Erstellt am: 3. 9. 2016 - 11:41 Uhr
Frau Erika und der Nebelmann
Kurz muss Iris Blauensteiner innehalten. Vor kurzem ist ihr Roman "Kopfzecke" erschienen, sie hat einen Dokumentarfilm fertig gestellt und schreibt an einem Langfilm-Drehbuch. Und würde sie jetzt noch einen weiteren Roman schreiben? "Ich schreib' schon dran!", lacht sie. "Ich mache mehr parallel, aber über Jahre. Gerade mache ich die letzte Fassung eines Theaterstücks."
Ein kurzer Teaser für den Langfilm: Es wird um eine Liebesbeziehung gehen, durch die die digitale und die physische Welt eine weitere Ebene bilden. "Allerdings auch wieder recht pragmatisch!" Das Theaterstück hat den Titel "Leonhard Stadtfuchs" und handelt von einem Mann, der einen alternativen Lebensentwurf lebt und in den Konflikt gerät, sein Aussteigertum zu kommerzialisiseren. Großartig. Für "Kopfzecke" hingegen hat die Wienerin kein hippes Thema gewählt. Es geht um Demenz.
Auch wenn man bisher wenig mit Demenz zu tun hatte und zum Beispiel keine Demenzkranken im Freundes- oder Familienkreis hat, kann man diesem Debüt einiges abgewinnen. Beobachtungen und persönliche Erfahrungen trugen zur Geschichte bei, letztendlich sei die Handlung jedoch fiktiv, so die Autorin.
"Das abstrakte Thema des Vergessens oder wie sich Erinnerung, Geschichten und Geschichte über Menschen und über die Zeiten konstruieren, das hat mich interessiert. Und die Lücken, die hinterlassen werden und sich auf die weiteren Generationen übertragen, aber die Nachkommenden kennen den konkreten Anlass nicht", sagt Iris Blauensteiner.
Carolina Steinbrecher
Nicht auf die Tränendrüse gedrückt
"Kopfzecke" liest sich nicht wie ein Drehbuch. Die Beschreibungen von Bildern und Träumen spielen jedoch eine große Rolle. In diesen Kippmomenten ins Unbewusste und in den darauf folgenden Traumsequenzen ist "Kopfzecke" am Besten. In anderen Köpfen geht es also auch wild zu. Wie beruhigend.
"Ich glaube, dass ich sehr in Bildern und in Tönen denke. Zu schreiben ist etwas Direktes, wie Skizzen zeichnen von Filmeinstellungen oder Reden", sagt Iris Blauensteiner. "Oberflächen abzutasten oder abzufühlen, wie das Bilder vielleicht auch machen können, und daraus eine Atmosphäre entstehen zu lassen, das finde ich schön."
Kremeyr & Scheriau
"Sie redet nur von vergangenen Zeiten, weil sie nicht weiß, was jetzt gerade los ist." Doch wesentliche Punkte in ihrer Geschichte lässt die Mutter aus und es bleibt nicht viel Zeit, um das Schweigen über die Jugendjahre zu brechen. Mit Fotos aus alten Alben will die Tochter den unsichtbaren "Nebelmann" im Raum vertreiben, der Erika ängstigt. Die Tochter bearbeitet die Mutter, wieder und wieder. Denn deren Ansichten haben sich auf ihre Identität ausgewirkt.
Im Buch ist dieser Stimmungsraum nicht durchgehend ein angenehmer. "Ich grabe mich rückwärts in den Kopf. Was hier noch alles liegt, ist erleichternd und erschreckend zugleich." Die Sprache ist klar und verklärt wird hier nichts. Fast im Gegenteil: Die Tochter in der Geschichte kann der Mutter, Erika, nicht glauben, dass es "die Möglichkeit meiner Mutter als glückliche Frau" gegeben hat. Sie hat Erika nie so erlebt. Viele ihrer Ansichten hat sie unbewusst übernommen.
Am 8. September 2016, 19 Uhr, werden Simone Hirth und Iris Blauensteiner aus ihren Debütromanen lesen, Österr. Gesellschaft für Literatur, Wien.
"Man weiß nie, wie man dran ist, wo das Richtige, das Echte sich versteckt."
Plötzlich sagt meine Mutter: "Na sicher, das spürt man, wenn man's vor sich hat."
Und sie verstummt wieder."