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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

2. 9. 2016 - 06:00

Vom Saulus zum Paulus

Über die wundersame Bekehrung des russischen Regie-Hooligans Timur Bekmambetov anlässlich seiner Neuversion von "Ben Hur".

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Filmtipps, Interviews mit SchauspielerInnen und Streifen, die man sich sparen kann

Man kann ruhig über Remakes, Reboots, Sequels und Prequels kulturpessimistisch stöhnen und lästern, auch wenn die Diskussion bisweilen schon langsam ermüdend wird. Aber manchmal lässt sich den knallharten Argumenten der Marketingstrategen tatsächlich wenig entgegen setzen. Wenn im Vorfeld der neuen Version von "Ben Hur" zum Beispiel aus Produzentenkreisen verlautbart wurde, dass die früheren Filme ohnehin kein junger Kinobesucher mehr kenne, höchstens vom entfernten Hörensagen, dann stimmt das wohl.

Ehrlich gesagt, nicht einmal ich als Zelluloidveteran hatte Lust, mir anlässlich der aktuellen Wiederverfilmung des 1880 veröffentlichten Romans "Ben-Hur: A tale of the Christ" die legendärste Fassung von 1959 noch einmal anzusehen. Ferne Erinnerungen an Charlton Heston in Toga, eine herrlich pathosgeladene Kreuzigungsszene und natürlich das berühmte Wagenrennen reichen. Geschweige denn, Gott behüte, in die biblisch angehauchte Buchvorlage des amerikanischen Autors, Generals und Politikers Lew Wallace hinein zu lesen, die auch den teuersten US-Streifen der Stummfilm-Ära inspirierte.

Mögen eingefleischte Filmnerds also wieder einmal was von einem Sakrileg murmeln, meine Wenigkeit ging relativ unbedarft in die Pressevorführung von "Ben Hur" anno 2016. Voreingenommen war ich bloß wegen eines ganzen Schwalls vernichtender Kritiken, die in US-Medien auftauchten und zugegeben wegen des Regisseurs des 3D-Historienschinken. Der Name Timur Bekmambetov ruft bei mir jetzt nicht gerade cinephile Euphorie hervor.

Ben Hur

Universal

"Ben Hur"

Sinnfreie Actionkracher und Testosteron-Fantasien

Ausschließlich erfolgstechnisch betrachtet ist die Karriere des mittlerweile 55-jährigen Russen allerdings beachtlich. Der ehemalige Setdesigner Bekmambetov, der nach einem Theaterstudium und einem Zwischenstopp in der Armee angeblich für einen erkrankten Regisseur einspringen musste, ist ein fanatischer Workaholic, der zwischen (Genre-) Spielfilmen, Werbejobs und unzähligen internationalen Aktivitäten als Produzent hin- und herpendelt.

Dem weltweiten Publikum und dem Autor dieser Zeilen ist Timur Bekmambetov erstmals mit seinen Fantasy-Horror-Epen "Night Watch" und "Day Watch" aufgefallen. "Nochnoi Dozor", wie der erstere Film im Original heißt, beeindruckte mich Mitte der Nullerjahre durchaus mit seiner Bildergewalt und dem gleichzeitig relativ geringen Budget. Leider imitiert "Wächter der Nacht", der von einem Jahrtausende alten Streit zwischen Gut und Böse erzählt, aber letztlich nur die abgedroschenen Mittel des US-Spektakelkinos: Hektische Schnitte, Kamera-Rasereien, übertriebener CGI-Hokuspokus.

Richtig unsympathisch wurde mir Russlands kassenträchtigster Regieexport mit seiner US-Comicverfilmung "Wanted", die auf den ersten Blick zwar nur wie ein völlig sinnfreier Actionkracher wirkt. Bei näheren Hinsehen entpuppt sich Bekmambetovs missglückte "Fight Club"-Hommage aber als reaktionäre Testosteron-Fantasie, in der Angelina Jolie als Killerin wie ein wortloser sexy Aufputz durch die Szenerie hetzen darf.

