Erstellt am: 30. 8. 2016 - 18:28 Uhr
2 Turntables, 1 Mikrofon, 1 Sack Gold
Ist die kunststoffhafte Magie von "The Get Down" schon verflogen? Mitte August sind die ersten sechs der auf 12 Episoden angelegten ersten Staffel der Netflix-Serie in einem Rutsch veröffentlicht worden, gut eine Woche war die Show, wie es so geht, der talk of the town, danach hat etwas anderes die Aufmerksamkeit gekitzelt.
Dabei ist "The Get Down" doch mehr als bloßes schrilles Blendwerk und flüchtiger Fruchtgeschmack. Das Trägermaterial der Show ist die Entwicklungsgeschichte von HipHop in den späten Siebziger-Jahren in der Bronx, die ultimativ exakt historische Dokumentation und Nacherzählung sind dabei nicht die Absicht von "The Get Down".
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Ersonnen und erträumt hat die Serie der australische Regisseur Baz Luhrmann, der als verschwenderischer Impressario und Fantast in der Vergangenheit blümerante Schlachtengemälde wie "Romeo+ Juliet" mit Leonardo DiCaprio, "The Great Gatsby" mit Leonardo DiCaprio und "Moulin Rouge" mit Nicole Kidman in die Welt gewuchtet hat.
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"The Get Down" gilt als die teuerste Netflix-Serie bisher. Man kann es sehen. Gewohnt farbenprächtig und grell, zugespitzt und überzuckert inszeniert und ausstaffiert Luhrmann: Wir befinden uns in einem besonders aufwendigen Video-Clip, in dem Moden und Styles, zu Allgemeinplätzen verkommene Gesten, Blicke, Codes, Frisuren, Schlaghosen, Adidas-Suits, Puma-Sneakers gleichermaßen als Kulturgut wie als geile Marke ausgepriesen werden.
Zwar haben über Zweifel erhabene Experten wie Grandmaster Flash, Kurtis Blow, Nas oder auch der verdiente Journalist und HipHop-Chronist Nelson George beratend bei "The Get Down" mitgewirkt – dennoch steigen Baz Luhrmann und sein Team lieber vom Fundament von mehr oder weniger so tatsächlich abgelaufener Historie ausgehend eine güldene Treppe ins Reich der Fiktion empor.
Zwar tauchen auch Gründerväter wie DJ Kool Herc und Grandmaster Flash in fiktionalisierten, von Schauspielern dargestellten Versionen auf, als Versuch von Realismus aber wird diese Serie niemand falsch interpretieren wollen.
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Vielmehr ist "The Get Down" groß ausgeleuchtetes Großstadtmelodrama, in dem gesungen wird, getanzt, geweint, geliebt und gehofft. Die Liebe zur Musik und das noch ungeplante Erwachen und Werden einer neuen, seltsamen Musik sind Antrieb, aber auch Kulissen für die üblichen, ewigen Geschichten: Freundschaft, Vertrauen, die guten Absichten und die alten Träume, Liebe.
Im Zentrum steht der junge, in der Dichtkunst talentierte, in finanzieller Hinsicht und was Zukunftschancen und sozialen Background anbelangt nicht gerade bevorteiligte Ezekiel. Was soll aus ihm und seinen Freunden werden? Wird sich die Liebe zur Jugendfreundin Mylene, die doch lieber glamouröser Disco-Star in Manhattan sein möchte, als in der kaputten Bronx zu versauern, erfüllen?
Ezekiels Beziehung zu seinem DJ Shaolin, die zwischen Freundschaft, Hassliebe, Konkurrenz und sich reibenden Weltbildern schwankt, ist zentraler Motor. Dabei auch betont scherenschnitthaft und knapp skizziert: Man streitet, man versöhnt sich, man strebt die gemeinsame musikalische Weltherrschaft an, am Horizont zeichnen sich schon überdeutlich herannahende Wolken von kommender Missgunst und Zerwürfnissen ab.
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Der Plot ist schlank gestrickt und folgt archetypischen Mustern von Ausbruchs- und Aufstiegs-Szenarios, Neid, Bündnis-Schmiedung und Bündnis-Verrat. Musik als einziger Ausweg, in der kaputten Bronx bleibt einem Afroamerikaner sonst vielleicht noch die Karriere als Dealer.
"The Get Down" stellt seine Gemachtheit und Theaterhaftigkeit heraus und auch den Umstand, dass es weiß, dass es das tut. Die Show verschneidet eingestreutes Original-Bildmaterial aus den Siebzigern, das etwa vibrierendes Straßenleben oder auch kurz politisches Tagesgeschehen zeigt und Vibe transportieren soll, mit überhöhtem musicalhaftem Exzess.
Die maroden Wohnhäuser in der Bronx wirken oft wie Papp-Staffage, die Nachtclub- und Disco-Szenen stehen oft mit voller Absicht wie bloße Inszenierungen, vorgefertigte Choreographien auf Theaterbühne da. Gerade dadurch entsteht oft das nachvollziehbare und greifbare Gefühl, diese rätselhafte Aura, dass in den Zonen von Nachtclub und Nachtleben, von Tanz und Ekstase eventuell doch so etwas wie ein außerweltliches Utopia liegen könnte.
Die Musikauswahl von "The Get Down" ist kaum überraschend sensationell: Zwischen Donna Summer und der Incredible Bongo Band, zwischen Earth, Wind & Fire, dem Salsoul Orchestra und Billy Squier ("I got the big beat!") sind hier so viele Klassiker und ewiggültige Sample-Spender zu hören, dass einem vor Freude ganz schwindlig wird.
Mehrmals und prominent taucht das große, kryptisch-spukhafte Stück "Vitamin C" der legendären deutschen Krautrock-Säulenheiligen CAN auf: Verwertbares Soundmaterial, der Beat für den Get Down kann auch in den obskursten Zusammenhängen gefunden werden. Was ist der Get Down? Die auf einer Schallplatte zwischen Streichern und Vocals, zwischen Schwülst und Pomp versteckte, knackige Beat-Passage, die der ausgefuchste DJ ausfindig macht – die Tänzerinnen und Tänzer auf dem sollen schließlich get down on the floor. Hitplatten kann jeder auflegen.
Die neu eigens für die Show – großteils mit den Schauspielerinnen und Schauspielern am Gesang – eingespielten Songs können da naturgemäß nicht mithalten und klingen nicht selten wie als Fleißarbeit und nur stückhaft begriffene Pastiche. Die Gegenüberstellung von Alt und Neu, die Reibung arbeitet dabei wiederum den splitterhaften, zusammencollagierten, künstlichen Charakter des Gesamtprojekts heraus.
"The Get Down" fängt das Gefühl ein, dass etwas Neues in der Luft liegt. Energie, Schweiß, eine Musik, die noch keinen Namen trägt und deren Techniken und Arbeitsweisen noch Geheimwissen sind.
"The Get Down" zittert und sprüht vor Leben, die vielen, vielen Musik-Szenen von Partys und Disco-Nächten glühen. Aus den Dialogen quillt bisweilen gar arg das Schmalz. Aber so soll das wohl sein. Hier wird das glückliche Gefühl transportiert, das einen erfüllt, wenn man etwas gefunden hat, das man liebt, das einem selbst durch und durch gehört.