Erstellt am: 29. 8. 2016 - 15:37 Uhr
Zwei Hitmen in New York
FM4 Artist of the Week
Alle auf einen Blick
Wenn sich Männer ihrer Lebensmitte nähern, neigt mancher zur närrischen Tat. Im Herzen süßschmerzt noch die Erinnerung an die Jugend, in den Knochen und Gelenken meldet sich aber bereits das fortgeschrittene Alter. Diese widerstrebenden Kräfte verwirren den Geist. So klettert der eine in ein Motorrennboot und riskiert allwöchentlich sein Leben für den thrill of it. Der andere steigt in den Boxring, nur um seine Körpergrenzen mittels Faustwatschen neu zu vermessen und der Dritte sprengt seine Ehe in die Luft, damit er sich mit einer jungen Exotin ins Verderben stürzen kann (alles Beispiele aus der Familienchronik des Autors).
Warner
Noch einmal wissen wollen es auch Paul Banks und Robert Fitzgerald Diggs. Beide können auf erfüllte Musikerkarrieren zurückblicken. Banks ist Sänger und Chefrepräsentant der New Yorker Post-Punk-Wiedergänger Interpol. Die hatten ihre große Zeit in den Nullerjahren, als die Retromania die Rückkehr der Gitarrenbands anstimmte. Die glory days des Wu-Tang Clan reichen noch weiter zurück. In den 90er-Jahren definierten Diggs a.k.a. the RZA a.k.a. Bobby Digital a.k.a. Steelz und seine Mitstreiter das Hip-Hop-Genre neu und erweiterten es um eine gnadenlos bekiffte Mythenwelt. Beide Formationen kommen aus New York. Beide pflegen eine Ästhetik männlicher Düsternis. Beide sind noch lange nicht am Ende, aber die letzten große Würfe liegen bereits einige Jahre zurück.
Schach und Tequila
Die Geschichte der Zusammenarbeit von Banks & Steelz begann 2011 mit einem Radiointerview. Banks erzählte von seiner privaten Liebe für Hip Hop und den WU-Tang Clan. RZAs Manager hörte zu und besorgte sich Banks Telefonnummer. Man traf sich unverbindlich zum Soba-Nudeln-Essen in Chinatown und spülte diese anschließend mit einigen Tequilas runter. Dann begannen die beiden mit dem Schach spielen. Aus einer Partie wurden viele. Das gegenseitige Abschnüffeln hielt einige Monate an, erst dann ging man gemeinsam ins Studio, spielte noch mehr Schach (Seriensieger: the RZA), ein bisschen Tischtennis (Seriensieger: Banks), jamte rum, machte ein Tape und irgendwann landete das Ergebnis bei Warner Music. Bis das Duo unter dem Namen Banks & Steelz ein fertiges Album beisammen hatte, dauert es ganze fünf Jahre.
In den Interviews zum Duo-Debüt „Anything But Words“ erklären beide, dass sie Freunde werden wollten, bevor sie musikalische Partner werden konnten. Außerdem war es ihr Wunsch, in einem Studio zusammenzuarbeiten und nicht via File-Transfer zu kommunizieren, wie das heute so üblich ist bei vielen Kollabos und Features. Und weil der RZA nun mal gleichzeitig an mehreren Film- und Musikprojekten zu arbeiten pflegt und Banks mit Interpol gern um die Welt tourt, war man geduldig und nahm man sich die Zeit zwischendurch, die es brauchte, um aus den vielen Ideen ein vollwertiges Album entstehen zu lassen.
Zwischen Broken Bells und den Gorillaz
Und tatsächlich ist „Anything But Words“ eine viel bessere Platte geworden, als man sich das in der Regel von einem Nebenprojekt erwarten darf. In den besten Momenten reicht die Musik an die glanzvollen Harmonien der Broken Bells heran, an anderer Stelle an den übervollen Pop-Kosmos der Gorillaz mit ihren Stimmungen, Figuren und Kulissen. Und immer wieder blitzt etwas von jener Wu-Magic auf, wie man sie beim Clan schon länger vermisst. Der RZA knurrt und bellt, als ob man ihn nach Jahren der Hundehüttenfrist von der Leine gelassen hat. Auch Paul Banks vergoldet seine Hooks mit einer Leidenschaft, wie sie aus den letzten Interpol-Alben verbannt schien.
Warner
Falls der Projektname an ein Unternehmen erinnern sollte, ist das natürlich Absicht. Das Album steht unter der ästhetischen Vorgabe des Mobster-Genres – vom Logo bis zum Cover. Sie wären in die Rolle von „hitmen for hire“ geschlüpft, so Banks im Interview. „Anything But Words“, sei diesbezüglich als Werbespruch zu verstehen. Tatsächlich gemahnt die erste Sequenz des Videos von „Love And War“ an „Der Pate“, „Pulp Ficition“ und jede Menge Yakuza-Filme in einem. Die beiden hatten Lust zu spielen und nutzten ihre Freiheit, sich als zwei glorreiche Halunken zu inszenieren.
Mit Ghostface Killa, Method Man und Masta Killa hat man eh fast den gesamten restlichen Wu-Tang-Clan als Feature gecasted, ebenso wie die von der Geschichte sträflich vernachlässigte Rap-Legende Kool Keith und - als Femme Fatal im Schlussstück - Florence Welch von Florence And The Machine. Als Backdrop der Geschichten von finsteren Seelen, sinistren Mächten und der Kraft der Liebe fungiert einmal mehr die Stadt New York mit ihren funkelnden Versprechen und dunklen Hinterhöfen.
Das alles fügt sich zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Dankenswerterweise arbeiten sich Banks und der RZA nicht am Crossover-Gedanken ab und vermanschen die Styles zu einem Zeichenfriedhof. Sie besinnen sich vielmehr auf ihre jeweiligen Fähigkeiten. Dem Herkunftsgenre entsprechend ist der Wu-Mann eher für die Strophen zuständig und der Interpol-Mann eher für die Refrains. Das führt zwar schnell zu Abnützungserescheinungen innerhalb eines Hördurchgangs, aber durch kleine musikalische Finessen, wie etwa einer typischen Dr.Dre-Whistle, die sich in einer Streicherharmonie auflöst, bleibt der Kreativpegel hoch und das Ohr dran.
Statt also den falschen Retro-Turbo zu zünden, wie etwa die etwas nervigen Prophets of Rage, haben sich Banks & Steelz in den mittleren Jahren ihres Schaffens noch einmal etwas einfallen lassen. Da freut man sich schon jetzt auf ihr nächstes Album.