Wanted

Universal

"Wanted"

Regie-Hooligan auf dramaturgischen Abwegen

Aber sogar "Wanted" gelang es mit dubiosen Wendungen, zumindest meine Aufmerksamkeit zu erheischen. Was man vom komplett missglückten Crossover-Mix "Abraham Lincoln, Vampire Hunter" nicht behaupten kann, der Timur Bekmambetov endgültig als Dumpfgummi des modernen Tschinn-Bumm-Kinos etablierte. Dass er beim hysterischen First-Person-Shooter-Film "Hardcore Henry" massiv die Finger im Spiel hatte, der seine durchaus irrwitzigen Ansätze in einem abstumpfenden Stunt-Overkill verschenkt, wunderte mich dann gar nicht mehr.

Umso mehr überraschte mich Bekmambetov jetzt aber mit "Ben Hur". Erwartete ich mir bloß ein endloses Wagenrennen, aufgepimpt mit überdeutlichen CGI-Effekten, und etwas Story rundherum, verblüfft der Regie-Hooligan plötzlich mit fast schon klassischer, man möchte sagen altmodischer Dramaturgie.

Wenn dann der jüdische Fürst Judah Ben Hur (Jack Huston) und sein römischer Adoptivbruder Massala (Toby Kebbell), die durch tragische Umstände zu Todfeinden wurden, endlich in der Arena gegeneinander antreten, bekommt man zumindest eine Ahnung von echten Stunts, Staub und gebauten Kulissen. Der Gladiatorenkampf hoch zu Ross plättet einen zwar nicht im Kinosessel, aber die Inszenierung des Wagenrennens ringt Respekt ab. Weitaus artifzieller sieht zuvor eine lange Sequenz im dunklen Schlund eines Galeerenschiffs aus, die aber dennoch mitreißend in Szene gesetzt ist.

Ben Hur

Universal

"Ben Hur"

All You Need Is Love

Bleibt, bevor ich noch auf die vielen formalen Schwächen des Films zu sprechen komme, die grundsätzliche Frage: Warum soll man im Hier und Jetzt eigentlich irgendetwas mit dieser Geschichte anfangen, die von einem fiktiven jüdischen Antihelden erzählt, der in seinem persönlichen Vergeltungsfeldzug auf Jesus Christus persönlich trifft?

Moment, sagt ausgerechnet Timur Bekmambetov in Interviews zu "Ben Hur", es geht doch um ein zeitgemäßes Thema. Und meint damit nicht nur die Anspielungen auf den Nahostkonflikt, die sich überdeutlich durch den Film ziehen. Es seien die falschen Werte des römischen Reichs, die ihn an den Kapitalismus der Gegenwart erinnern, versichert der Regisseur. Unbedingter Stolz, gnadenlose Ellbogenmentalität, ein Beharren auf Stärke, damit kommen wir heute nicht mehr weiter, erklärt Bekmambetov, deshalb kreise sein Film nicht primär um Hass und Rache wie die bisherigen Adaptionen. Im "Ben Hur" 2016 geht es, ganz auf den Weltfrieden ausgerichtet, um Liebe und Vergebung.

Ben Hur

Universal

"Ben Hur"

Lacht ruhig, aber dass ausgerechnet Timur Bekmambetov zum christlichen Hippie mutierte, ließ mich den Kinosaal mit einem milden Lächeln verlassen. Ich habe dem Spezialisten für asoziale Zerstörungsorgien die Wandlung vom Saulus zum Paulus nicht nur abgenommen. Sondern seiner Monumentalvision auch vergeben, dass die Darsteller allesamt zu hübsch und glatt wirken, die Kostüme an schwedische Jugendbekleidungs-Ketten erinnern, viele Dialoge hölzern dahinstolpern. Irgendwie ist es einfach zu süß, dass da ein stumpfer Wüterich im Regiesessel auf einmal mit uns allen kuscheln möchte. Vom erfolgreichsten Filmemacher seines Landes kann Wladimir Putin jedenfalls einiges lernen.