Erstellt am: 5. 9. 2016 - 10:34 Uhr
Summer of 1994
1994 ist ein enormes Kinojahr. Premiere feierte das Gefängnisdrama "The Shawshank Redemption" (laut Filmdatenbank IMDb der beliebteste Film aller Zeiten). 1994 ist aber auch das Jahr von "Forrest Gump" oder "Der König der Löwen".
Summer of...
Summer of... - Pictures, Pop and other Postcards from the Past: Ein Blick zurück auf umwälzende Sommerereignisse, die den Lauf der Popkultur(-Industrie) nachhaltig verändert haben. Im Sommer 2016 auf FM4.
Auch der Sommer hat einiges zu bieten: die rasanteste Busfahrt der Filmgeschichte im Action-Blockbuster "Speed" (Homer Simpson bringt die Handlung auf den Punkt), aber auch den ersten großen Auftritt Natalie Portmans - als Mathilda an der Seite des sympathischen Auftragskillers Léon.
Die herausragendste Charaktereigenschaft des Kinojahres 1994 ist die Verdichtung zum Zitate-Kino, die Rolle der popkulturellen Referenz im Film, ein "Referenz-Kino" sozusagen, das prägend für zukünftige Entwicklungen sein wird. Hierbei spielt Quentin Tarantino eine wesentliche Rolle, der im Herbst mit "Pulp Fiction" seinen großen Regie-Coup landet. Aber nicht nur "Pulp Fiction" strotzt so vor liebenswürdigen Anleihen aus der Filmgeschichte. Noch zuvor übt sich Tarantino im Referenz-Kino, indem er ein Geschichte schreibt, dessen Realisation er allerdings Oliver Stone überlässt. Im August, am Höhepunkt des Sommers 1994, kommt "Natural Born Killers" in die Kinos.
Warner Bros. Pictures
Ein Film wie eine Überdosis, die den Beobachter schon in den ersten Szenen in surrealistische Abgründe befördert. Mickey und Mallory Knox (Woody Harrelson und Juliette Lewis) betreten die Bühne und starten ein denkwürdiges Blutvergießen auf der Leinwand. Bonnie und Clyde auf Speed, der Wahnsinn funkelt konstant aus ihren Augen. Ein ungewöhnliches Liebespaar auf einem selten erbarmungslosen Roadtrip.
Oliver Stone inszeniert rasant, wie ein Getriebener, optisch mal farbenfroh, mal in Schwarz-Weiß. Begleitet von einer hektischen Kamera. Quentin Tarantinos Vorlage blüht vor Film- und TV-Referenzen. Stone reizt das in der Umsetzung maximal aus. Nicht nur, dass die ProtagonistInnen von flackernden Bildschirmen, die Filmgeschichte runterspulen, umgeben sind (u.a. schauen wir in einer aufgeheizten Szene einmal Scarfaces Tony Montana in die Augen) oder Frankensteins Monster auftaucht - Stone wechselt auch stetig die Erzählformen, welche dann selbst zu Referenzen werden. So wird dann etwa Mallorys traumatische Jugend in Form bizarrer Sitcom-Sequenzen aufgerollt und die grotesken Auftritte ihres Vaters mit Applaus und Gelächter aus der Lachkonserve unterfüttert.
Warner Bros. Ent.
Das Phänomen des Massenmörders als gefeierter Popstar im TV wird ins Zentrum gerückt. Dabei werden Parallelen zu bekannten Fällen wie denen rund um die Manson-Family oder Ted Bundy gezogen. Auf unerträglich überhöhte Weise manifestiert der von Robert Downey Jr. verkörperte Star-Reporter Wayne Gale die Abgründe des Medienzirkus, der für Einschaltquoten über Leichen geht.
Es ist ein Film, der sich besonders plakativ aus präsenten Medienprodukten zusammensetzt, so wie "Pulp Fiction" auch aus einer bemerkenswerten Verdichtung an Filmen heraus entstanden ist. Aber eben nicht nur. "Natural Born Killers" ist ein Film, der eine atemberaubende wie bedrückende Geschichte rund um ausschließlich brachiale Charaktere erzählt und dabei leichtfüßig mit unzähligen Konventionen bricht, sei es optisch oder erzählerisch. Wie auch "Pulp Fiction" ist "Natural Born Killers" eben viel mehr, als bloß die Summe seiner Referenzen. Erst durch das Zitieren entsteht etwa ganz Neues. Diese Eigenheit macht das Filmjahr 1994 so herausragend und auch essenziell für die folgende Entwicklung der Popkultur.