Erstellt am: 1. 9. 2016 - 16:25 Uhr
Netzneutralität in Europa: Neue Regeln festgelegt
fm4.ORF.at: Was wurde da von den europäischen Regulierungsbehörden beschlossen?
Thomas Lohninger: Was entschieden wurde, ist der Schlusspunkt eines Prozesses, der drei Jahre gedauert hat und wo man versucht hat europaweit einheitliche Regeln zur Netzneutralität zu finden. Wir haben dabei einen großen Erfolg gefeiert: Bezahlte Überholspuren im Internet, sogenannte Spezialdienste, wird es in Europa nicht geben. Das heißt, so wie wir das Internet kennen, so bleibt es uns zum Großteil erhalten. Das ist ein großer Erfolg. Auch für die halbe Million Menschen, die sich auf SaveTheInternet.eu zu dem Thema eingebracht haben.
©Burstup
SaveTheInternet ist laut Eigendefinition eine Plattform von "Menschen und [...] Organisationen aus ganz Europa, denen die bürgerlichen Freiheiten in der digitalen Sphäre am Herzen liegen."
Die Plattform hat dazu aufgerufen, Kommentare an die europäischen Regulierungsbehörden [BEREC] zu senden, um der Forderung nach klaren Regeln für Netzneutralität in Europa Nachdruck zu verleihen.
Rund eine halbe Million Kommentare wurden eingesendet.
Diese Überholspuren, wie funktioniert das genau?
Klassisch sieht das so aus, dass ein Internetprovider einfach eigene Dienste oder die Dienste eines Partners schneller durch sein Netzwerk leitet, als Konkurrenzangebote. Die ganze Debatte um Spezialdienste, die hier ihren Abschluss gefunden hat, war großteils eine Scheindebatte. Wir haben von Politikern wie Günther Oettinger immer gehört, es gehe hier um selbstfahrende Autos oder Fernoperationen.
Das sind beides sehr schlechte Beispiele, denn das würde man aus Sicherheitsgründen ohnehin nicht über das Internet abwickeln. Aber ein normaler Online-Dienst wie Netflix oder YouTube darf auf gar keinen Fall ein Spezialdienst werden. Diese Dienste können sich keine bezahlte Überholspur in Europa kaufen.
Auch das Zero Rating soll eingeschränkt werden. Wie funktioniert das genau?
Wenn man einzelne Dienste aus dem monatlichen Datenvolumen ausnimmt, dann ist das auch ein Verstoß gegen die Netzneutralität. Weil hier werden einzelne Tarife besser gestellt als andere. Wir haben in Österreich solche Produkte, zB Spotify, das bei einem Tarif eines Anbieters nicht vom Datenvolumen des Kunden zehrt.
Das schaut auf den ersten Blick so aus, als bekäme man etwas gratis, aber in Wahrheit wird hier einzelnen Diensten ein Riesenvorteil verschafft. Solche Tarife sind schon ein enormer Anreiz nur mehr die Dienste zu nutzen, die sich einen solchen Vorteil erkauft haben. Was wir damit verlieren, ist das Internet als gleichberechtigte Plattform, in dem alle Dienste, alle Angebote, alle Erfindungen, die es erst geben wird, wirklich auf neutraler Basis global konkurrieren können. Das ist, was das Internet so bunt und vielfältig gemacht hat.
Auf welche Errungenschaften sind die AktivistInnen von SaveTheInternet besonders stolz?
Darauf, dass wir den Spezialdiensten wirklich ihre Giftzähne gezogen haben. An anderen Stellen müssen wir wachsamer bleiben, etwa beim Zero Rating. Da haben wir nur Einzelfallentscheidungen.
Die Regulierungsbehörde in Österreich, die RTR, wird da jeden einzelnen Fall prüfen und zu einer Antwort kommen. Da sind wir in derselben Position wie die USA mit den dortigen Regeln.
Beim Verkehrsmanagement, da wird es spannend bleiben. Da könnten wir in Europa noch gröbere Probleme bekommen, weil die Regeln dazu sehr lax formuliert sind.
Was ist dieses Verkehrsmanagement und was ist da so lax formuliert?
Das ist der schwierigste Bereich, aber ich probier’s. Verkehrsmanagement ist zum Beispiel: Was macht der Provider, wenn es einen Datenstau gibt? Wie löst er ihn auf? Aber es geht unter anderem auch um Sicherheitsmaßnahmen, also wenn etwa irgendwo eine Cyberattacke, eine DDoS-Attacke passiert.
Verkehrsmanagement bedeutet auch Qualitätsoptimierung. Das kann nicht nur die Qualität einzelner Dienste, sondern auch die Qualität für den Nutzer sein. Es gibt etwa für Provider die Möglichkeit, Datenpakete in Qualitätsklassen einzusortieren. Dabei können ihnen aber sehr leicht Fehler unterlaufen.
Man kann sich das so vorstellen: Ich gebe jedem Paket eine Masche, irgendeine Zahl von 1 bis 5, und je nachdem welche Zahl es hat, wird es besonders langsam oder schnell im Internet transportiert. Da können viele Fehler passieren, weil man die meisten Dienste einfach nicht kennt und man sie nicht einfach von vornherein klassifizieren kann. Die Heuristik, die dabei zur Anwendung kommt, wird immer hinten nach sein. Dadurch kommen vor allem neue Dienste, neue Protokolle und Innovationen im Internet wahrscheinlich unter die Räder und werden schlechter übertragen, als wenn man nicht versucht, alles zwangsweise zu klassifizieren.
Dabei ist es wichtig zu sehen: Das Internet hat sich so entwickelt, wie es heute ist, indem es alle gleichbehandelt - nach dem sogenannten „Best-Effort-Prinzip“. Ohne, dass der Provider entscheidet, wie gut oder wie schlecht einzelne Dienste übertragen werden.
Wir haben im Text der neuen Leitlinien große Erfolge hinbekommen. Das Problem war, dass das zugrunde liegende Gesetz, die Telekom-Binnenmarktverordnung, sehr große Einschnitte gebracht hat. Die Regulierungsbehörden, die die Leitlinien verfasst haben, konnten natürlich nicht über das Gesetz hinausgehen. Daher werden wir einfach wachsam bleiben und schauen, ob daraus ein größeres Problem entsteht.
Zum Schluss noch: Was ist der Haken an den neuen Leitlinien?
Der Haken ist, dass diese Regeln von den Telekomregulierungsbehörden umgesetzt werden müssen. Das heißt, wir müssen den Behörden sehr genau auf die Finger schauen, ob sie ihren Job machen.
Ich glaube, jetzt werden die Provider ausprobieren, was alles geht. Und wo auch immer es Netzneutralitätsverletzungen gibt, braucht es weiterhin wachsame Akteure: Zivilgesellschaft, Firmen, die aufstehen und sagen: "Nein, ich will das nicht haben!" Mit diesen neuen Regeln haben wir ein gutes Werkzeug. Jetzt müssen wir sie nur mehr umsetzen.
Es sind sehr starke Rechte, die wir hier gewonnen haben, sowohl Konsumenten als auch Unternehmen. Das Problem ist, dass wir diese Rechte eben einfordern müssen. Entweder wir beschweren uns bei den Regulierungsbehörden, oder sie machen das von sich aus. Aber die Erfahrung zeigt, dass diese Behörden oft sehr konfliktscheu sind und häufig viel zu nahe an der Industrie dran sind, die sie eigentlich kontrollieren sollten. Daher braucht es sicher gelegentlich den einen oder anderen Stupser aus der Öffentlichkeit, damit die tätig werden.