Erstellt am: 6. 9. 2016 - 16:13 Uhr
Wie Mensch sein?
Wir spielen FM4 Musik
Mehr zu den Glass Animals und weitere Bandempfehlungen findet ihr auf
Amphetaminwüste und Schweinecola
Wenn eine Band auf Tour geht, gibt es viele Geschichten zu erzählen: von zwielichtigen Veranstaltern, Tourbus-Breakdowns in der Wüste oder Durchfall in Mexiko. Oder von nackerten Bandmitgliedern auf Straßenschildern. "Drew, unser Gitarrist, wurde in Milwaukee verhaftet. Er war nackt auf ein Verkehrschild geklettert. Bis heute hat er uns nicht verraten, warum er das getan hat."
Caroline/Universal
Drews Verkehrsvergehen ist bei weitem nicht die seltsamste Geschichte, die Sänger Dave Bayley von der ersten Glass-Animals-Welttour zurück in die Heimat England mitbrachte. Mit seinem Smartphone zeichnete er hunderte Gespräche auf - mit Fans, Taxifahrern und Zufallsbekanntschaften. Dann hat er das Material zu Figuren verdichtet, Autobiographisches einfließen lassen und daraus elf Songs extrahiert. Das auf diese Weise entstandene Album heißt "How To Be A Human Being".
"Man lernt viele Dinge, zum Beispiel, dass es Menschen oft leichter fällt, sich gegenüber Fremden zu öffen als gegenüber Freunden. So erfährt man die bizarrsten Geschichten", erzählt Dave.
Da ist zum Beispiel die Story einer Taxifahrerin im Stück "Mama’s Gun". "Sie war tagelang durch den Mittleren Westen unterwegs und warf jede Menge Amphetamine ein, um durchzuhalten. Irgendwann wachte sie in einer Strip-Bar auf und hatte keine Ahnung, in welchem Bundesstaat sie sich befand. Sie dachte, sie hätte ein schreckliches Verbrechen begangen, aber da war nichts. Niemand hat sie je mit irgendwas belastet."
Ein andermal traf Dave einen Typen mit dem Tatoo eines Schweines auf dem Arm. Darunter der Schriftzug "Pork Soda", der den gleichnamigen Glass-Animals-Song inspirierte. "Das ist sein Lieblingsgetränk, wie er mir stolz erzählte. Und es ist, was man sich darunter vorstellt: Cola mit Speckgeschmack. Yummie!"
Fruchtgummi-Pop
Wir merken, die Figuren der Geschichten auf "How To Be A Human Being" sind leicht angefreakt und nerdig. Um ihre absurden Handlungen und Gedanken herum schrieb Bayley die Glass-Animals-tyische Musik. Alles pulsiert und vibriert entlang eines satten Grooves, über den sich Daves Kopfstimme erhebt. Es sind exotische Sounds, die jedoch aus dem Rahmen der üblichen Weltmusik-Parameter von Indie-Pop fallen. Die Glass Animals zitieren keinen westafrikanischen High Life oder jamaikanische Roots Musik, sondern die weirden Sounds, die im Kopf ihres Singer-Songwriters herumschwirren. "Es ist beinahe ein Fetisch von mir, diese Klänge in die Realität zu übersetzen." Zum Einsatz kommen dabei gelegentlich aucht echte Bunnys, die in Mikrophone rülpsen und diverse Haushaltsgeräte.
Christian Lehner
Mit diesem Soundgemisch punktete man bereits auf dem Debütalbum "Zamba". Das hatten die vier Stundenten aus Oxford angeblich ohne Karriereambitionen aufgenommen. Die Platte entwickelte sich trotzdem zu einem Verkaufsschlager. "Den Erfolg verdanken wir dem Streaming. Erst dann kam die Tour und plötzlich verkaufte sich unser anfänglicher Ladenhüter immer besser", so Dave. "Wir mussten schnell lernen, denn niemand von uns beherrschte ein Instrument. Ich hatte ja alles quasi allein im stillen Kämmerchen zusammengeschraubt."
Am Ende von "Zamba" standen laut Plattenfirma 500.000 verkaufte Alben und über 200 Millionen Streams. Und eben diese eine erste Monstertour mit all den seltsamen, lustigen aber auch deprimierenden Stories. Für manche Figuren haben die Glass Animals sogar Websites gebastelt, so zum Beispiel für den einsamen Computernerd in Life Itself, der noch immer bei Muttern wohnt, oder die Charaktere von Youth, der zweiten Single.
Neben dem hocharomatisierten Fruchtgummi-Sound ist es das Interesse an der Außenwelt, das die Glass Animals von vielen Zeitgenossen im Pop unterscheidet. Hier wird nicht die eigene Identität aus- und infrage gestellt oder hundertfach gebrochen, sondern die Spezies Mensch mit dem Blick eines durchgeknallten Anthropologen unter die Lupe genommen.
"How To Be A Human Being" ist dabei weniger ein vollmundiges Versprechen, sondern eine semifantastische Reise durch den Menschendschungel, seine wilden Viecher und seltsamen Pflanzen. Ein Lichtblick im Jahr der Düsternis.