Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Stell dir vor es ist Festival und keiner geht hin!"

Susi Ondrušová

Preview / Review

4. 9. 2016 - 13:04

Stell dir vor es ist Festival und keiner geht hin!

Ein paar Worte zur Festivalsaison 2016 und Statements aus der Branche.

Die Freiluftsaison neigt sich dem Ende zu. Was für einige, die schon im Frühling zum Beispiel das Spring Festival, Donaufestival oder die Bubble Days besucht haben - mit einem „Hurra, endlich Festivals!“ begonnen hat, hört mit einer traurigen Nachricht auf. Eigentlich sollten wir heute ja in Graz aufwachen. Am Vorabend Fanta Vier, Annenmaykantereit und Camo&Krooked gesehen haben. Doch das Nuke Festival ist abgesagt worden.

Es hat sich viel geändert in der österreichischen Festivallandschaft. Die Arcadia Live hat heuer einige neue Festivalformate ins Leben gerufen. Neben dem Nuke Festival, das in zweiter Auflage zuerst für zwei Tage angesetzt war, dann für einen Tag und dann eben abgesagt wurde, hat Arcadia heuer auch das ehrwürdige Wiesen-Festivalgelände erstmals bespielt. Ehrwürdig, weil es das Wiesen-Gelände seit 40 Jahren gibt.

Patrick Wally

Arcadia Live: eine Wiener Konzert-&Festivalagentur, die zu 55% der FKP Skoprio, dem größten Festivalveranstalter Deutschlands, gehört und sich 2015 einen exklusiv Vertrag für das Wiesen Festivalgelände gesichert hat.

"Unser ganzes Herzblut und Leidenschaft dort hineinstecken zu dürfen und eine so geschichtsträchtige Venue weitertragen zu dürfen – da entstehen viele großartige Momente, wenn man das Resultat dessen dann vor Ort bewundern kann und glückliche, mitsingende, tanzende oder kopfnickende Besucher sieht!" meint Filip Potocki von Arcadia Live zur Herausforderung Wiesen neu gestaltet zu haben.

Christian Stipkovits

Für 8000 Besucher_innen angelegt, waren heuer sieben neue Festivals in Wiesen angesetzt. Zwei davon sind abgesagt worden: das One Drop und das Jazzfest Wiesen. The Roots, Jimmi Fallon´s Sidekick Band, hat in Österreich niemanden interessiert. Auch für Anthony B oder Max Herre wollten österreichische Musikfans nicht nach Wiesen pilgern.

Dabei hat man einiges investiert, um Wiesen mit einer zweiter Bühne und einem für Besucherinnen attraktiverem „Wiesen Village“ im 40. Geburtstagsjahr besser und schöner zu gestalten: bei den Neuerungen sei auch das „Comfort Camping“ erwähnt. Statt im Zelt zu schlafen, konnte man sich in eine Holzhütte mit Bett einmieten. Urlaub am Land mit Festival-Unterhaltung. Zum Resümee der Festivalsaison meint Filip Potocki von Arcadia Live: „Die Festivalsaison 2016 war zweifellos eine hart umkämpfte und auch wir waren davon betroffen. Trotzdem war es für uns persönlich eine ganz besondere Saison, weil wir das Festivalgelände in Wiesen das erste Mal mit vielen neuen Formaten bespielen durften…Wir haben in Wiesen diesen Sommer knapp 55.000 Besucher an 13 Spieltagen begrüßen dürfen und durch 207 Acts & Bands mit 184 Stunden Musik bespielt. Dazu wurden auch 640 Liter Erdbeerwein getrunken!“

Patrick Wally

Rechnet man die Besucherzahl also auf die Spieltage um, waren heuer in Wiesen durchschnittlich 4230 Fans: Die fünf Wiesen-Festivals machen 11 Spieltage aus, mitgezählt sind in der Auflistung vom Veranstalter auch die beiden Einzelshows von Cro und Revolverheld.

Neuer Ort für Harvest Of Art und Two Days A Week

Bis 2015 wurde Wiesen von der Booking Agentur Barracuda Music bespielt. Für Festival-Events wie Harvest Of Art oder das Two Days A Week musste heuer also ein neuer Ort gefunden werden.

Christian Stipkovits

Festivalpark St. Marx

Neben dem Schlosspark Esterhazy oder der Burg Clam wurde der Festivalpark St. Marx heuer bespielt. „Ein abgezäunter Teil eines betonierten Parkplatzes ist einfach kein Festivalgelände.“ schreibt ein Besucher zu dieser Location. Die Schmiedeeisenkonstruktion der Halle ist zwar nicht uncharmant, für das Wort „Festival“ und um einen ganzen Nachmittag beziehungsweise Nacht dort zu verbringen, braucht es noch Arbeit. Das gibt auch Harry Jenner zu, als wir ihn am FM4 Frequency Festival zur Festivalsaison befragen: „Da gibt es sicherlich Optimierungsbedarf, das werden wir auch intern eine Session machen, wie wir das angehen nächstes Jahr.“

Christian Stipkovits

Urlaub am Festival

Natürlich kann ein Festival, das nicht ausverkauft ist, umso „angenehm entspannter“ für die Musikfans vor Ort sein, aber geringe Besucherzahlen bringen Kalkulations-Tabellen zum Erröten. Filip Potocki auf die Frage nach dem Besucherrückgang in Wiesen: „Wie viele Festivals das österreichische Publikum verträgt, wird sich wohl in der kommenden Zeit zeigen. Besucherrückgänge gibt es ja immer – im Entscheidungsprozess, ob sich jemand ein Festivalticket kauft, spielen sehr viele Faktoren wie Line Up, Datum etc. mit!“

