel-Plakativität, sondern ein menschliches Drama. Ein Team von nüchternen Wissenschaftlern, angeführt von Glenn Close, glaubt, durch Experimente an und Vivisektionen von erkrankten Kindern, einen Ausweg aus der Katastrophe zu finden. Eine junge Psychiaterin (die wunderbare Gemma Arterton) möchte dagegen die gefährlichen, aber dennoch menschlichen Zombie-Kids vor der Tötung retten, vor allem ein besonders begabtes Pilz-Opfer, the girl with all the gifts. Große Vorfreude meinerseits jedenfalls auf einen gänzlich unironischen und melancholischen Blick auf den Untergang, der auf die üblichen Zitat-Feuerwerke verzichtet.