Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Tanzen als Schutzschild"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

1. 9. 2016 - 16:12

Tanzen als Schutzschild

Eine mysteriöse Frau in Kleid und mit Maske springt und tanzt grazil durch eine surreale Landschaft. Hier gibt es große Türme, breite Treppen, klaffende Abgründe und viele schwebende Würfel um uns herum. "Bound" ist eine außergewöhnliche Erfahrung.

Tanzen ist in Videospielen bislang ziemlich eingeschränkt zum Einsatz gekommen. In quasi allen bisherigen Tanzspielen geht es darum, dass man selbst mit dem eigenen Körper Choreografien nachtanzt oder diverse Spielfiguren mit rhythmischem Knöpfedrücken tanzen lässt. Aber warum Tanz nicht mal abstrakter und metaphorischer zum Einsatz kommen lassen? Tanzfestivals können das, warum also nicht auch Spiele.

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Alltag und Sorgen eine Weile vergessen und sich einfach gehen lassen, ist wichtig. Das funktioniert im Club, am Festival, bei einem Konzert, auf der Straße oder daheim. Ein bisschen könnte man das so deuten, dass man durch die Bewegung Ärgerliches und Unangenehmes von sich weg stößt. Ein aktuelles Spiel namens "Bound" widmet sich nun dieser Form von Tanz: Bewegung gegen den Kummer, zur Aufarbeitung von erfahrener Kränkung und zur Befreiung.

Unterwegs in surreal-geometrischen Welten

Eine hochschwangere Frau besucht einen kleinen Strand. Langsam schreitet sie Richtung Wasser. Mit der einen Hand hält sie ihren Bauch, in der anderen Hand ein altes Notizbuch. Sie öffnet das Buch und sieht Kinderzeichnungen von abstrakten Gebäuden, von Papierfliegern und seltsamen Wesen. Sie blättert ein bisschen, und in der Sekunde ändert sich alles. Plötzlich sind wir in einer surrealen Welt. Hier gibt es große Türme, breite Treppen, klaffende Abgründe und viele schwebende Steine um uns herum. Eine seltsame Königin bäumt sich imposant vor uns auf und gibt uns Befehle.

Jetzt steuern wir eine jüngere Frau, die ein Kleid und eine mysteriöse Maske trägt und sich in Form graziler Tanzschritte fortbewegt. Beim Laufen streckt sie seitlich beide Arme aus und geht auf Zehenspitzen. Sie kann Räder schlagen, rollen und um ihre eigene Achse tanzen - in einer unwirschen, aber faszinierenden Umgebung.

Die Tänzerin in "Bound" steht im Schatten vor einem abstrakten Gebäude und einem Meer aus Würfeln. Der Horizont ist rot.

Plastic / Sony Santa Monica / Robert Glashüttner

Wer sich beeilt, kann bis 4. September noch für den "Bound"-Fotowettbewerb einreichen.

Es wird gesprungen, geklettert, auf Bändern geschwungen. Manchmal werden wir von seltsamen Gebilden und Gegenständen attackiert. Dann hilft nur: drauflos tanzen und durch. Wenn ein visuell besonders schöner oder eindrucksvoller Moment entsteht, können wir jederzeit in den Fotomodus wechseln. Dort gibt es bestimmte Optionen zur Bildbearbeitung wie etwa Farbfilter. Anschließend kann der Screenshot hochgeladen werden.

Triadisches Ballett

Die Architektur von "Bound" ist außergewöhnlich: alles hier ist sehr weitläufig, groß, erhaben - wie in einer Traumwelt. Das meiste ist aus geometrischen Formen gestaltet: Kugeln, Dreiecke, Würfel. Statisch ist dabei aber kaum etwas: alles schwingt, schwebt, wabert und verformt sich ständig. Deswegen können wir uns auch bei keinem unserer Schritte sicher sein, was als nächstes passiert. Aber wenn wir wo runterfallen, stehen wir ein paar Sekunden später gleich wieder auf festem Boden.

In Sachen Architektur inspiriert wurde das polnische Entwicklerteam Plastic vom "Triadischen Ballett" des deutschen Bühnenbildners Oskar Schlemmer. Hauptinspirationsquelle war jedoch die Demoszene - eine mittlerweile fast schon in Vergessenheit geratene Computersubkultur. Plastic waren ursprünglich auch kein Games-Entwicklerteam, sondern eine Demo-Gruppe. Wer den typischen Stil von Demos kennt, wird erkennen, dass "Bound" eine Verneigung vor dieser Community ist.

Entwickler des Playstation-Spiels "Bound" auf der Gamescom

Robert Glashüttner

Bartosz Brudy (links) und Karol Krok vom Entwicklerteam Plastic präsentieren "Bound" auf der diesjährigen Gamescom in Köln.

"Bound" ist exklusiv für PS4 erschienen und wird im Herbst auch mit Playstation VR spielbar sein.

"Bound" ist ein Spiel, vor allem aber eine Erfahrung - es erinnert in seinem Wesen und seinem Spielfluss stark an das fantastische "Journey" aus 2012. Gemessen an üblichen Computerspielkonventionen ist "Bound" weder besonders herausfordernd noch allzu umfangreich. Doch das Game ist visuell außergewöhnlich und erzählt mit dem regelmäßigem Wechsel zwischen Traumwelt und physischer Welt auch eine Geschichte über familiäre Probleme. Mit der Zeit wird klar, wofür die strenge Königin steht oder was hinter den Kinderzeichnungen steckt. Wer ohne Leistung gar nicht auskommt, kann nach erstmaligem Abschluss des Spiels das Ganze nochmal im Speedrun-Modus durchlaufen und sich mit anderen Spieler/innen messen.