Viele der in Wiesen angesetzten Bands: Annenmaykantereit, Tocotronic oder Boy hat man hierzulande schon mit dem gleichen Programm bei einer (ausverkauften) Club-Hallen-Show gesehen. Nichts gegen diese Bands, aber das Überangebot an Festivals hat anscheinend nicht die Bands aufs Plakat gebracht, nach denen sich die Mehrheit sehnt. Die vielen Festivals sind für die Besucher_innen nicht billig. Will ich im Sommer nicht nur auf Urlaub fahren, sondern auch mehrere meiner Lieblingsbands (oder Lieblingsfreunde?) in einer kurzen intensiven Zeitspanne sehen, könnte ich dafür auch gleich das ersparte Urlaubsgeld investieren. Für ein ganzes Festival-Wochenende, so der St. Pöltner Landeshautpstadtchef Matthias Stadler, geben die Besucherinnen vom FM4 Frequency Festival im Durchschnitt 650 Euro aus, meinte er im Interview.

Stimmen aus der Branche zur Festivalsaison 2016


Zu viel Angebot

Man kann Urlaub mit Festival natürlich kombinieren. Darauf zielt zum Beispiel das Lighthouse Festival ab, das Ende Mai in Porec in Kroatien stattgefunden hat: „electronic music. on vacation“ lautet hier das Motto. 185€ hier fürs Ticket ausgeben? Oder doch zur gleichen Zeit am Primavera in Barcelona sein? Dann 140€ fürs Nova Rock? Beirut und Sigur Ros in Linz sehen bei der ersten Ausgabe des Ahoi! The Full Hit Of Summer Festivals sehen wär eigentlich auch ganz gut, okay 59€ hier. Dann 149€ fürs FM4 Frequency Festival, 119€ fürs Summerville usw. Da ist das idyllische Seewiesenfest mit 22€ ein Schnäppchen.

Rainer Praschak von der MICA erklärt in einem Interview mit IQ Magazine, einem Branchen-Magazin der International Live Music Conference, dass bei der übersättigten Festivallandschaft noch ein Faktor mitspielt: der Festivaltourismus aus den benachbarten östlichen Ländern Europas bleibt aus. Die schon etablierte oder wachsende Festivallandschaft dort, mit Festivals wie dem Sziget in Ungarn, Exit in Serbien, dem InMusic Festival in Kroatien, dem Open'er Festival in Polen, oder dem Positivus Festival in Lettland, gibt Festivalbesucher_innen einen guten Grund zu Hause zu bleiben. Umgekehrt sind die niedrigeren Festivalpreise im Ausland auch ein Anreiz für österreichische Musikfans ihr Geld bei einem Festival-Ausflug im Ausland auszugeben.

Franz Reiterer

Termine sind natürlich auch so ein Ding. Das deutsche Splash Festival hatte heuer zwei unterschiedliche Zeit+Bühnenpläne veröffentlicht: eines nämlich für den Fall, dass Deutschland im EM-Finale landet. Es ist zwar nicht jedes Jahr Fussball-EM aber man kann nach dieser Festivalsaison gut sagen: je später der Sommer, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Musikfans ihr Festivalbudget schon überlastet haben. Oder in die Herbst-Konzertsaison investieren wollen. Im August war dieser Trend auch auf dem FM4 Frequency Festival nicht zu übersehen: 2014, als das Festival an der Traisen ebenfalls für 4 Tage programmiert war, haben 200.000 Besucher_innen das Festival besucht. Heuer waren es 120.000, also „nur“ 30.000 pro Tag. Hab ich den Foals-Sänger heuer am Roskilde Festival noch bei einer jubelnder Menge crowdsurfen gesehen, war der Sprung in Menschentraube am Frequency ein kurzer. Die Euphorie war gleich groß, aber es waren nicht genug Arme da um ihn weiter zu tragen als einen Meter.

Franz Reiterer

Rekord am Novarock

Dafür konnte das von Barracuda Music veranstaltete Nova Rock Festival eine Rekordbesucherzahl von 180.000 melden. Für 2017 hat man das Datum übrigens geändert, um „zeitlich mehr Abstand zu anderen großen Konzertreihen in Wien Anfang Juni zu halten, um somit den österreichischen Festivalbesuchern etwas mehr Verschnaufpause zwischen den vielen kommenden Terminen zu ermöglichen!“ meint Nova Rock-Chef Ewald Tatar. Damit kann nur das Rock In Vienna-Festival gemeint sein, das am ersten Juni Wochenende 2017 zum dritten Mal auf der Wiener Donauinsel stattfindet. Das Nova Rock wird 2017 vom 15.-17.Juni stattfinden.

Arcadia Live hatte heuer ein höchst ambitioniertes Festivalprogramm vorgelegt, das in dieser Form nicht aufgegangen ist, es bleibt noch offen welche Eventreihen nächstes Jahr für Wiesen angedacht und auch umgesetzt werden. Und für welche Festivals sich die Musikfans entscheiden.
Auf die Frage nach den Festivaltrends meint Filip Potocki: „Festivals brauchen Qualität in allen Bereichen und ein Gespür für die Bedürfnisse der Besucher, nur so kann man allen ein einzigartiges Festivalerlebnis schaffen. Ein immerwährender Trend ist sicher der, dass sich Besucher wohl fühlen möchten und Liebe zum Detail schätzen!“